Athen

Ökonomische Wunderheiler

Wo Sparen als Austerität geschmäht und Reformen als beschäftigungsfeindlich abgelehnt werden, helfen auch keine Rettungsprogramme mehr.

Wohl kaum ein Begriffspaar ist in großen Teilen der öffentlichen Debatte so umstritten wie die in der Euro-Krise verfolgte Konsolidierungs- und Reformstrategie. In Twitter, Facebook und Co. werden darüber regelrechte Hasstiraden verfasst. Ersteres wird als schädliche „Austerität“ geschmäht, Letzteres für die Verarmung der unteren Bevölkerungsschichten verantwortlich gemacht, weil Jobs verloren gehen und Sozialleistungen gekürzt werden. Sparen und Reformieren gelten als vulgäre Abkömmlinge der vor allem von deutschen Wirtschaftswissenschaftlern hochgehaltenen Ordnungspolitik. Selbst Spitzenökonomen wie die Nobelpreisträger Paul Krugman oder Joseph E. Stiglitz, so bekannte Größen wie Jeffrey D. Sachs oder der gefeierte französische Pop-Ökonom Thomas Piketty geben der Austeritäts- und Reformpolitik die Hauptschuld am Niedergang Griechenlands. Man hält sie sogar für ein machtpolitisches Vehikel, um Athen zu demütigen, oder geißelt sie schlicht als „ökonomische Alchemie“. Ihnen zufolge gibt es nämlich bessere Alternativen. Hat die Euro-Rettungspolitik also bewusst ein Wundermittel verschmäht?

Statt Sparen wären Mehrausgaben angesagt gewesen, und im Fall eines pleitebedrohten Staates wie Griechenland hätte man Athen einfach frisches Geld zuschießen müssen, heißt es. Weil die Mittel für Investitionen und Konsum verwendet worden wären, was weitere private Ausgaben nach sich gezogen hätte, so das Kalkül, wären Rezession und Deflation vermieden worden, die Wirtschaft wäre wieder gewachsen, die Steuern gestiegen. Die Mehrausgaben hätten sich also von selbst bezahlt gemacht – und als Nebeneffekt hätte sich sogar wieder die Schuldentragfähigkeit eingestellt.

Ein realistisches Szenario? Wohl eher eine Utopie! Vorübergehende fiskalische Maßnahmen helfen vielleicht, das kurzfristige interne Wachstum aufrechtzuerhalten. Aber sie bieten keine Lösung gegen strukturelle Probleme wie fehlender Wettbewerbsfähigkeit. Vor allem unterschlagen die „alternativen“ Ökonomen die einhergehenden Moral-Hazard-Probleme: Regierungen vergessen in der Regel, die Ausgaben in besseren Zeiten wieder zurückzufahren, und erliegen der Versuchung, die nötigen Reformen erneut aufzuschieben. Die Geldschwemme verdeckt nämlich die Probleme. Und kommt die Hilfe gar vom reichen Onkel von nebenan, oder via Euroland-Bonds aus einem gemeinschaftlichen Topf, ist es mit der Selbstdisziplin sofort vorbei. Allen Schuldnern unterstellen die ökonomischen Wunderheiler zudem eiserne Verlässlichkeit, selbst wenn dies in der Vergangenheit nicht der Fall war – ein ob seiner Vertrauensseligkeit recht naives Gedankengebäude. Die strukturellen Probleme würden fortbestehen und bald wieder hervorbrechen, das Wachstum durch starre Arbeitsmärkte, Produktmarktmonopole und die Macht der Oligarchen wieder erstickt; und das zufließende Geld landet in den falschen Taschen.

Gerade Griechenland hat gezeigt, dass selbst mit der Formel „Geld gegen Reformen“ Letztere kaum durchzusetzen sind gegen den einhelligen Widerstand von Politik, Interessenvertretern und Gesellschaft. Dabei sind Reformen der Steuerbürokratie, der Arbeitsmärkte, der Pensionen, des Justizwesens und der Tarifpolitik überfällig. Zumal viele der versprochenen Reformen gar nicht stattfanden, weil sie Ministerialbürokratie, Verwaltung und Justiz verwässert, verdreht oder verschleppt haben. Die damit provozierte Erfolglosigkeit muss nun als Beweis für die wachstumstötende Wirkung von Strukturreformen herhalten. Dabei ist es gerade die stete Neuausrichtung und Umstrukturierung einer Volkswirtschaft, die schöpferische Zerstörung der alten Ordnung, welche dafür sorgt, dass sich Staaten modernisieren und damit den Wohlstand ihrer Bürger sichern und mehren.

