Oligopole

Die inneren und äußeren Feinde des freien Marktes

Politik, Wirtschaft und Wissenschaft haben protektionistische und antiliberale Tendenzen befördert, weil sie schädliche Marktkräfte und kapitalistische Exzesse nicht früh und energisch genug gezügelt haben. Das hat die Menschen unserer Wirtschaftsordnung entfremdet und den Boden bereitet für Populisten und Nationalisten, die nun auch die Destabilisierung der Demokratie zum Ziel haben.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Er ist das Gesicht für den gerade im Gange befindlichen Wendepunkt in der Geschichte des Westens: US-Präsident Donald Trump. Mit seinen von Nationalismus und Protektionismus geprägten Handlungen in den vergangenen Monaten steht er für die Zurückdrängung jener Werte, welche die USA einst haben zur Supermacht werden lassen: Marktliberalismus und Globalisierung, internationale Zusammenarbeit und die Verteidigung der freiheitlich-offenen Gesellschaften. Nicht mehr Verhandlung und Ausgleich gelten ihm als die politischen Instrumente der Wahl, sondern Machtprojektion und Einschüchterung. Der Kapitalismus wird nicht als Wirtschaftsmodell gesehen, sondern als Herrschaftsform und politisches Vehikel verstanden. Kein Wunder, dass die Menschen dann zunehmend auch das Zutrauen in die Gemeinwohl fördernde Wirkung der Institution Marktwirtschaft verlieren und nach Alternativen Ausschau halten, wie sie etwa China mit ihrer Form einer „sozialistischen Marktwirtschaft mit Staatsaufsicht“ durchaus erfolgreich praktiziert.

Man würde nun Trump zu viel Ehre antun, ihn als den Sargnagel freiheitlicher Märkte zu bezeichnen. Er steht nämlich nicht alleine, hat Vorläufer und Mitläufer – und agiert in einem gesellschaftlichen Klima, das solches Verhalten nicht nur toleriert, sondern weitgehend goutiert. Letztendlich ist er sogar das Produkt einer Entwicklung, die eigentlich im Kern des Kapitalismus ihren Ausgang genommen hat. Denn der gesellschaftliche Rückhalt für marktliberale Ordnungen ist schon vorher erodiert.

Politik, Wirtschaft, aber auch viele Ökonomen, die sich stets als Verteidiger von Kapitalismus und Marktwirtschaft aufschwingen, haben durch Handeln und Unterlassen, durch ihre Hybris, über dem Staat zu stehen, und durch einseitige Betrachtungen und Fachblindheit jene Entwicklungen eher noch befördert, welche die Menschen an der herrschenden Wirtschaftsordnung zweifeln ließen. Kurz: Sie haben die gesellschaftlichen Wirkungen ihres Tuns aus dem Blick verloren – oder schlicht unterschlagen, weil sich sonst die „ökonomischen Lehren“ nicht so klar hätten formulieren lassen. Und in einem Umfeld, in dem die Sorgen vor einem ökonomischen Kontrollverlust durch Globalisierung und Digitalisierung wachsen, diffuse Ängste vor der Komplexität und Unberechenbarkeit des Kapitalismus insgesamt aufkommen, haben Populisten, Verschwörungstheoretiker und Nationalisten schon immer leichtes Spiel gehabt.

Die Rolle der Ökonomen

Alle Marktakteure haben es vor allem versäumt, die Verlierer des Strukturwandels aufzufangen. Das ist speziell in den USA und in Großbritannien sicht- und spürbar, wo die sozialen Sicherungssysteme weitmaschiger sind als hierzulande. Tendenziell ist diese Schlagseite aber – mit Abstrichen – auch in Deutschland feststellbar, wovon etwa die jüngste Hartz-IV-Diskussion über den Umgang mit den Hilfsempfängern zeugt. Fatal hat sich dabei die einseitige ökonomische Argumentation auswirkt, die jede Kritik an der freien Entfaltung der Marktkräfte abgebügelt hat mit dem Hinweis, dass jedwede Einschränkung Wachstum und Jobwachstum entgegenwirken würde. Vielmehr wurde stets einer noch stärkeren Ökonomisierung der Gesellschaft das Wort geredet, indem etwa über höher Studiengebühren schwadroniert wurde.

