Internet

Digitale Freiheitsberaubung

Von Stephan Lorz

Die Freiheitsberaubung durch das Internet kommt schleichend daher. Nur wenige Nutzer in den digitalen Gefilden bemerken diesen Angriff auf unsere Selbstbestimmung, weil es sich dabei um eine besondere Form eines Computervirus handelt, das wir uns bei unseren Streifzügen mit dem Rechner, dem Tablet oder dem Smartphone einhandeln. Gemeint ist nicht einer dieser programmierten Quälgeister, die Festplatten löschen, Rechner hijacken und für die „Freilassung“ Lösegeld verlangen, oder persönliche Daten stehlen, um mit fremden Kreditkarten auf Shoppingtour zu gehen. Sondern es ist ein Psycho-Virus, das die Schwächen unserer intellektuellen Immunabwehr ausnutzt: die Bequemlichkeit und die Schnäppchenjägerinstinkte. Beides setzt oft die Vernunft und das kritische Denken außer Kraft.

Was steckt dahinter? Algorithmen lenken immer unverhohlener unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Produkte und Nachrichten, kommen mit dem Versprechen von Authentizität, Objektivität und individuellem Zuschnitt daher. Das freut die meisten Nutzer, weil sich ihre Interessen durchaus decken mit den Vorschlägen von Amazon, Facebook, Google und vergleichbaren Unternehmen in den Weiten des Internet. Dass dafür unser Suchverhalten, unser digitales und analoges Leben ausspioniert und miteinander in den Big-Data-Clouds verknüpft werden, nehmen die meisten dabei sogar in Kauf, weil es ja bequem ist: Der Internet-Browser ist an allen Rechnern identisch konfiguriert, man findet sich sofort zurecht. Überall sind meine Daten, meine Musik, meine Fotos und meine Freunde sowie Kontakte greifbar, weil sie in der Cloud gespeichert und verknüpft sind. Und selbst meinen Warenkorb kann ich überall mit hinnehmen.

Der Mechanismus funktioniert in abgewandelter Form auch für Angebote wie Uber oder AirBnB, die „Mitfahrgelegenheiten“ und „Ferienwohnungen“ bzw. Schlafstätten vermitteln. Wegen ein paar günstigerer Taxifahrten etwa wird hingenommen, dass das Steuer- und Sozialversicherungssystem ausgehebelt wird und sich neue Risiken auftun, die Profite aber weitgehend beim Vermittlungsunternehmen im Ausland landen. Märkte würden lediglich von alten Zöpfen befreit und viel effizienter ausgestaltet, heißt es. Alles werde bequemer – ein Klick genüge. Zwar verlören ein paar Taxifahrer und Hotelangestellte ihre Jobs, dafür aber könne alles billiger angeboten werden. Der Kunde ist König, gibt dafür aber darüber hinaus seine Anonymität preis, wie jüngst bei der Auswertung von Daten zu One-Night-Stands offengelegt worden ist. Das lässt sich prima auswerten.

Auch in der „Industrie 4.0“ werden digitale Schätze gehoben, wenn es etwa um jene Daten geht, die eine Heizungsanlage sammelt, die moderne Autos beim Fahren produzieren oder die eine Smartwatch bzw. ein Fitnessarmband weitermeldet. Versicherungen, Arbeitgeber und Datensammelstellen von Konsumunternehmen sind schon ganz scharf auf diese neuen Schürfmöglichkeiten, die es gilt auszuwerten und mit bestehenden Informationen zu verknüpfen.

Für die Menschen wird das Leben gefühlt tatsächlich leichter, weil der „digitale Butler“ in der Uhr oder im vernetzten Heim aus den gesammelten Informationen der Vergangenheit längst errät, was der Kunde (Proband, Abhängige) will, wonach er sich sehnt. Hat er seine Kreditkarte hinterlegt, kann auch gleich der zur Befriedung der Bedürfnisse notwendige Kauf von Nahrungsmitteln, Filmen oder Gadgets exekutiert werden.

Was die meisten aber nicht wissen und nur wenige ahnen: Die anonyme Auswertung unserer Daten führt zu einer Uniformität und Ausbeutung, die in keinem Verhältnis zu der damit gewonnenen Bequemlichkeit mehr steht. Ausgehend von den in den Daten werden die Menschen durch sanften Druck – Ökonomen sprechen vom Nudging – zu schablonenhaften Verhaltensweisen „erzogen“, was ihnen aber zunächst gar nicht auffällt, weil es sukzessive erfolgt und die Abweichung von ihrer eigenen Prägung zunächst sehr gering ist. Denn sie finden in den „Vorschlägen“ von Apps und Internet-Marktplätzen ja immer wieder eine Bestätigung ihrer eigenen Wünsche. Längst sind sie aber in eine Informationswolke gehüllt, die bereits eine Auswahl darstellt, gleichwohl aber das Gefühl vermittelt, dem freien Willen seinen Lauf zu lassen. Nach und nach werden die Kunden dann in Schubladen ablegt, um sie für den Kommerz besser handhabbar und ausnutzbar zu machen. Das Scoring bei Kreditauskunfteien ist hier nur ein Beispiel von vielen.

Wer sich dem entziehen will, oder durch abnormes und überraschendes Verhalten auffällt, wird aus diesem Raster getilgt oder mit Sanktionen belegt. Wenn sich nur genug Kunden etwa bei Versicherungen für einen günstigeren Tarif einschreiben, der aber die Auswertung von persönlichen Fitnessdaten zur Voraussetzung macht, dreht sich das Machtverhältnis um. Dann werden alle anderen, die das nicht tun wollen, bewusst in deutlich höhere Tarife eingruppiert – gewissermaßen zur Strafe, weil sie dem Unternehmen ihre intimen Daten vorenthalten. Soziale Kontrolle über den Geldbeutel. Das hat etwas von einer Diktatur.

Doch damit ist die digitale (Uni-)Formierung der Menschen nicht beendet: Algorithmen sorgen dafür, dass das Profitinteresse ihrer Auftraggeber in der Netzökonomie immer weiter in den Vordergrund rückt und immer dreistere Züge nimmt. Inzwischen zeigt auch Google (Leitspruch: Don’t be evil!) hier sein wahres Gesicht. Mittlerweile wird Werbung selbst unter die Suchergebnisse von News-Seiten geschmuggelt. Sie kommt schlicht als Neuigkeit daher und formt das Weltbild mit – im Sinne der Werbetreibenden. Eine Auswertung von Nachrichten in sozialen Netzwerken (FAZ vom 14.3.2015) hat ergeben, dass die Entwicklung bereits weit fortgeschritten ist. Die tatsächlichen Nachrichten werden verdrängt durch belanglose aber werberelevante Informationsschnipsel.