Letztendlich kommt es also immer darauf an, dass Reformen von den Bürgern selber herbeigesehnt werden. Das ist weder in Athen der Fall, wo man es sich in den klientelistischen Strukturen eingerichtet hat, noch in Paris und Rom. In allen drei Fällen wird mysteriösen externen Kräften die Schuld am beklagenswerten Zustand der eigenen Wirtschaft zugeschoben – wechselweise den bösen Finanzmärkten oder dem deutschen Finanzzuchtmeister. Solange aber andere Mächte oder Strukturen für die eigene Erfolglosigkeit verantwortlich gemacht werden, wird es nicht zu Reformen kommen. Und es ist zweifelhaft, dass die nötige Selbsterkenntnis noch rechtzeitig einkehren wird, damit die Eurozone endlich aus dem Krisenmodus herauskommt.

Griechischer Lackmustest

Nach dem Wechsel im Athener Finanzministerium vom bunt-schillernden Giannis Varoufakis zum biederen Euklid Tsakalotos ging es ganz flott: Während Ersterer in fünf Monaten das Vertrauen von Investoren, Konsumenten und den anderen Euro-Regierungen verspielte, Griechenland in die Rezession riss und an den Rand eines Grexits brachte, kann Letzterer nach nur drei Wochen Verhandlungen eine Grundsatzeinigung für ein neues Hilfsprogramm vorweisen. Die Gläubigervertreter von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds haben zwar ihre Reformforderungen verschärft, dafür aber die Budgetauflagen deutlich gelockert. Das ist zum einen der dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage geschuldet, zum anderen aber auch der Erkenntnis, dass Athen die Einigung den Bürgern erst einmal vermitteln muss. Das Land steht schließlich kurz vor dem Chaos, eine gesellschaftliche Spaltung droht. Sollten nun das Athener Parlament und die Euro-Regierungen dem Ergebnis zustimmen, wäre zumindest ein Grexit vorerst vom Tisch. Die Beteiligten könnten sich um den Wiederaufbau und die Umstrukturierung der Wirtschaft kümmern, dem Land und seinen Menschen eine Perspektive geben – Grundvoraussetzung für eine Wende zum Besseren.

Allerdings wird erst jetzt klar, wie tief die politischen Verletzungen sind, die durch die Athener Provokationen der vergangenen Monate und die anschließende emotionale Eskalation geschlagen wurden: Das Vertrauen in die Reformfähigkeit und Reformwilligkeit Griechenlands hat sich komplett verflüchtigt. Auch wenn Athen sich nun zu Strukturveränderungen bekennt und sogar in Vorleistung tritt – es fehlt schlicht der Glaube, dass die Gesetze auch umgesetzt werden. Zu oft haben Verwaltungen und Gerichte Reformen verschleppt, verwässert, verdreht und missachtet. Nicht nur in Deutschland ist man skeptisch, sondern etwa auch in Finnland oder der Slowakei. Deshalb die Zurückhaltung bei der Bewilligung einer extrahohen ersten Hilfstranche, darum die Forderungen nach „prior actions“, bevor das Geld fließt, und deswegen die Verweigerung von Schuldenerleichterungen bereits zum Start des Hilfsprogramms.

Athen muss jetzt liefern – und zwar zunächst den Beweis, dass es die neuen Vereinbarungen mit Leben erfüllt. Gerade weil er (noch) nicht vom griechischen Clansystem vereinnahmt ist, besteht Hoffnung, dass Regierungschef Alexis Tsipras den Augiasstall ausmisten und dem Land eine neue Perspektive geben könnte. Ein Hoffnungswert – mehr nicht.

Die Eurozone – eine Fußnote in der Geschichte?

Rückblick und Ausblick auf die ökonomischen Debatten über den suboptimalen Währungsraum in Europa – Milton Friedman war Skeptiker von Anfang an.

