Ratingagenturen

Die Fernwirkung der AfD

So langsam wird es ungemütlich für die Unionsparteien. Scheinbar unaufhaltsam gewinnt die Alternative für Deutschland (AfD) an Zuspruch in der deutschen Bevölkerung. Um den eurokritischen Kern herum sammelt die Partei dabei gerade viele Konservative ein, die sich von der Sozialdemokratisierung der CDU überrollt fühlen, wie Wählerwanderungsanalysen zeigen. Zusammen mit den Unzufriedenen aus anderen Parteien, gespeist aus den sich auflösenden Gruppierungen FDP und Piraten und ergänzt aus dem extremen rechten Rand der Gesellschaft hat sich die AfD inzwischen auf einen zweistelligen Umfragewert herangerobbt. Wie die Wahlforscher von Forsa jüngst mitteilten, liegt die Partei nun bei einem bundesweiten Zustimmungswert von 10%. Vor gut zwei Wochen ist die AfD in die Landtage von Brandenburg und Thüringen eingezogen und hatte zuvor auch in Sachsen und bei der Europawahl gepunktet.

Offenbar hat die Unzufriedenheit gegenüber den etablierten Parteien inzwischen ein Ausmaß erreicht, das deren Vertreter immer noch nicht recht wahrhaben wollen. Möchte nun die CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel zumindest einen Teil der AfD-Wähler wieder für sich gewinnen, muss sie sich dem Kern der teilweise durchaus berechtigten AfD-Kritik stellen.

So moniert die AfD die zu hohe Belastung Deutschlands durch die Euro-Rettung, schwadroniert über die desaströsen Folgen der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und geißelt deren Mandatsüberschreitung durch ihre Kaufprogramme. Gar zu viele Bedenken wurden in dieser Hinsicht von den Parteioberen fast aller etablierten Fraktionen abgebügelt und die Menschen lediglich mit Floskeln abgespeist. Die inhaltsleeren Slogans bei der letzten Europawahl sind ein Zeugnis hierfür.

Eine ernsthafte Debatte über die Euro-Rettung, über die Belastung des deutschen Steuerzahlers dabei, über die nötigen Zugeständnisse Deutschlands (wie anderer Länder) in einem geeinten Europa und über die Finalität der Gemeinschaft gibt es aber bis heute nicht. Das übernahm vielfach das Bundesverfassungsgericht, indem es die Politiker an die demokratischen Gepflogenheiten erinnerte, die Frage aufwarf, wie weit und unter welchen Bedingungen Deutschland Teile seiner Souveränität abgeben darf und wie weit die EZB bei der Vergemeinschaftung von Risiken eigentlich gehen darf.

Wie groß der Anteil Deutschlands an der Euro-Rettung war, ganz entgegen dem Eindruck in vielen Krisenländern, wo Berlin eher als Totengräber des Währungsraums gilt, und wie wichtig es ist, dass die Bundesregierung ihrer bisherigen konstruktiven Politik treu bleibt, zeigt eine Studie der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P). Der Chefanalyst für Europa, Moritz Kraemer, warnt hierin vor einem durch das Aufkommen der AfD erzwungenen nationaleren Kurs Deutschlands. Bislang sei Bundeskanzlerin Angela Merkel im eigenen Land auf keinen größeren Widerstand gegen ihre Europolitik gestoßen, schreibt er. Dies habe ihr in Brüssel mehr Spielraum für Kompromisse ermöglicht. Sollte Merkel ihre Gangart unter dem Eindruck des AfD-Aufstiegs indes verschärfen, würden die Krisenstaaten dies durch höhere Zinsen am Kapitalmarkt unmittelbar zu spüren bekommen, was die Krise neu anfachen könnte.

Seine Bedenken: Die CDU könnte versuchen, durch eine härtere Regierungslinie Wähler zurückzugewinnen, durch eine geringere Flexibilität bei den Fiskalzielen, durch ihren Widerstand gegen Wachstumsprogramme, durch kritischere Äußerungen gegenüber der EZB und durch die Verweigerung eigener höherer Staatsausgaben. Deutschlands konstruktive Haltung bei der Unterstützung der in Not geratenen Länder habe eine positive Wirkung auf deren Bonität gehabt. Staaten wie Spanien und Italien konnten sich zuletzt wieder zu historisch niedrigen Zinssätzen frisches Geld besorgen. Sollten die Investoren nun „auch nur Anzeichen für eine Verschärfung“ des deutschen Kurses wahrnehmen, warnt S&P, werde das Vertrauen in die Krisenländer wieder bröckeln.

Bonitätswächter im Zwielicht

Die Ratingagenturen stehen unter großem Regulierungsdruck. Brüssel hat bereits neue Regeln verordnet. Ende 2013 warf die Europäische Wertpapieraufsicht Esma den Agenturen zudem schwere Mängel bei der Arbeitsweise vor. Und zum Jahresanfang rückt nun der überraschende Abgang von S&P-Deutschlandchef Torsten Hinrichs die Branche erneut in den Fokus. 