Immer enger umgeben uns die großen Anbieter im Netz mit eine Weltsicht, die uns eine heile Kommerzwelt vorgaukelt, die nur unser Bestes will, und dafür wichtige Informationen vorenthält. Oft kommen sie als treusorgender allgegenwärtiger Schatten daher, der uns jeden Wunsch von den Augen abliest. Etwa Amazons Kommerzspion „Echo“, das im Wohnzimmer aufgestellt als Lautsprecher fungiert, zugleich aber nebenbei geäußerte Produktwünsche automatisch in den Warenkorb des Unternehmens verfrachtet – ein Klick genügt, und Amazon ist um eine Bestellung reicher. Schlimmer: Die neue „Hello Barbie“-Puppe von Mattel spioniert selbst die Kleinsten aus und meldet deren Äußerungen nicht nur den Eltern, sondern auch kommerziellen Anbietern. Man kann sich leicht ausmalen, wie schnell vom Kind geäußerte Wünsche etwa nach einem Inline-Skates und anderem von der Werbung ausgeschlachtet und die Eltern damit über diverse Kanäle malträtiert werden bis sie mürbe geworden sind.

Mit der in der Geschichte der Menschheit hart erkämpften Freiheit ist es unter diesen Umständen dann längst vorbei, weil die Widerstandskraft einfach nicht ausreicht, sich der ständigen Attacken der Konsumindustrie zu erwehren. Über die Ausspähversuche der amerikanischen NSA oder des Bundesnachrichtendienstes (BND) wird hinlänglich und emotional debattiert, weil sie eine Gefahr für die Demokratien dieser Welt darstellten, heißt es. Doch eine Diskussion über die Ausbeutung privater Daten durch Unternehmen und die damit einhergehenden subtilen Mechanismen in der Internet-Kommunikation, die den Freiheitsdrang betäuben und die uniformierten Nutzer in einen Kokon aus Bequemlichkeit einhüllen, darüber wird sich allenfalls in elitären Zirkeln ausgetauscht. Es fehlt hier noch an der Sensibilität für dieses Thema – oder an einem entsprechenden Daten-GAU, der die Problematik allen Menschen bewusst macht.

Wird unsere Freiheit also dahinschmelzen und einer digitalen Gedankenpolizei Platz machen, welche die Menschen dann nicht einmal mehr als einengend empfinden, weil sie schon längst kompatibel gemacht worden sind für die Herrschaft der Internetkonzerne? Denn wer in der Zukunft nicht die nötigen digitalen Fähigkeiten mitbringt, um sich den subtilen Mechanismen zu entziehen, müsste schon in die analoge Welt fliehen. Doch dann ist er von dem oft auch beruflich notwendigen Datenstrom abgenabelt. Es ist deshalb auch eine Frage für unsere demokratische Gesellschaft. Denn die Einflussversuche machen ja nicht halt beim Kommerz, sondern formen auch – bewusst oder unbewusst – unser Wahlverhalten, wie der US-Verhaltensforscher Rob Epstein warnt. So habe der Google-Algorithmus mächtigen Einfluss auf den Ausgang von Wahlen in Indien und den USA gehabt. Es ist also an der Zeit, dass die Politik sich dieses Themas mit aller Ernsthaftigkeit annimmt – sofern es nicht schon zu spät ist.

Aschaffenburg, den 18. März 2015

Digitale Ökonomie: Deutschland braucht ein Firmware-Update

Die Politik hinkt der digitalen Umgestaltung hinterher – Flächendeckende schnelle Internetverbindungen sind nur ein erster Schritt – Der Strukturwandel steckt fest

Von Stephan Lorz

Die Sensoren sitzen überall am Körper – im Armband, in der Uhr, im Brillengestell und künftig wohl auch unter der Haut. Sie fühlen, protokollieren, regeln und verbinden uns Menschen mit dem Internet, wo wir einsortiert werden mit unserer Gesundheit, Leistungskraft, unseren Verhaltensweisen – und mit einem ominösen Durchschnitt verglichen werden. Die Digitalisierung des Menschen, wie sie im sogenannten Life-Logging zum Ausdruck kommt, hat aber nicht nur Auswirkungen auf das persönliche Umfeld, sondern in ihrer Formenvielfalt auch das Potenzial, die Gesellschaft insgesamt, soziale Institutionen und die ökonomische Basis völlig zu verändern. Die neuen Machtverhältnisse werfen Fragen nach dem Wesen und dem Ziel des Wirtschaftens auf, nach der Funktionalität ökonomischer Strukturen und dem Schutz der Privatsphäre. Zugleich geschieht der Wandel mit einer Geschwindigkeit, mit der demokratisch verfasste Gesellschaften kaum mithalten können.

Irritiert müssen sie etwa hinnehmen, dass schon jetzt Versicherungen ihren Kunden besonders günstige Tarife anbieten, sofern sie sich bereiterklären, ihre Gesundheit und sportliche Aktivitäten durch eine App überwachen zu lassen. Die einen sprechen von einer Gesundheitsdiktatur, die anderen von den nötigen Anreizen für ein gesünderes Leben. Der Datenschutz wird ausgehebelt, der Mensch gibt sich – vielfach aus Bequemlichkeit – Konzernen preis, die auf dieser Basis ihrerseits zu mächtigen Marktakteuren heranreifen. Das gefährdet für sich genommen wiederum das Kernelement einer Marktwirtschaft, den Wettbewerb. Die offenkundigen Monopolisierungstendenzen im Digitaluniversum haben bereits das Europaparlament auf den Plan gerufen, das wegen der Marktdominanz sogar die Zerschlagung etwa des Suchmaschinenbetreibers Google fordert.

Marktdominanz nimmt zu

Was bringt die Digitalkonzerne aber in eine solche starke Position? Es sind die Netzwerkeffekte, die im weltumspannenden Internet schneller greifen und stärker wirken als in der Realwirtschaft, weil Transaktionskosten kaum mehr eine nennenswerte Größenordnung darstellen und die Produkte hypermobil sind. Auf diese Weise steigen Unternehmen, welche neue Plattformen im Internet anbieten, wie der Taxivermittler Uber, rasant zu markbeherrschenden Konzernen auf. Durch die steigenden Nutzer- und Anbieterzahlen auf der Plattform erhöht sich nämlich deren Attraktivität. Auch die Qualität der Treffer bei Suchanfragen erhöht sich mit der Zahl der Menschen, die mit Google suchen. Wer zu spät kommt, hat schon fast verloren, weil er nicht an jene kritische Größe heranreicht. Daraus erwachsen schnell monopolartige Strukturen.