Die zähen und recht emotional geführten Verhandlungen beim Euro-Gipfel Anfang Juli in Brüssel über das Schicksal Griechenlands haben wieder einmal die Fragilität und Unvollkommenheit der Europäischen Währungsunion offengelegt. Ökonomen halten die im Umgang mit Griechenland und dem Verhalten Athens zutage getretenen Probleme und Verhaltensweisen denn auch nur für ein Symptom eines viel tiefer liegenden Problems. Deutlich zutage getreten ist etwa, wie tief gespalten der Euroraum politisch ist. Denn es geht letztlich um den Charakter der Währungsunion, worüber gestritten worden ist. Soll sie eine Transferunion darstellen oder doch eher ein regelbasiertes Bündnis? Außerdem wurde schmerzlich bewusst, dass es sich bei der Eurozone nicht um einen optimalen Währungsraum handelt, weil es bereits am Mindesten fehlt: neben der Notenbank eine handlungsfähige zentrale politische Entscheidungsgewalt. Stattdessen verhandelten die einzelnen Nationalstaaten darüber, wie man mit einem Mitglied umgehen soll, das sich nicht an Regeln hält. Nicht das gemeinsame Interesse an einem geeinten Europa hat dabei die Hand geführt, sondern die mehr oder weniger mächtigen nationalen Interessen und Vorstellungen einzelner Mitgliedsländer waren entscheidend bei der Kompromisssuche.

Schon lange haben Ökonomen davor gewarnt, dass die Eurozone an ihren – hier wieder zutage getretenen – inneren Widersprüchen scheitern wird. Und deshalb pflegten viele Volkswirte bereits in der Vergangenheit ein eher kritisches Verhältnis zur Europäischen Währungsunion. Star-Ökonom Nouriel Roubini etwa hat immer wieder den „Niedergang der Eurozone“ prophezeit oder ihr „letztes Gefecht“ ausgerufen. Der türkische Volkswirt Kemal Dervis sah die Eurozone bereits „am Abgrund“. Und Daniel Gros vom Brüsseler Center for European Policy Studies hat vor den Gefahren gewarnt, dass eine – wegen ihrer Unzulänglichkeiten – zu technisch und nationalstaatlich ausgerichtete Währungsunion ohne politischen Union nur die Demokratie aushebele.

In verschiedenen Facetten lässt sich ihre Argumentation immer auf ein grundlegendes Muster zurückführen, das Ökonomen bereits 1992 kurz nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht vorgegeben haben. In einem „Manifest“ warnten 62 deutsche Professoren vor einer überhasteten und fehlerhaften Einführung einer Gemeinschaftswährung. Würden die Wirtschaftsstrukturen nicht zuvor angeglichen, würde dies die westeuropäischen Staaten so starken ökonomischen Spannungen aussetzen, dass diese in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen und damit das Integrationsziel gefährden würden.

Im August 1997 schlug der Nobelpreisträger Milton Friedman in die gleiche Kerbe mit einer Denkschrift unter dem Titel „The Euro: Monetary Unity to Political Disunity?“. Frei übersetzt: Ist der Euro eine Art politischer Spaltpilz? Es scheint so, wenn man sich die Vorwürfe der Einzelstaaten und die Diskussionskultur am vergangenen Wochenende (beim Gipfel selbst und in den Medien) vor Augen führt.

Friedman verglich damals die USA mit der Eurozone und betonte, dass es Letzterer schon an der gleichen Sprache, der nötigen Jobmobilität, einer gemeinsamen Identität und vor allem an einer zentralen Instanz mit Durchgriffsrechten fehle. Dieser Mangel werde noch verschlimmert, weil die Eurozone im Gegensatz zu den USA auch einen rigideren Arbeitsmarkt und ein recht starres Lohngefüge aufweise. Alles Entwicklungen, so Friedman, die geradezu nach einem Währungspuffer rufen würden. Daher werde der Euro gerade nicht den erhofften Effekt haben, Deutschland und Frankreich so stark miteinander zu verbinden, dass ein Krieg in Europa künftig undenkbar erscheine. Vielmehr werde das Gegenteil eintreten, prophezeite er: „Die politischen Spannungen würden verschlimmert, weil ökonomische Schocks unterschiedlich verarbeitet und nicht mehr durch den Wechselkurs abgefedert werden.“ Friedmans Urteil: „Politische Einigkeit kann zwar den Weg für eine Währungsunion freimachen. Eine Währungsunion aber, die unter ungünstigen Umständen entstanden ist, wird den Weg zu einer politischen Union eher versperren.“

