Die Beißhemmung der Athener Regierung

Der mangelnde Einigungswille von Tsipras & Co. zeigt sich nicht im Widerstand gegen Rentenkürzungen sondern in seinem Umgang mit den Vermögenden

In der hitzigen Debatte über den fehlenden Reformeifer Athens kommt es im Hinblick auf die vorgetragenen „Fakten“ immer wieder zur Konfusion. Zuletzt machte die Aussage die Runde, dass „die Griechen“ bereits mit 56,3 Jahren in Rente gingen. Dafür hätten die Steuerzahler anderer Länder, die das finanzieren müssten, überhaupt kein Verständnis.

 

GriechenlandNun taucht die Zahl tatsächlich in einigen Dokumenten auf, bezieht sich aber auf das Rentenzugangsalter von Staatsdienern. Das liegt auch in anderen Ländern niedriger als das allgemeine Rentenzugangsalter – nach all den von den Gläubigern Griechenlands geforderten Kürzungen hätte man aber erwarten können, dass auch dieses deutlich angehoben wurde. Das ist nicht der Fall.

Was das durchschnittliche Rentenzugangsalter in Griechenland angeht, so liegt es mit 61,9 Jahren gar nicht so weit entfernt von dem in Deutschland – aber mit dem Unterschied, dass man auch hier angesichts der Lasten, welche den Steuerzahlern in den Gläubigerstaaten auferlegt werden, als Gegenleistung ein höheres Alter erwartet hätte. In den der Troika vorgelegten griechischen Dokumenten ist gar nur von einem Renteneintrittsalter von 60,6 Jahren die Rede, was schrittweise bis 2020 auf 63,1 Jahren erhöht werden soll.

Die Statistiken der Industrieländerorganisation OECD, auf denen die Vergleiche beruhen, zeigen aber auch, dass das Durchschnittseinkommen der Rentner trotz der Krise vergleichsweise hoch liegt – höher etwa als in Polen, Ungarn oder Estland.

Dass die Armutsquote in Hellas trotzdem größer ist als in jenen Ländern, zeigt, wo das Grundproblem in Griechenland zu suchen ist: in der dramatischen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Insofern widersprechen sich die in der Öffentlichkeit immer wieder gegeneinander ausgespielten Positionen: Auf der einen Seite die Bilder eines Armenhauses, in dem die medizinische Versorgung Dritte-Welt-Niveau erreicht hat und Hilfsorganisationen gerade noch eine Hungersnot verhindern. Und auf der anderen Seite die enorme Kapitalflucht der Vermögenden. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts sind inzwischen 99 Mrd. Euro per Überweisung von griechischen Privatkonten abgeflossen, 43 Mrd. wurden in bar ins Ausland gebracht. Das entspricht 79 % des BIP von 2014. Laut griechischen Medienberichten hoben die Griechen allein vom 3. bis zum 5. Juni mehr als 1,2 Mrd. Euro von ihren Konten ab.

Es ist jene Doppelmoral Athens, welche die Steuerzahler der Gläubigerländer zur Zeit in Rage bringt: Auf der einen Seite wird Geld gefordert, damit der Staatssektor sich wieder aufplustern und die Löhne anheben kann. Auf der anderen Seite tut aber eine sozialistisch-kommunistisch geprägte Regierung nichts, um zunächst die Vermögenden des eigenen Landes stärker zur Steuerzahlung heranzuziehen. Vielmehr werden – wie die Reedereien – ganze Sektoren quasi steuerfrei gestellt. Die Beißhemmung der Regierungspartei Syriza unterscheidet sich da in keinster Weise von der Beißhemmung ihrer Vorgängerregierungen