Daniel Zimmer, Chef der Monopolkommission, wundert sich hingegen über die scharfe Kritik, die Google entgegenschlägt. Die Europäer hätten ein „zwiespältiges Verhältnis zu amerikanischen Internetkonzernen“ sagt er und warnt vor Schnellschüssen bei der Regulierung. Nicht jedes Monopol sei per se schlecht. Denn gerade die Aussicht auf Monopolrenditen treibe im Internet Erfindergeist und Innovationen an. Komisch, dass man eine solche Argumentation in der Realwirtschaft nicht gelten lässt. Braucht das Internet also eine Regulierungsbehörde? Oder gibt es doch „gute“ Monopole?

Eine Debatte scheint auch deshalb sinnvoll, weil die Digitalisierung die Realwirtschaft immer weiter umformt und dabei althergebrachte Arbeitsmarktbeziehungen zu untergraben droht. Im Internet findet Wertschöpfung immer stärker in virtuellen Zusammenhängen statt. Das macht das Normalarbeitsverhältnis, an dem das ganze Sozialsystem hängt, zunehmend zum Auslaufmodell. Auch der Druck auf den Lohn wird dramatisch ansteigen, weil in der weltweiten Vernetzung etwa Bewerber aus Indonesien und Oberbayern um denselben Auftrag konkurrieren. Entsprechende Plattformen finden sich im Netz etwa unter dem Schlagwort „Amazon Mechanical Turk“, „Faktor 10“ oder „Kaggle“. Die Natur der digitalen Arbeit erhöht zudem die Kontrolle der Jobber, was Kritiker als ein Einfallstor für „modernes Sklaventum“ sehen.

Soziale Schere öffnet sich

Ferner können ganze Tätigkeitsbereiche wegfallen. Die Arbeitswelt polarisiert sich, sagt Arnold Picot von der Universität München. Die Experten an der Spitze der wirtschaftlichen Nahrungskette würden weiter an Einfluss gewinnen. Die am meisten gefährdeten Jobs lägen dabei gerade in der Mitte des Einkommensspektrums. Die soziale Schere – Menschen, die mit Algorithmen umgehen können, wird es sehr gut gehen, Menschen mit anderen Kompetenzen und mit weniger Expertise werden es immer schwerer haben – wird also weiter aufgehen. Muss der Staat deshalb gegensteuern und einen Teil dieser Automatisierungsdividenden absahnen und neu verteilen? Schwierig in einer Welt, in der die digitalen Produktionsprozesse auf einen Mausklick hin verlagert werden können.

Ein Problem der digitalen Ökonomie stellt auch die Wechselwirkung der realen Welt mit der in den Datensätzen dar. Zwar scheinen die Datenanalysen eine immer höhere Treffergenauigkeit zu haben, wenn Algorithmen etwa schon anhand des Klickverhaltens errechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit etwa für die Kündigung eines Mitarbeiters ist. Schon heute setzt die Polizei in vielen Ländern zudem auf die Analyse von Verbrechensmustern. Science-Fiction-Filme wie „Minority Report“ scheinen sich zu bewahrheiten.

Der Algorithmus lernt zwar nur aus der Vergangenheit, zugleich aber bestimmt er damit auch künftiges Verhalten. Wenn Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Einkaufs- und Nachrichtenportale stets passgenaue Angebote liefern, beeinflussen sie unsere Entscheidungen, unser Denken und Handeln. Der Mensch ist dann irgendwann nur noch das, was eine Rechenvorschrift aus seinem vergangenen Verhalten für die Zukunft extrapoliert hat. Es finde eine Machtverlagerung statt durch technologische Prozesse, warnt Hendrik Speck, Professor für digitale Medien an der FH Karlsruhe.

Nach Ansicht von KI-Expertin Yvonne Hofstetter hat Europa längst die Kontrolle über seine Daten verloren – und zwar an US-amerikanische Konzerne wie Google, Amazon oder Apple sowie an Geheimdienste wie die NSA. Und schon bald würden Nutzer nicht einmal mehr das Recht haben, sich aus der digitalen Welt zurückzuziehen. Hofstetter kennt Fälle aus den USA, wo eine Krankenversicherung ihre Prämien schon erhöht, wenn ein Kunde kein Profil bei einem sozialen Netzwerk mehr hat.

Wie häufig bei Innovationen zeigt sich auch hier die Janusköpfigkeit der Entwicklung: Die „Datafizierung“ des Menschen macht zwar auch personalisierte Medizin möglich, mit der Krankheiten geheilt werden, die bisher zum Tode führen, verbilligt Produkte und vereinfacht das Leben, doch zugleich wird der Mensch auch durchökonomisiert, verliert seine Privatsphäre und womöglich auch seine Freiheit. Der „mündige Bürger“ wird zur Farce, weil er an unsichtbaren Fäden hängt und durch die Ausnutzung seiner Bequemlichkeit entmündigt wird. Das stellt auch eine Gefahr für die Demokratie dar.

Es ist deshalb Zeit für die Politik, nicht nur mit Schlagworten und mit großen Gesten über Industrie 4.0 zu palavern, sondern einen Diskussionsprozess anzustoßen, der in eine Reform der Gesellschaft mündet, wo digitale Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert und die politischen und sozialen Institutionen sowie die Bildungseinrichtungen auf die neuen Herausforderungen vorbereitet werden. Allein mit der Herstellung eines breitbandigen Internetzugangs ist es nicht getan. Das gesamte politische und ökonomische Regelungssystem benötigt ein Firmware-Update.

Wehret den Anfängen!

Unter dem Schlagwort der „Share Economy“ kommt in jüngster Zeit eine besondere Form des Gutmenschentums zur Entfaltung: Die Taxi-App Uber oder die digitale Wohnungsvermittlungsagentur Airbnb geben zwar vor, letztendlich altruistische Ziele zu verfolgen, wenn sie Autofahrer zu professionellen Mitfahrgelegenheiten oder Wohneigentümer zur Untervermietung von Schlafstätten animieren. Schließlich hätten alle Teilnehmer Vorteile von dieser Form des Wirtschaftens, sagen sie, weil sie entweder Nebeneinnahmen generieren können oder zu viel günstigeren Preisen Dienstleistungen in Anspruch nehmen können als auf herkömmliche Art. Diese Entwicklung muss gar nicht schlecht sein. Der Freiraum dafür sollte nicht zu früh und zu drastisch beschnitten werden, weil sie eine Form der Schumpeterschem schöpferischen Zerstörung in einer Marktwirtschaft darstellt.