Im Herbst 2013, als die Krise in der Eurozone bereits viele Spannungsspitzen erlebt und viele Euro-Sondergipfel hinter sich hatte, aber niemand wusste, ob sie nun am Abflauen ist oder nur neue Kraft schöpft, gab es zwei Initiativen, welche vorschlugen, die Europäische Währungsunion auf eine neue – stabilere – Grundlage zu stellen. Eine unparteiische Gruppe deutscher Ökonomen, Rechtsanwälte und Politikwissenschaftler um Henrik Enderlein, Marcel Fratzscher und Clemens Fuest, die Glienecker Gruppe, knüpfte das Überleben der Eurozone an eine politische Union mit einem gemeinsamen Haushalt. Schließlich brauche eine monetäre Union einen Transfermechanismus, um die Folgen schwerer konjunktureller Einbrüche abzumildern, und obendrein eine legitime Regierung, damit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jederzeit und in allen Ländern gewährleistet werden könnten.

Dagegen hielt der ehemalige Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ashoka Mody die Etablierung einer politischen Union für unwahrscheinlich, weshalb er riet, sich wieder auf den Grundsatz des No-Bail-out zurückzuziehen – ergänzt um eine Insolvenzordnung für Staaten. Sobald Staaten budgetmäßig über die Stränge schlügen, würden sie von den Märkten sanktioniert. Insofern würden sich die Banken schon darauf einstellen, nicht mehr auf „sichere“ Staatsanleihen setzen zu können. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass Märkte nicht immer zeitnah reagieren, so dass Staaten Gelegenheit haben, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Halbwertszeit der Eurozone dürfte vor diesem Hintergrund eher in Jahren als Jahrzehnten zu messen sein.

D-Mark, Drachme, Bitcoins: Ersatzwährungen im Wartestand?

Die deutsch-deutsche Währungsunion vor 25 Jahren hat es gezeigt: Gutes Geld verdrängt schlechtes. Doch wenn ein Land aus der Währungsunion fällt, braucht es Notgeld. Im Kalten Krieg waren die Staaten diesbezüglich vorbereitet.

Deutsche Banknoten

Von Stephan Lorz, Frankfurt

In den Jahrzehnten des Kalten Krieges bis zur deutschen Einigung waren die Notenbanken des Westens und des Ostens auf das Schlimmste gefasst: Sollte der potenzielle Gegner die Wirtschaft durch die massenhafte Infiltration von Falschgeld schwächen, gab es „Ersatzgeld“. Um die damit einhergehende Destabilisierung etwa der D-Mark zu stoppen, hätte die Bundesbank nämlich die laufende Banknotenserie für ungültig erklärt und neue Geldscheine aus einem Vorrat in Umlauf gebracht. Das Notgeld – 15 Mrd. D-Mark in kleinen Scheinen – wurde in einem Bunker unter einem Schulungszentrum der Bundesbank in Cochem gelagert. Der Geldbestand wurde alle drei Monate stichprobenartig kontrolliert. Außer den Bundesbankprüfern durfte niemand den Bunker betreten.

Dass eine gewisse Vorsorge nötig ist, war den Notenbankern aus der Geschichte bekannt. Schon der sowjetrussische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin sagte: „Wer die Kapitalisten vernichten will, muss ihre Währung zerstören.“ Und da die D-Mark im Laufe der fünfziger Jahre bis hin zur Europäischen Währungsunion der ganze Stolz der westdeutschen Nation war, galt sie als potenzielles Angriffsziel geheimdienstlicher Aktionen. Zumal man wusste, dass auch das Hitler-Regime im „Dritten Reich“ in großem Stil Pfund-Noten gefälscht und in Umlauf gebracht hatte.

Auch für den Fall einer neuen Hyperinflation schien eine Ersatzwährung die richtige Vorsorge zu sein. Die Deutschen hatten diesbezüglich ja ihre eigenen Erfahrungen gesammelt und das schier unvorstellbare Leid vor Augen, was sich letztendlich in ihr kollektives Gedächtnis eingebrannt und zu einer ausgeprägten Stabilitätskultur im Hinblick auf die Währungspolitik geführt hat.

