Wirtschaftswissenschaft

Ökonomische Irrfahrten

Austerität! schallt es in diesen Tagen vielstimmig daher, wenn es um die Sparauflagen für Griechenland geht. Zahlreiche meinungsstarke und oftmals tonangebende Ökonomen verunglimpfen die geforderte Haushaltskonsolidierung als „Spardiktat“. Sie richte „unfassbaren Schaden“ an, heißt es. Deutschland, so der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, habe in der Europolitik versagt. Und sein Nobelkollege Paul Krugman rät zu „intelligenteren Alternativen als Sparen“, meint damit aber schlicht mehr Staatsausgaben. Athen dürfte sich im Widerstand gegen Brüssel und Berlin bestätigt fühlen.

Was aber treibt prominente Ökonomen zu derlei Parteinahme? Gewiss hat das Leiden der griechischen Bevölkerung inzwischen ein Maß erreicht, das eine selbstkritische Überprüfung der bisherigen Politik nötig macht. Aber die von Athen verlangte Konsolidierung ist keinesfalls so einzigartig radikal wie behauptet. Andere Länder hatten ähnliches durchstehen müssen und haben gleichwohl zum Wachstum zurückgefunden. Es ist ja nicht so, dass eine ganze Gesellschaft in die Knechtschaft getrieben, eine Volkswirtschaft kaputtgespart wird. Vielmehr lag und liegt es an Athen selber, die Konsolidierungslasten zu verteilen. Und dabei fällt auf, dass erst jetzt damit begonnen wird, Superreiche und Steuerflüchtlinge zur Finanzierung heranzuziehen. Naivität? Oder Absicht?

In der Austeritätsdebatte wird zudem schnell vergessen, dass Griechenland sich Ende 2009 in einer Lage befand, in der die Konsolidierung unausweichlich war angesichts eines Budgetdefizits von 15 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Selbst wenn man die Zinsaufwendungen von damals herausrechnet, waren es noch 10 %. Das fehlende Geld musste ja von irgendwoher kommen. Internationale Kapitalanleger verweigerten sich. Mit den Rettungsprogrammen konnten die erforderlichen Anpassungen zumindest hinausgezögert werden, um sie sozial verträglicher zu gestalten. Zudem wird verkannt, dass von „Austerität“ schlicht keine Rede sein kann: Erst 2014 wurde unter Herausrechnung des Schuldendienstes ein winziger Primärüberschuss erzielt. Ist es schon Austerität, wenn ein Land das Defizit nur verringert?

Griechenland könnte ja den argentinischen Weg gehen, die Pleite erklären und den Schuldendienst einstellen, wie von Ökonomen gefordert. Vom Kapitalmarkt wäre es dann aber auf lange Sicht abgeschnitten. Und auf ausländische Hilfe könnte es nicht mehr hoffen. „Austerität“ wäre dann auf einen Schlag nötig – es sei denn, die nötigen Ausgaben würden von den Steuerzahlern anderer Länder finanziert. Schon die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte einst festgestellt: „Das Dumme am Sozialismus ist, dass einem immer das Geld der anderen ausgeht!“

Was treibt ökonomische Meinungsmacher dann dazu, eine notwendige Korrektur der griechischen Haushaltspolitik zu torpedieren? Wohl allein die Hoffnung, dass der Multiplikator der Staatsausgaben größer als „1“ ist und die Mehrausgaben sich damit über höhere Investitionen und mehr Konsum – also stärkeres Wachstum – mehr als bezahlt machen. Die Vergangenheit aber hat gezeigt, dass das nur unter besonderen Umständen möglich ist. Es gilt nicht für ein Land, das einfach über seine Verhältnisse gelebt hat. Was macht manche Ökonomen ferner so sicher, dass sich Wachstum bereits einstellt, ohne die Wirtschaft zunächst auf mehr Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen? Und woher nehmen sie ihren Glauben, dass das Land die höhere Schuldenlast in besseren Zeiten tatsächlich zurückzahlen wird? Griechenland hat zuletzt 1972 echte schwarze Zahlen geschrieben. Wie kann das Kalkül also aufgehen? Ohne äußeren Druck von Seiten der Anleger und staatlichen Geldgebern ist da nichts zu machen. Also bringen die Ökonomen nun die Geldpolitik in Stellung. Die Europäische Zentralbank wird als Staatsfinancier missbraucht. Das sei „moderne Geldpolitik“, heißt es. Neue gewaltige Risiken tun sich damit aber auf.

Manchen tonangebenden Ökonomen scheint eine gewisse Hybris zu eigen. Dabei haben sie schon bei der Finanzkrise versagt, als sie ihre Vorzeichen nicht sahen. Warum sollten sie jetzt besser liegen, da sie der Politik nun artig das argumentative Rüstzeug für mehr Staatsausgaben liefern? Und wo endet diese Entwicklung, wenn man einer solchen Schuldenökonomie frönt? Das Grundvertrauen in die Währung geht verloren, was eine neue Krise hervorrufen wird. Auch das dürfte die ökonomischen Meinungsmacher dann erneut kalt erwischen. Sie werden sich aber sofort wieder anbieten mit ihrer „Expertise“ beim Aufbau einer neuen Geldordnung.