Zugleich sollte aber klar sein, dass diese neuen Geschäftsmodelle keine Wohltätigkeitsveranstaltungen sind. Vielmehr verbergen sich dahinter enorme Renditemaschinen, von denen in erster Linie die Eigentümer dieser Vermittlungs-Apps profitieren. Zudem werden, wie zuletzt DGB-Chef Reiner Hofmann im Spiegel-Interview kritisierte, dabei auch traditionelle Geschäftsplattformen eingeebnet, um die herum Politik und Justiz, Arbeitgeber und Gewerkschaften ein filigranes Netz von Geboten und Verboten aufgebaut haben, das schützt und regelt, Risiken verteilt und Verantwortung zuschreibt. Die neue Ökonomie aber wälzt etwa (Versicherungs-)Risiken auf Anbieter und Kunden ab, lässt den „Veranstalter“ außen vor, rechtliche Bestimmungen und Regulierungen werden schlicht negiert, was in einigen Fällen zur Selbstausbeutung von Marktakteuren führt. Politik und Justiz stehen hier in der Analyse dieser Entwicklung und in der Reaktion auf ihre Folgen noch ganz am Anfang.

Mit der jetzt anstehenden Unterzeichnung des Freihandelsabkommens der EU mit Kanada (Ceta) könnte die Debatte nun aber jetzt eine zusätzliche Schärfe erhalten, zumal mit den USA ein vergleichbares Vorhaben (TTIP) ähnlicher Struktur angestrebt wird. Denn in dem Vertragswerk sind die schon länger umstrittenen Investitionsschutzklauseln eingebettet (und offenbar von den EU-Verhandlungsführern akzeptiert) worden, die Konzernen unter Umgehung der nationalen Rechtsinstanzen die Anrufung eines privaten Schiedsgerichts ermöglichen. Damit können sie etwa Staaten verklagen, wenn diese Gesetze zum Schutz ihrer Bürger verabschieden, weil den ausländischen Unternehmen damit womöglich Renditechancen entgehen. Da die „Share Economy“ gerade dabei ist, das ganze Sozialsystem der Staaten aus den Angeln zu heben und die Politik hier über kurz oder lang regulierend reagieren wird, ist schon jetzt absehbar, dass sich dies ein ganzes Heer von Anwälten vorknöpfen wird, zumal die hinter Uber und Airbnb stehenden Investoren hier sicher alle rechtlichen Instrumente auffahren werden, die es gibt. Die globale agierenden Anwaltskonzerne hätten damit ein regelrechtes El Dorado vor Augen. Der Sozialstaat dürfte angesichts solcher ökonomischer Paralleljustiz und angesichts der ganzen Kapitalmacht der Konzerne wohl den Kürzeren ziehen. Deshalb: Wehret den Anfängen!!!

Von der Wahrnehmungsverzerrung im Internet

Amazon, so eine Nachricht aus Großbritannien, verlangt von Verlagen auf der Insel neuerdings eine pauschale Nachdruckerlaubnis, wenn Bücher nicht mehr lieferbar oder nicht mehr im Auslieferungslager verfügbar sind. Das Echo in der Öffentlichkeit über diese Vermessenheit ist eher dünn, obwohl die Attacke noch zu dem Skandal über bewusste Lieferverzögerungen Amazons gegenüber Verlagen hinzukommt. Einige Häuser werden offenbar sanktioniert, weil sie nicht gleich auf die Amazon-Wunschliste eingehen im Hinblick auf Rabatte und die Einräumung spezieller Rechte weit über das übliche Maß hinaus. Amazon nutzt hier seine gigantische Marktmacht offen aus.

Auch der öffentliche Aufschrei gegenüber anderen Zumutungen, mit denen Amazon, Facebook, Apple, Google & Co. die Realwirtschaft herausfordern, ist eher verhalten. Das gilt auch für ihr Verhalten gegenüber ihren eigenen Nutzern, wenn sie ihnen etwa bei einem Upate bis auf Bibellänge ausgewalzte neue Nutzungsbestimmungen vorlegen, die sie gefälligst zu akzeptieren haben. Damit räumen sich die Internetkonzerne ganz nebenbei – im Kleingedruckten und via kryptische Formulierungen – von ihren Nutzern weitreichende inhaltliche Rechte ein, die weit über das hinausgehen, was einzelne nationale Gesetzesbestimmungen in der Realwirtschaft zulassen würden und was man selbst Freunden zugestehen würde. Das geschieht vielfach über „kleine“ Änderungen der kaum mehr überschau- und erfassbaren juristischen Texte, die jeder noch so kleinen Änderung am Programm vorgeschaltet werden – teils sogar nur in englischer Sprache. Ein Klick auf den Akzeptiere-Button – und die Rechte sind vergeben. Die Nutzer haben kapituliert, die Konzerne triumphieren. Die Taktik des Vertuschens, Vernebelns und verquasten Formulierens ist aufgegangen.

Die jüngsten öffentlichen Reaktionen auf die Entwicklerkonferenzen der großen Digitalkonzerne – Build von Microsoft, WWDC von Apple und jüngst I/O von Google – waren ebenfalls recht unkritisch, was die dort nonchalant ausgebreiteten Pläne zur Ausweitung der Konzernmacht auf die Nutzer angeht. Dabei geht es letztlich um die Aneignung ganzer Leben. Stattdessen wurde euphorisch über die Möglichkeiten der neuen Techniken schwadroniert. Jede noch so winzige „Verbesserung“ bei Apps, Betriebssystemen und Geräten wurde bejubelt und einer gottesdienstartigen Verehrung gleich von „Medien-Missionaren“ den technologischen Heiden verkündet. Die Konzerne selbst gelten in deren Augen in gewisser Weise für sakrosankt.

Selbst Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) räumte im Interview mit der FAZ zuletzt eine gewisse Beißhemmung ein. Würde ein Energieunternehmen wie Google 95 Prozent des Marktes abdecken, „wären die Kartellbehörden aber ganz schnell auf dem Plan“, sagte er und sieht sich selber als „Teil des Problems“, weil er täglich die googlesche Suchmaschine mit Fragen füttert.