Natürlich hatte die damalige DDR ebenfalls vorgesorgt und sogenanntes „Militärgeld“ als Ersatzwährung vorrätig: Alte Scheine wurden – neu gestempelt und überdruckt – in mehreren Depots in Grenznähe sowie in Ost-Berlin untergebracht. Offiziell „zur Verteidigung der Währung“, aber zugleich auch, um sie „in eroberten Gebieten zu verwenden“, wie es laut Bundesbank-Historiker Reinhold Walburg in manchen Dokumenten unverhohlen heißt.

Mit der deutsch-deutschen Währungsunion, die vor bald 25 Jahren am 1. Juli 1990 vollzogen wurde, waren die deutsch-deutschen Ersatzwährungen dann Geschichte. Die Lastwagen der Bundesbank brachten 440 Millionen D-Mark-Scheine in die damals noch existierende DDR. Münzen waren Mangelware, weshalb die im Westen eher weniger genutzten „Fünfer“ als Scheine verstärkt in Umlauf kamen.

Schon damals hatte man angesichts der steigenden Menge an Banknoten Zweifel, dass die nötige Anzahl für eine Ersatzwährung überhaupt herzustellen wäre. Deshalb wurde das Konzept aufgegeben. Man setzte bei der nächsten D-Mark-Serie stattdessen auf eine immer höhere Fälschungssicherheit durch immer neue technische Kniffe.

Auch für den Euro gibt es offiziell keine Ersatzwährung für den Krisenfall. Die Ausgabe neuer, noch fälschungssicherer Noten soll das überflüssig machen. Doch im Falle eines Auseinanderbrechens der Währungsunion oder im Falle des Exits eines Landes, wie er aktuell mit Griechenland droht, wäre man wohl froh, wenn es bereits gedrucktes Notgeld gäbe, das man schnell ersatzweise ausgeben könnte. Vielleicht haben andere Staaten und – konkret – Athen diesbezüglich bereits vorgesorgt. Entsprechende Druckplatten dürfte wohl jede Notenbank im Tresor haben. Hilfsweise müssten existierende Euro-Scheine einfach überstempelt werden, was eine Wertvernichtung darstellen würde, oder alte noch nicht zerstörte Drachmen-Noten würden neu ausgegeben.

Das wäre überflüssig, wenn das digitale Geld schon allumfassend eingesetzt und nutzbar wäre. Bislang mangelt es hier noch an der entsprechenden Ausstattung der Bürger und der Kassen, um via Handy oder Chip den Zahlungsvorgang durchzuführen. Dann genügte schon ein Update der Bankensoftware, um – ähnlich wie auf den Umstellungskonten der DDR-Bürger – den Euro in die Drachme umzumünzen. Die könnte dann sofort im Zahlungsverkehr eingesetzt werden. Für den unbaren Zahlungsverkehr wäre das schon heute kein Problem, aber bei der Barzahlung hapert es eben an entsprechenden physischen Noten.

Doch ob diese Entwicklung tatsächlich so positiv für die Bürger ist, wie es derzeit so manche Ökonomen hinstellen, ist fraglich. Abgesehen davon, dass damit auch der Freiraum der Bürger beschnitten wird, sie von staatlichen Stellen auf Schritt und Tritt erfasst und analysiert werden könnten, würde auch das Vertrauen in die Währung untergraben, wenn das Volk etwa stabilitätsgefährdendem Wirken der Notenbanken nicht mehr entrinnen könnte. Negativzinsen könnten per Tastendruck allumfassend durchgesetzt werden. Wenn das um sich greift, bliebe nur noch die Flucht in eine tatsächlich staatsfreie Währung: Bitcoins. Je mehr Notenbanken staatliche Gefälligkeitspolitik betreiben und durch unkonventionelle Instrumente langfristig die Preisstabilität untergraben, desto eher könnten Bitcoins zu einer echten Alternative und zu einer wahren Ersatzwährung heranreifen.