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Börsen-Zeitung, 15.1.2014

Ob es nun tatsächlich die deutlich angehobenen Ratinggebühren waren, die den Deutschlandchef von S & P, Torsten Hinrichs, im Konzernmanagement in Ungnade haben fallen lassen, weil Unternehmen wie die Deutsche Post daraufhin die Zusammenarbeit aufgekündigt hatten, bleibt im Dunkeln. Die kolportierte Formulierung „im gegenseitigen Einvernehmen“ verdeckt mehr als sie auszusagen vorgibt. Dass es bei Hinrichs Weggang nicht ohne Verwerfungen abgegangen sein dürfte, zeigt aber seine Reaktion. Er wolle zunächst einmal bis nach Ostern in Südafrika Abstand gewinnen, ließ er die Börsen-Zeitung wissen. Was danach komme, sei noch unklar. Gespräche mit potenziellen neuen Arbeitgebern würden jetzt erst begonnen. Hinrichs: „Mal sehen, was kommt.“

Tatsache ist, dass sich die ganze Ratingbranche derzeit unter enormem Druck befindet und nach neuen Wegen sucht – auch personell. Nicht nur wegen der Regulierung, der heftigen öffentlichen Kritik, ihrer Gebührenpolitik und der immer schwierigeren Kundenakquise, sondern auch im Hinblick auf ihr Selbstverständnis und ihre Funktion in der Finanzwirtschaft, was eine Neuausrichtung unausweichlich macht. Möglich erscheint deshalb eher, dass Hinrichs schlicht nicht mehr in die Unternehmensstrategie gepasst hat.

Erst vor einem Monat hatte die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde Esma den großen drei Ratingagenturen „schwere Mängel“ bei der Arbeitsweise vorgeworfen und ihnen mit Strafe gedroht. „Sie sollten ihr Verfahren beschleunigen und sicherstellen, dass sie ihr Haus in Ordnung bringen“, mahnte Esma-Chef Steven Maijoor. Konkret wirft er Moody’s, S & P und Fitch vor, Ratingumstufungen nur schleppend zu veröffentlichen. Schlechte interne Kontrollen würden Informationslecks begünstigen. Personal und Ressourcen seien bei Ratingbewertungen „nicht aufgabenadäquat eingesetzt worden“. Die Behörde verlangt, dass von ihr verordnete Auflagen nun bis Ende Januar umgesetzt werden.

Aber auch innerhalb der Branche wird der Konkurrenzdruck stärker. An diesem Donnerstag stellt sich in London die Gruppe ARC-Ratings vor, ein Zusammenschluss mehrerer Agenturen aus Indien, Südafrika, Malaysia, Brasilien und Portugal. Sie bekunden von Anfang an den Anspruch, global aufzutreten, und positionieren sich als direkte Konkurrenten zu den „großen drei“.

Etwas weniger ambitioniert war einst das Vorhaben, eine ureigene europäische Ratingagentur zu gründen. Auch Ex-S & Pler Hinrichs brachte dem Plan Sympathie entgegen. Mehr Wettbewerb und ein anderer Ansatz (statt der Ratingkunden sollten die Investoren die Bonitätsbewertung bezahlen) seien „erfrischend“, sagte er in einem Interview. Doch das Unternehmen scheiterte. Statt der für die Gründung nötigen 300 Mill. Euro konnten nur 30 Mill. Euro eingeworben werden.

Mehr Wettbewerb täte der Branche gleichwohl gut. Immerhin vereinen S & P, Moody’s und Fitch nach Daten der Esma einen Marktanteil von 85 % auf sich. Branchenexperten kritisieren zudem inhaltliche Unstimmigkeiten. Der Schweizer Ökonom Manfred Gärtner von der Universität St. Gallen etwa stellte vor einiger Zeit eine gewisse „Beliebigkeit“ der Staatenratings fest und monierte ungerechtfertigte Bonitätsherabstufungen, welche die Schuldenkrise in Europa erst noch vertieft hätten.

Und die Heidelberger Ökonomen Andreas Fuchs und Kai Gehring haben in einer neuen Studie nun sogar einen „Home Bias“ ausgemacht. Die großen Ratingagenturen würden mit ihren Heimatländern – wohl auch auf Regierungsdruck hin – und bisweilen in ihrem Sprachraum milder umgehen als mit anderen Staaten. Der Unterschied von fast einem Bonitätspunkt lässt sich wegen niedrigerer Zinslasten durchaus in Geld aufwiegen. Dabei betont etwa S & P immer wieder seine Internationalität. Schließlich verfüge man allein in Frankfurt über ein Team von über 50 deutschsprachigen Analysten, betonte Hinrichs einst stolz.