Wie viel sich die Nutzergemeinde inzwischen gefallen lässt, ohne auch nur zu murren, zeigt ein Vergleich mit der Realwirtschaft: Wäre es etwa vorstellbar, dass ein Autohändler so einfach das Modell eines älteren – nicht mehr lieferbaren, weil durch eine neuere Version ersetzten – BMW einfach nachbaut? Amazon maßt sich das im Hinblick auf Verlage an. Oder, wie würden sich Verbraucher verhalten, wenn etwa die Hersteller von Fotoapparaten sich gleich auch die Rechte an den gemachten Bildern einräumen? Das tun etwa Facebook und Google. Längst machen Verbraucherzentralen und Verbraucherministerien Jagd auf kryptische Verträge im Handel, unzulängliche Aufklärungsgespräche etwa in der Finanzindustrie, verlangen Transparenz und Vereinfachung, vor allem aber Verständlichkeit und Offenheit beim Umgang mit Kunden. Bei der Digitalindustrie aber stehen sie eher abseits und fühlen sich irgendwie nicht zuständig. Es wird Zeit, dass sich die Gewichte diesbezüglich verschieben. Die Digitalindustrie unterliegt schließlich den gleichen Rechten und Pflichten wie jeder anderer Akteur auf dem Markt.

Aufruf zum digitalen Widerstand

Um die Gefahren, die sich derzeit für die Bürger-  und Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter abzeichnen, abschätzen zu können, muss man bloß ein paar Nachrichten der vergangenen Tage aufzählen: Eine kanadische Firma liefert die digitale Filtertechnologie, um die Bürger in Somalia, einem failed state, besser überwachen zu können. Es hat sich zudem herausgestellt, dass die Geheimdienste bei Wikileaks nicht nur gezielt nach Edward Snowdon gefahndet, sondern gleich alle Besucher gespeichert und kategorisiert haben. Außerdem wurde jüngst ein LED-Beleuchtungssystem vorgestellt, das auf die Präsenz von Personen reagieren, Räume überwachen und diese Daten dann weitermelden kann. Dass hier auch Bewegungsprofile, Verhaltensmuster etwa in Büros oder auf öffentlichen Flächen aufgezeichnet und ausgewertet werden, versteht sich von selbst. Wohlgemerkt ist die Technik in Lichtsystemen installiert – der Bürger merkt also gar nichts davon. Unser Big Brother nutzt also bereits Stealth-Technologie: Die digitale Überwachung soll gar nicht mehr wahrgenommen werden, was es dann auch erschwert, dagegen vorzugehen, weil sie in Systemen integriert ist, die andere Vorzüge haben, welche die meisten Bürger nicht missen möchte. Der Widerstand gegen eine solche Aufrüstung mit Überwachungstechnik dürfte zudem auch deshalb schwach ausfallen, weil die wenigsten die Überwachung registrieren. Anders noch die Lage als Polizisten Demonstrationen ostentativ gefilmt haben, oder bei der Debatte über die Präsenz von Überwachungskameras in öffentlichen Räumen.

Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass (viele) Staaten und immer mehr Unternehmen unter „Big Data“ letztlich einem schrankenlosen Informations-Totalitarismus huldigen und mit diversen Algorithmen versuchen, die Umwelt zu instrumentalisieren: die Staatsorgane im Sinne eines von ihnen selbst definierten Sicherheitsbedürfnisses, und die Unternehmen zur Maximierung ihrer Gewinne. Schon bald könnte vor diesem Hintergrund Wirklichkeit werden, was in der Kurzgeschichte „Minority Report“ 1956 von Philip K. Dick (2002 mit Tom Cruise in der Hauptrolle verfilmt) noch als Schrecken einer ferner Zukunft dargestellt worden ist: Computer lassen potenzielle Verbrecher schon vor ihrer Tat verhaften oder eliminieren, weil die Wahrscheinlichkeit für eine entsprechende Tat besonders hoch erscheint. Kurz: Bisher wertet die NSA aus, wo wir gerade sind und mit wem wir wohl in Kontakt stehen. Doch bald wird sie auch für sich beanspruchen wollen zu wissen, wo wir bald sein werden.

Schon jetzt suchen Polizeidienststellen mit Überwachungskameras den öffentlichen Raum nach Verhaltensanomalien ab und lassen ihre Beamten präventiv einschreiten. Sie zeigen Präsenz an gewissen Plätzen, um Taten zu verhindern. Was zunächst durchaus wohlmeinend daherkommt, kann sehr schnell umschlagen. Schon bald können anhand von aufgezeichnetem Datenmaterial Menschen versehentlich in die Schusslinie der Ordnungshüter geraten, weil sie etwa einmal auf ein falsches Link geklickt haben, oder es zu Fehlwahrnehmungen der Computer kommt, Adressen vertauscht, Personen verwechselt werden oder Verhalten schlicht fehlgedeutet wird. Gerät der Verdacht dann – wissentlich oder unwissentlich – in die Öffentlichkeit, ist faktisch eine Beweislastumkehr eingetreten. Der Verdächtige muss seine Unschuld beweisen, nicht der Staat dessen Schuld. Der Rechtsstaat ist zum Unrechtsstaat geworden – nicht plötzlich, nicht durch einen Regimewechsel, sondern schleichend. Der vor dem Bundesgerichtshof entschiedene Fall einer Person, die wegen einer Verwechslung bei der Kreditauskunftei Schufa keinen Kredit bekam, zeigt ja bereits, wie die rechtlichen Automatismen  den Rechtsstaat so nach und nach aushöhlen.

Insofern war der Essay des SPD-Europaabgeordneten und Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 6. Februar 2014 ein wichtiger politischer Anstoß, um nun endlich von Grund auf in den Berliner Fluren über die Sicherstellung der Grundrechte auch im digitalen Zeitalter zu beraten. Schulz erkennt die Digitalisierung nicht allein als technisches Problem, sondern als politische Herausforderung und fordert Regierungen und politische Gremien zum Handeln auf.

Nicht allzu viel zu erwarten ist indes in diesem Zusammenhang vom neu konstituierten Bundestagsausschuss für die „digitale Agenda“. Schon die Zusammensetzung des Gremiums zeigt, dass zu wenig Kenner der Materie in das Gremium Eingang gefunden haben. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt; und jedem Volksvertreter in wichtigen Funktionen sollte man zunächst den ehrlichen Willen unterstellen, sich in die Materie auch einarbeiten zu wollen.

Doch die Zeit drängt. Staaten und ihre Geheimdienste, vor allem aber Weltkonzerne vom Schlage eines Google, Facebook oder Apple sind dabei, Fakten zu schaffen. An dem nötigen Widerstand in der Öffentlichkeit fehlt es aber nach wie vor. Lammfromm geben die Menschen ihre Daten drein, um sich darüber zu freuen, dass sie einen kleinen Service, eine App, scheinbar kostenlos erhalten. Der Aufschrei jedenfalls im Umfeld des NSA-Skandals und mit dem Bekanntwerden immer dreisterer Methoden zur Absaugung der Persönlichkeitsdaten von Seiten der Digitalkonzerne ist ausgeblieben. Wenn dann erst einmal Haushaltsgeräte, Lampen, Uhren, Schmuckstücke und Autos alle miteinander vernetzt sind, wird es aber zu spät sein, im Nachhinein noch gesetzliche Regeln aufzustellen und die Fangarme der Datenkraken wieder zu kappen.