Die Beißhemmung der Athener Regierung

Der mangelnde Einigungswille von Tsipras & Co. zeigt sich nicht im Widerstand gegen Rentenkürzungen sondern in seinem Umgang mit den Vermögenden

In der hitzigen Debatte über den fehlenden Reformeifer Athens kommt es im Hinblick auf die vorgetragenen „Fakten“ immer wieder zur Konfusion. Zuletzt machte die Aussage die Runde, dass „die Griechen“ bereits mit 56,3 Jahren in Rente gingen. Dafür hätten die Steuerzahler anderer Länder, die das finanzieren müssten, überhaupt kein Verständnis.

 

GriechenlandNun taucht die Zahl tatsächlich in einigen Dokumenten auf, bezieht sich aber auf das Rentenzugangsalter von Staatsdienern. Das liegt auch in anderen Ländern niedriger als das allgemeine Rentenzugangsalter – nach all den von den Gläubigern Griechenlands geforderten Kürzungen hätte man aber erwarten können, dass auch dieses deutlich angehoben wurde. Das ist nicht der Fall.

Was das durchschnittliche Rentenzugangsalter in Griechenland angeht, so liegt es mit 61,9 Jahren gar nicht so weit entfernt von dem in Deutschland – aber mit dem Unterschied, dass man auch hier angesichts der Lasten, welche den Steuerzahlern in den Gläubigerstaaten auferlegt werden, als Gegenleistung ein höheres Alter erwartet hätte. In den der Troika vorgelegten griechischen Dokumenten ist gar nur von einem Renteneintrittsalter von 60,6 Jahren die Rede, was schrittweise bis 2020 auf 63,1 Jahren erhöht werden soll.

Die Statistiken der Industrieländerorganisation OECD, auf denen die Vergleiche beruhen, zeigen aber auch, dass das Durchschnittseinkommen der Rentner trotz der Krise vergleichsweise hoch liegt – höher etwa als in Polen, Ungarn oder Estland.

Dass die Armutsquote in Hellas trotzdem größer ist als in jenen Ländern, zeigt, wo das Grundproblem in Griechenland zu suchen ist: in der dramatischen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Insofern widersprechen sich die in der Öffentlichkeit immer wieder gegeneinander ausgespielten Positionen: Auf der einen Seite die Bilder eines Armenhauses, in dem die medizinische Versorgung Dritte-Welt-Niveau erreicht hat und Hilfsorganisationen gerade noch eine Hungersnot verhindern. Und auf der anderen Seite die enorme Kapitalflucht der Vermögenden. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts sind inzwischen 99 Mrd. Euro per Überweisung von griechischen Privatkonten abgeflossen, 43 Mrd. wurden in bar ins Ausland gebracht. Das entspricht 79 % des BIP von 2014. Laut griechischen Medienberichten hoben die Griechen allein vom 3. bis zum 5. Juni mehr als 1,2 Mrd. Euro von ihren Konten ab.

Es ist jene Doppelmoral Athens, welche die Steuerzahler der Gläubigerländer zur Zeit in Rage bringt: Auf der einen Seite wird Geld gefordert, damit der Staatssektor sich wieder aufplustern und die Löhne anheben kann. Auf der anderen Seite tut aber eine sozialistisch-kommunistisch geprägte Regierung nichts, um zunächst die Vermögenden des eigenen Landes stärker zur Steuerzahlung heranzuziehen. Vielmehr werden – wie die Reedereien – ganze Sektoren quasi steuerfrei gestellt. Die Beißhemmung der Regierungspartei Syriza unterscheidet sich da in keinster Weise von der Beißhemmung ihrer Vorgängerregierungen

Ökonomische Irrfahrten

Austerität! schallt es in diesen Tagen vielstimmig daher, wenn es um die Sparauflagen für Griechenland geht. Zahlreiche meinungsstarke und oftmals tonangebende Ökonomen verunglimpfen die geforderte Haushaltskonsolidierung als „Spardiktat“. Sie richte „unfassbaren Schaden“ an, heißt es. Deutschland, so der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, habe in der Europolitik versagt. Und sein Nobelkollege Paul Krugman rät zu „intelligenteren Alternativen als Sparen“, meint damit aber schlicht mehr Staatsausgaben. Athen dürfte sich im Widerstand gegen Brüssel und Berlin bestätigt fühlen.