Die Amerikanisierung der Eurozone

Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz
Soll die Eurozone insgesamt wieder auf die Beine kommen, muss sich der Währungsraum nach Meinung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz von althergebrachten ökonomischen Vorstellungen verabschieden und – so möchte man hinzufügen – amerikanischer werden: Weg mit der Austerität, solange das Bankensystem nicht stabil genug ist und zu wenig Kredite vergibt; weg mit der Fixierung auf Schuldenstands- und Defizitquoten, weil deren Missachtung ja gerade nicht zur Euro-Krise geführt hat, wie etwa die niedrigen Vorkrisenquoten in Irland, Spanien und Portugal zeigen. Stattdessen muss das Preisstabilitätsmandat der Europäischen Zentralbank (EZB) um ein Arbeitslosen- und Finanzstabilitätsziel ergänzt werden, braucht es eine echte Bankenunion im Euroraum, eine europäische Arbeitslosenversicherung und – natürlich – Euroland-Bonds. Erst diese Eingriffe würden die Eurozone nachhaltig stabilisieren und das Wachstum wieder auf Normalmaß heraufschleusen, versichert Stiglitz bei einer Veranstaltung von Shearman & Sterling in Frankfurt.

Wenn Deutschland immer wieder Austerität predige, die Einhaltung von Fiskalversprechen einfordere, sich aber einem Finanzausgleich im Währungsraum verweigere, sich nicht der Konsequenzen eines einheitlichen Währungsraums stelle, würden die Deutschen in nicht allzu ferner Zukunft einen wohl noch höheren Preis zahlen müssen, prophezeit Stiglitz. „Ich möchte mir gar nicht ausmalen, welche politischen Folgen es hat, wenn die Arbeitslosenraten in der Eurozone noch längere Zeit so hoch sind wie jetzt.“

In deutschen Ohren klingt derlei Politikschelte in der Tat schmerzhaft, weil Stiglitz‘ Argumentation Vorstellungen von Ordnungspolitik und der Begrenzung staatlicher und zentralbanklicher Macht mit einem Wisch fortfegt. Mehr Industriepolitik, fordert er etwa. Davon gebe es in Europa zu wenig. Die USA seien da viel weiter. Es werde nur nicht „Industriepolitik“ genannt, sondern verstecke sich hinter den „Ausgaben des Defence Department“.

Stiglitz redet zudem einer ökonomischen Feinsteuerung durch die Notenbank das Wort, die hierzulande verpönt ist. Auch das Bankensystem soll nach seinem Dafürhalten nicht rigoros von der Staatssphäre abgekoppelt werden, wie in Europa angestrebt wird, weil das Finanzsystem nur durch einen „Blankoscheck“ der jeweiligen Regierung Krisen überstehen könne. Und auch die Staatsverschuldung sei im Grunde genommen kein Problem, solange die Notenbank einfach Geld drucken könne. Das funktioniere im Euroraum nur deshalb nicht so gut wie in den USA, weil die Staaten keinen Zugriff auf diese Finanzierungsmethode hätten. Stiglitz: „Die USA werden nie eine Schuldenkrise haben, weil es das eigene Geld ist, in dem sie sich verschulden. Und das kann man schnell nachdrucken.“

Ein möglicher Vertrauensverlust in die Währung schert ihn ebenso wenig wie das Ausnutzen von derlei „Versicherung“ durch das Bankwesen. „Marktwirtschaft“ unterscheidet sich vor diesem Hintergrund gar nicht mehr so sehr von anderen Wirtschaftskonzepten wie Planification – eine Art Notenbank-Sozialismus eben.

Was der US-Topökonom richtig beschreibt, sind die Probleme, die sich Europa durch die aus ökonomischer Sicht überhastet eingeführte Währungsunion eingehandelt hat. Das Gebiet stellt in keinster Weise einen optimalen Währungsraum dar. Zu groß die kulturellen, ökonomischen und politischen Unterschiede, zu wenige gemeinsame Institutionen und nicht einmal ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft, wenn es etwa darum geht, die einmal eingegangenen Versprechen auch zu halten und die nötigen Reformen durchzuführen. Stattdessen ist Flickschusterei angesagt, wie die Einrichtung eines Eurorettungsfonds und einer bei der EZB angeflanschten Bankenaufsicht für die größten Institute.

Was Stiglitz aber außer Acht lässt, ist, dass es ja gerade jene bislang ausgebliebenen Reformen sind, die Länder wie etwa aktuell Frankreich dazu befähigen sollen, eine stabile Binnennachfrage zu etablieren und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu steigern. Es ist diese Unfähigkeit der politischen Eliten in diesen (und anderen) Ländern, welche die Eurozone immer wieder neuen Belastungsproben aussetzt und den Groll in der Bevölkerung gegenüber dem Verhalten anderer Länder steigert.

Umgekehrt hat ja auch der von Stiglitz empfohlene ökonomische Umbau seine Schattenseiten, die der Ökonom fairerweise nicht vorenthält: Niedrigzinsen bzw. Minuszinsen sowie die Ankaufprogramme der Notenbanken können in eine Blasenwirtschaft münden, was die nächste Krise vorherbestimmt. Stiglitz‘ ökonomische Rezeptur bevorteilt zudem Vermögende und hohe Einkommen, was die soziale Ungleichheit immens vergrößert und selber wiederum für politischen Zündstoff sorgt. Hinzu kommt, dass das auf diese Weise initialisierte Wachstum weniger neue Arbeitsplätze schafft als in früheren Aufschwungphasen. Niedrigste Zinsen verführen nämlich zu kapitalintensiven Investitionen, die nur wenige neue Jobs hervorbringen – und noch existente Arbeitsplätze zudem gefährden. Das bringt den Nobelpreisträger wieder auf den Gedanken, dass der Staat hier mit eigenen Investitionen in die Infrastruktur vorpreschen muss, um diese Probleme zu lindern. Ein Eingriff folgt auf den nächsten. Am Schluss dürften von freien Märkten nur noch ein paar Nischen übrigbleiben.

Und was heißt das für die Zukunft der Währungsunion? Stiglitz: „Eine Auflösung wäre keine gute Lösung. Aber es gibt immer auch ein Leben nach der Scheidung.“