Denn die meisten Menschen haben sich bereits an den Zustand des digitalen Exhibitionismus gewöhnt, sie heben die praktischen Vorteile hervor, ohne sich bewusst zu machen, dass sie längst an der Leimrute der Konzerne und Staaten hängen. „Das könnte Ihnen auch gefallen“. „Andere Kunden haben auch bestellt …“ Sie befinden sich in seinem Wohlfühlraum. Ausbruch zwecklos. Denn abweichendes Verhalten wird damit ganz automatisch unterdrückt, weil echte Alternativen gar nicht angeboten werden – und wenn es dann doch einmal geschieht, könnte es schnell als feindliches bzw. schädliches Verhalten interpretiert werden mit Entzug der bisherigen Vorteile oder Meldung an den staatlichen Aufpasser.

Es ist an der Zeit, das Anliegen von Martin Schulz ernst zu nehmen, ihm zur Seite zu springen und seinen Worten nicht mit Häme zu begegnen, wie es derzeit viele selbsternannte „digital Natives“ tun. Denn viel zu viele Politiker denken noch in physischen Produkten und persönlichen Dienstleistungen, sind verhaftet in landwirtschaftlichen Produktionsquoten, debattieren über Arbeitslosenquoten und Produktivität, fordern eine bessere Sozialpolitik oder den Ausbau von Bahngleisen und Brücken. Dass allen traditionellen Politikbereichen aber längst eine digitale Käseglocke übergestülpt wird, ist wohl den wenigsten in Berlin, München oder sonstwo bewusst.

Instrumentalisierte OECD

OECD-Geheimnis_bearbeitet-1Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass eine internationale Organisation wie die OECD in Zeiten des NSA-Skandals die USA als Hort der Datensicherheit und als sichere Verwahrstelle für Geschäftsgeheimnisse darstellt. Das Land nimmt nämlich den ersten Platz ein in der „Ratingliste“ der Analysten, in welchem Land Geschäftsgeheimnisse am besten aufgehoben sind, weshalb es sich dort nach Meinung der OECD-Ökonomen auch am ehesten lohnt, Hochtechnologiestandorte zu gründen und den Technologieaustausch zu pflegen.

Angesichts der jüngsten Enthüllungen über das Gebaren der US-Geheimdienste weltweit und der Verwicklungen von US-Privatfirmen mit der Datenkrake NSA stellt sich deshalb die Frage, wessen Geschäft die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) da eigentlich betreibt; und was uns das über die derzeit laufenden Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone sagt.

Wird zwischen den USA und der EU womöglich tatsächlich auf dieser Datenbasis verhandelt und mittels solcher Statistiken dafür gesorgt, dass die gerühmten „US-Standards“, die ja laut dieser Studie als die besten der Welt gelten, auf alle Handelspartner ausgeweitet werden, weil die Ergebnisse doch auch so klar und positiv sind? Explizit wird nämlich in der von der OECD verfassten Ausarbeitung („Approaches to Protection of Undisclosed Information – Trade Secrets“ vom 22. Januar 2014) dargelegt, dass man nicht nur den gesetzlich und juristisch garantierten Schutz von Geschäftsgeheimnissen in das „Länderrating“ einbezogen hat, sondern auch die praktische Umsetzung des rechtlichen Regelwerks berücksichtigt hat insbesondere im Hinblick auf mögliche Probleme bei der Durchsetzung. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Dass China am Ende der Tabelle rangiert, ist keine Überraschung. Hier zeigt die Studie zumindest auf, dass zwischen dem rechtlichen Rahmen und der Verwirklichung dieser Vorgaben eine große Kluft besteht. Spätestens seit den Einblicken in das System der US-Geheimdienste durch Whistleblower Edward Snowdon wissen wir aber, dass diese – manche würden sagen: spitzfindige – Unterscheidung auch im Hinblick auf die USA getroffen werden muss. Zwar ist nicht explizit der Beweis erbracht, dass die Megadatenbanken der NSA auch für wirtschaftliche Zwecke genutzt wurden, aber der Gedanke liegt nahe – zumal man bei Geheimdiensten ja ohnehin nicht mehr als Vermutungen anstellen und Plausibilitäten konstatieren kann.

Dagegen findet man Deutschland, das selber große Stücke auf seinen Datenschutz hält und dem auch im Ausland beschieden wird, Geschäftsgeheimnisse und die Privatsphäre besser zu hüten als die meisten anderen Länder, irgendwo im Mittelfeld der OECD-Liste – hinter Korea, Italien und Großbritannien. Dass die OECD am Schluss ihrer Studie ankündigt, die Erhebungen noch weiter zu treiben im Hinblick auf mögliche Wirkungen unterschiedlich sicherer Umgebungen für Geschäftsgeheimnisse auf die Konjunktur und damit das Wachstum, kann vor diesem Hintergrund nur als Drohung aufgefasst werden.

 

Die DDR lässt grüßen!