Was aber treibt prominente Ökonomen zu derlei Parteinahme? Gewiss hat das Leiden der griechischen Bevölkerung inzwischen ein Maß erreicht, das eine selbstkritische Überprüfung der bisherigen Politik nötig macht. Aber die von Athen verlangte Konsolidierung ist keinesfalls so einzigartig radikal wie behauptet. Andere Länder hatten ähnliches durchstehen müssen und haben gleichwohl zum Wachstum zurückgefunden. Es ist ja nicht so, dass eine ganze Gesellschaft in die Knechtschaft getrieben, eine Volkswirtschaft kaputtgespart wird. Vielmehr lag und liegt es an Athen selber, die Konsolidierungslasten zu verteilen. Und dabei fällt auf, dass erst jetzt damit begonnen wird, Superreiche und Steuerflüchtlinge zur Finanzierung heranzuziehen. Naivität? Oder Absicht?

In der Austeritätsdebatte wird zudem schnell vergessen, dass Griechenland sich Ende 2009 in einer Lage befand, in der die Konsolidierung unausweichlich war angesichts eines Budgetdefizits von 15 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Selbst wenn man die Zinsaufwendungen von damals herausrechnet, waren es noch 10 %. Das fehlende Geld musste ja von irgendwoher kommen. Internationale Kapitalanleger verweigerten sich. Mit den Rettungsprogrammen konnten die erforderlichen Anpassungen zumindest hinausgezögert werden, um sie sozial verträglicher zu gestalten. Zudem wird verkannt, dass von „Austerität“ schlicht keine Rede sein kann: Erst 2014 wurde unter Herausrechnung des Schuldendienstes ein winziger Primärüberschuss erzielt. Ist es schon Austerität, wenn ein Land das Defizit nur verringert?

Griechenland könnte ja den argentinischen Weg gehen, die Pleite erklären und den Schuldendienst einstellen, wie von Ökonomen gefordert. Vom Kapitalmarkt wäre es dann aber auf lange Sicht abgeschnitten. Und auf ausländische Hilfe könnte es nicht mehr hoffen. „Austerität“ wäre dann auf einen Schlag nötig – es sei denn, die nötigen Ausgaben würden von den Steuerzahlern anderer Länder finanziert. Schon die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte einst festgestellt: „Das Dumme am Sozialismus ist, dass einem immer das Geld der anderen ausgeht!“

Was treibt ökonomische Meinungsmacher dann dazu, eine notwendige Korrektur der griechischen Haushaltspolitik zu torpedieren? Wohl allein die Hoffnung, dass der Multiplikator der Staatsausgaben größer als „1“ ist und die Mehrausgaben sich damit über höhere Investitionen und mehr Konsum – also stärkeres Wachstum – mehr als bezahlt machen. Die Vergangenheit aber hat gezeigt, dass das nur unter besonderen Umständen möglich ist. Es gilt nicht für ein Land, das einfach über seine Verhältnisse gelebt hat. Was macht manche Ökonomen ferner so sicher, dass sich Wachstum bereits einstellt, ohne die Wirtschaft zunächst auf mehr Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen? Und woher nehmen sie ihren Glauben, dass das Land die höhere Schuldenlast in besseren Zeiten tatsächlich zurückzahlen wird? Griechenland hat zuletzt 1972 echte schwarze Zahlen geschrieben. Wie kann das Kalkül also aufgehen? Ohne äußeren Druck von Seiten der Anleger und staatlichen Geldgebern ist da nichts zu machen. Also bringen die Ökonomen nun die Geldpolitik in Stellung. Die Europäische Zentralbank wird als Staatsfinancier missbraucht. Das sei „moderne Geldpolitik“, heißt es. Neue gewaltige Risiken tun sich damit aber auf.

Manchen tonangebenden Ökonomen scheint eine gewisse Hybris zu eigen. Dabei haben sie schon bei der Finanzkrise versagt, als sie ihre Vorzeichen nicht sahen. Warum sollten sie jetzt besser liegen, da sie der Politik nun artig das argumentative Rüstzeug für mehr Staatsausgaben liefern? Und wo endet diese Entwicklung, wenn man einer solchen Schuldenökonomie frönt? Das Grundvertrauen in die Währung geht verloren, was eine neue Krise hervorrufen wird. Auch das dürfte die ökonomischen Meinungsmacher dann erneut kalt erwischen. Sie werden sich aber sofort wieder anbieten mit ihrer „Expertise“ beim Aufbau einer neuen Geldordnung.