In der ZDF-Doku-Serie „Nicht alles war schlecht“ erhält man sehr gute Einblicke in die Stimmungslage und das Leben in der DDR als einen diktatorischen, die Freiheit beraubenden und die Menschen verachtenden Staat. Man erfährt, dass allein schon das Wissen über eine potenzielle Stasi-Bespitzelung das Handeln und das Denken in der „Zone“ verändert hatte. Die Dokumentation kommt zur rechten Zeit, da sie das Zeug hat, auch die aktuelle ausufernde Debatte über Internetspionage und Datensammelwut von Staat und Konzernen wieder auf ihren Kern zurück zu führen.
Man kann als Demokrat eben nicht hinnehmen, dass Unmengen an Daten an geheimen Orten gesammelt und ausgewertet werden. Derzeit mögen die Verhältnisse in den USA und in Westeuropa noch so gefestigt sein, dass der Missbrauch durch Staaten zwar nicht ausgeschlossen, aber letztlich dann doch geahndet werden kann, um die Freiheitsrechte der Bürger zu sichern. So manche Entwicklungen auch in den demokratisch fundierten Ländern des Westens zeigen jedoch, dass diese Situation schnell umschlagen kann. Die Daten können dann nicht nur missbräuchlich verwendet werden, sondern bilden die Grundlage, um gesellschaftliches Wohlverhalten gegen ein aufkommendes Unrechtsregime oder gegen autokratische Tendenzen zu erzwingen. Denn es besteht immer die Gefahr, dass vereinzelt harmlose Daten in einer entsprechenden Zusammenstellung und Zusammenschau ein Zerrbild von Menschen zeichnen, die sich dann nicht dagegen wehren können. Schon allein, dass diese Möglichkeit existiert, dürfte das Verhalten ändern. Die Bürger werden angepasster, zurückhaltender und lassen mehr über sich und die Gesellschaft ergehen als demokratisch opportun wäre. Das wäre dann der Anfang vom Ende der Freiheit. Die DDR lässt grüßen.
Dass ein deutsches Gericht nun untersagt hat, dass die Kreditauskunftei Schufa ihren Algorithmus zur Bonitätsprüfung herausgeben muss, weil es angeblich ein Geschäftsgeheimnis ist, passt leider in diese Entwicklungen. Der Bürger kann zwar etwaige Fehler durch eine Selbstauskunft ausbügeln, inwieweit sein Verhalten, sein Wohnort oder sein Lebenslauf (häufige Umzüge, Jobwechsel etc.) aber womöglich dazu führen, dass ihm ein Kredit verweigert wird, das erfährt er nicht. Hier wäre es notwendig, dass zumindest ein demokratisch bestimmter Ausschuss vertrauliche Einblicke erhält, um etwaiges Fehlverhalten der Schufa diesbezüglich ahnden und korrigieren zu können. Ansonsten sieht sich der Bürger solchen Entwicklungen, die seine Freiheit einschränken und sein Leben determinieren, völlig ausgeliefert. Hier muss das Parlament als Vertretung der Bürger gesetzlich nachbessern.
Das gilt selbstverständlich auch für die Datensammelwut von Konzernen. Arglose Internetsurfer nehmen hin, dass ihre Daten (gegen diverse Dienstleistungen) gespeichert und zusammengeführt werden, um anderweitig profitabel genutzt zu werden. Nichts dagegen, dass Unternehmen ein solches Geschäftsmodell haben. Doch Big Data hat inzwischen Größenordnungen erreicht, dass die Informationen auch für Staaten interessant sind, um möglicherweise andere Menschen zu manipulieren oder zu Wohlverhalten zu zwingen. Dass die NSA hier schon Einblicke genommen hat, scheint hinlänglich gesichert zu sein. Deshalb muss sich die Internetgemeinde endlich aus ihrer Lethargie lösen, auf die Hinterbeine stellen und protestieren, um zumindest den deutschen Staat zu zwingen, hier gesetzlich aktiv zu werden was die Transparenz der Datensammlungen und den Umgang damit angeht. Vor allem sollten Datensammler verpflichtet werden, sich jeden Schritt von den „Zielpersonen“ bestätigen lassen zu müssen. Und etwaige Zustimmungen sollten auch widerrufen werden können. Dieser Mechanismus ist nur unzureichend umgesetzt.

 

Gebremster Freiheitsdrang

Man sagt den Deutschen ja bisweilen nach, dass sie zur Wahl gestellt, zwischen Freiheit und Gleichheit wählen zu müssen, sich stets für Letzteres entscheiden würden. Auch wenn die Option lautet: Freiheit oder Bequemlichkeit, scheinen sie sich nicht für jenes Menschenrecht so richtig erwärmen zu wollen, um das schon Bürgerkriege geführt worden sind, und das nur unter großen Opfern autokratischen und diktatorischen Herrschern entrissen worden ist.

Der Hang zur Bequemlichkeit führt jetzt offenbar auch die Hand, wenn es darum geht, Konsequenzen aus den Umtrieben des US-Geheimdienstes NSA zu ziehen. Wie eine Umfrage des ZDF-Politbarometers nämlich zeigt, rangiert das Thema Datenschutz unter ferner Liefen. Nur drei Prozent der Befragten halten es für wichtig, stattdessen rangiert das künstlich aufgebauschte Thema Zuwanderung klar an der Spitze (siehe Grafik).

Wie kann das sein in Zeiten, da immer wieder neue Nachrichten in die Öffentlichkeit gelangen, wie stark unser Leben inzwischen ausspioniert und von fremden Interessen durchdrungen wird? Längst ist unser Handeln ja nicht mehr frei im eigentlichen Sinne, sondern wird von Datenströmen gelenkt über Vorschläge zum Kaufverhalten, verengte Sichtweisen in sozialen Netzwerken und guten Ratschlägen zum (Fitness-)Verhalten sowie zum TV-Programm. Und das erfolgt auf solch subtile Weise, dass sich die betroffenen Bürger nach wie vor „frei“ fühlen.

Wo bleibt da der kritische Geist jener, die sich so gern als Musterdemokraten sehen? Während in der Ukraine Politbarometer-Januar-2014Abertausende von Menschen unter Inkaufnahme persönlicher Einschränkungen und unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gehen, um ihre Freiheitsrechte zu verteidigen und sich gegen die Kleptokraten ihrer Regierung zu wehren, was tut da der gemeine Deutsche? Er fläzt sich vor Fernseher, Tablet oder Notebook, zappt durch Programme und Youtube-Kanäle, frönt Computerspielen, stellt seine Sauf- und Essensbilder ins Netz und drückt immer wieder den „Kaufen“- oder „I Like“-Button.

Es fehlt offenbar an der notwendigen Politisierung der Bürger und ihrer Sensibilität für die Bürgerrechte. Nur, wenn es um ihr engstes Umfeld geht – Bahnhöfe, Pappelalleen, Mobilfunk- und Strommasten – werden sie aktiv und leisten Widerstand. Es ist an der Zeit, dass nicht nur eine Handvoll Publizisten gegen die Gefahren aus dem Internet anschreiben, sondern sich ihnen mehr Stimmen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zugesellen. Sonst sind unsere Persönlichkeitsrechte bald völlig ausgehöhlt und okkupiert von mächtigen Konzernen und Geheimdiensten.

Wohin das führen kann, zeigt die – in Deutschland völlig zu Unrecht oft geschmähte – Science-Fiction-Literatur: Als George Orwells Buch „1984“ veröffentlicht worden ist, hatte man noch seine Vorstellungen eines Überwachungsfernsehers (bidirektionaler Televisor) als überzogene Vorstellung abgetan. Doch inzwischen ist man auch hier klüger: Wie die Zeitschrift „Ct“ in ihrer jüngsten Ausgabe zeigt, sammeln die so genannten Internet-Fernseher so viele Informationen über das Verhalten der Fernsehgemeinde, wie man sich das bislang nicht vorstellen konnte. Wenn diese Informationen dann auch noch mit dem Fitness-Verhalten, den Essgewohnheiten und weiteren Häppchen aus Big-Data verknüpft werden, dann ist es um die Selbstbestimmung der Menschen geschehen. Sie sind dann gefangen in einem Geflecht aus ihrer Sicht wohlmeinender Bevormundung, dass sie nicht einmal spüren, dass sie ihrer grundlegenden Rechte beraubt worden ist.

Spätestens, wenn dann etwa durch Patientenselektion bei wichtigen Behandlungen oder über datengestützte unterschiedlich hohe Sozialbeiträge eine persönliche Betroffenheit hergestellt wird und die Menschen aufwachen, werden sie sich beklagen und – wieder einmal – nach „der Politik“ rufen. Und viele werden ihre gewählten Volksvertreter beschimpfen, weil sie nicht früh genug gehandelt hätten. Doch es waren sie selber, die für ihre Situation dann verantwortlich sind. In Zeiten des Wohlstands und im Schoß der Sicherheit demokratischer Institutionen ist der persönliche Kampf um den Erhalt der Freiheit eben eingeschlafen. Dann ist es aber womöglich zu spät, um die Verästelung des Datengeflechts tief in der Gesellschafts- und Persönlichkeitsstruktur noch rückgängig zu machen.

Auf dem Boden der Tatsachen

Das Bekenntnis des Bloggers Sascha Lobo in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute ist aller Ehren wert – und der Schritt, damit in die Öffentlichkeit zu treten, verdient Respekt. Er habe die inzwischen veränderte Wesensart des Internet falsch eingeschätzt und dessen Potenzial als demokratie- und freiheitsförderndes Medium zu blauäugig wahrgenommen, lässt sich sein Outing zusammenfassen. Aber warum hat gerade er das erst jetzt erkannt?

Kein Wunder, gehörte er doch einer Community von Cyberspace-Bewohnern an, die seit jeher schlicht postulierten, dass das Internet eine neue Realität der Zivilgesellschaft verkörpere. Kritiker, Skeptiker, aber vor allem auch Politiker, die etwa eine Regulierung des Mediums  analog zu seinem realen (atomaren) Gegenstücks forderten, wurden dagegen hart angegangen, als Relikte der Vergangenheit geschmäht, die das Neue dieses Mediums nicht verstehen würden. Jeder Eingriff – ob er nun dem Kampf gegen Kinderpornografie oder der Wahrung des Urheberrechts gegolten hatte – wurde mit geifernder Wut zurückgewiesen. Ein solches monotheistisches Meinungsklima verstellt bisweilen den Blick für die Wirklichkeit.

Dabei hatten die realen Konzerne der Internetwelt längst ihre Finger nach dem Web ausgestreckt um ihre Renditen zu steigern – steuersparend, versteht sich, und unter Ausnutzung von rechtlichen Lücken auch tief in die Privatsphäre der Menschen schnüffelnd, bestehendes Recht außer Kraft setzend bzw. sich darüber hinwegsetzend. Das wurde von der Verteidigern der Internetfreiheit hingenommen und abgetan mit dem Hinweis, man müsse die Privatsphäre in der neuen Zeit einfach neu definieren. Ähnliche Verhaltensweisen dieser Googles, Apples und Facebooks in der realen Welt hätten die gleichen Personen aber mit Sicherheit scharf zurückgewiesen. Die Demonstrationen gegen „Volkszählung“ und des „Microzensus“ sind ja noch gar nicht so lange her. Dass mit dem Internet auch die Geheimdienste eine bequeme Möglichkeit gefunden haben, die eigene Bevölkerung auszukundschaften und ihren Konzernen und Staatsführern wichtige (ökonomische/politische) Informationen zukommen zu lassen, liegt dabei nahe. Überraschend, und da hat Lobo recht, ist nur die Geschwindigkeit, in der das geschehen ist, und das Ausmaß der neuen Spionagemöglichkeiten.

Vieles am Cyber-Coming-Out von Sascha Lobo erinnert an die Debatte der „New Economy“ vor vielen Jahren, als Vertreter von Konzernen, der Politik und der Publizistik der Gesellschaft ebenfalls weismachen wollten, dass ein neues Zeitalter begonnen hatte in der Ökonomie und bisherige Kennzahlen und Weisheiten einfach nicht mehr zählen würden. Schnell hatte sich dann herausgestellt, dass die „alten“ Gesetzmäßigkeiten eben doch weiter gelten, weil sie universell sind und das Verhalten von Konzernen, Gesellschaften und eben auch der Ökonomie gut beschreiben. Nur zeitweise scheinen sie manchmal außer Kraft gesetzt zu sein. Das nennt man dann Blasen, Übertreibungen oder Irrationaler Überschwang. Schnell wurde die Welt damals wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das Verhalten zumindest der meisten deutschen Anleger hat sich von diesem Rückschlag bis heute nicht erholt.

Was bedeutet die mit dem Bekenntnis von Sascha Lobo zum Ausdruck kommende Neubestimmung des Internet nun für unsere Gesellschaft?
1) In der digitalen Welt mögen zwar andere Prozeduren ablaufen in Business, Kommunikation, bei der Ausnutzung von Informationen und im Hinblick auf das persönliche Verhalten der Internetbürger. Klar muss aber sein, dass die Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der realen Welt sich das ebenfalls zunutze machen.
2) Die Teilhabe der Bürger in einer demokratischen Gesellschaft und der Schutz ihrer Privatsphäre dürfen nicht mit zweierlei Maß – atomare vs. digitale Welt – gemessen oder gegeneinander ausgespielt werden. Vor allem darf man nicht zulassen, dass die neue „Währung“ – private Information gegen digitale Goodies – grundlegende Bürgerrechte aushebelt.
3) Die Politik muss sich endlich die nötigen Kompetenz aneignen oder sich zumindest damit umgeben, um für die Unteilbarkeit des aus jahrzehntelangem demokratischen Diskurs entstandenen Rechts zu sorgen. Hierzu reicht es nicht, sich nur mit ein paar personellen Aushängeschildern zu umgeben, welche die Parteien telegen in Talkshows vertreten und dabei Politphrasen absondern.

Wenn Sascha Lobos Bekenntnis einen solchen Denkprozess in Gang setzt und sein Cyber-Coming-Out nicht doch nur dem persönlichen Marketing dient, hat er in der Tat einen wertvollen Beitrag geliefert. Respekt!