Dass ein solches ökonomisches Verständnis womöglich die gesellschaftlichen Schichten eher noch mehr verfestigt statt sie durchlässiger macht, kam ihnen nicht in den Sinn – denn dafür fühlten sich die Wirtschaftswissenschaftler nicht zuständig. Im Ergebnis haben die Menschen zunehmend das Vertrauen in den sozialen Aufstieg verloren, wie Studien immer wieder belegen.

Tarif- vs. Managergehälter

Vollends wurde das Vertrauen in jedwede ökonomische Argumentation verspielt, nachdem die Meinungsmacher der wirtschaftspolitischen Debatte in ihrer Argumentation eine fatale Schlagseite zugunsten den Führungsetagen der Unternehmen und zu Lasten der Arbeitnehmerschaft an den Tag legten. Während Tariflohnsteigerungen lange Zeit stets als „zu hoch“ kritisiert wurden – durchaus mit einiger Berechtigung im Hinblick auf Arbeitskosten -, wurden die bisweilen obszön hohen Gehälter für Manager (und Investmentbanker) von den gleichen Akteuren regelmäßig „als Marktergebnisse“ verteidigt und wurde Kritik daran als „Neiddebatte“ apostrophiert. Dabei wurde zudem vergessen, dass die exorbitant hohen Gehälter ja eigentlich den Erfolg des Unternehmens widerspiegeln sollen, was wiederum doch das Ergebnis aller anderen Mitarbeiter ebenfalls ist und nicht einigen wenigen Personen zugeschrieben werden kann. Derlei Doppelmoral erschüttert natürlich das Vertrauen der Menschen in die letztendlich auch sozial stabilisierende Kraft der Marktwirtschaft.

Gewiss gibt es in einer Marktwirtschaft keine festen Regeln, welches „Einkommen“ und welche „Einkommensunterschiede“ fundamental gerechtfertigt sind angesichts des Erfolgs oder Misserfolgs des jeweiligen Unternehmens, und welche Personengruppen welchen Anteil an den Leistungen oder Fehlleistungen haben, um sie entsprechend zu würdigen oder zu sanktionieren. Aber es geht hier um Geldsummen jenseits aller Größenordnungen – und dies in der Regel für Unternehmenslenker, die weder mit ihrem Gesamtvermögen für das Unternehmen insgesamt einstehen, wie das etwa bei Familienunternehmen der Fall ist. Letztlich sind auch die hochbezahlten Manager Angestellte wie die Pförtner bei der Einlasskontrolle. Ein Denkanstoß: Wer 10 Mill. Euro im Jahr erhält, könnte täglich rund 27.000 Euro ausgeben. Jenseits von Neidgefühlen: Ist das eine Größenordnung, die noch irgendetwas mit persönlicher Leistung eines Angestellten zu tun hat?

Längst, so scheint es, hat sich durch die Usancen im globalen Finanzkapitalismus eine finanzielle Aristokratie herausgebildet, die einer Marktwirtschaft eigentlich fremd sein sollte. Dieses Zweiklassensystem – die da oben, wir da unten – fordert den Klassenkampf förmlich heraus. Noch wirkt dem allerdings das Mantra entgegen, das der britische Kriegspremier Winston Churchill formuliert hat: „Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleiche Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: die gleichmäßige Verteilung des Elends“. Beides keine attraktiven Vorstellungen. Doch, dass der „Kapitalismus ungesund ist – sogar für Kapitalisten“, das Wort des Philosophen Ernst Bloch könnte sich in der nächsten Entwicklungsstufe erfüllen: die Digitalisierung.

Digitalisierung des Kapitalismus

Denn das Zweiklassensystem wird durch die Digitalisierung noch verstärkt: einerseits entziehen sich die Digitalkonzerne ihrer steuerlichen Pflicht durch schlichte Umleitung der Datenströme. Das erschwert dem Staat die Aufrechterhaltung der Infrastruktur und seiner sozialen Verpflichtungen; zumal in einer Welt, in denen der sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsplatz wohl irgendwann ausgestorben sein wird. Andererseits setzen sich diese Konzerne über nationale Grenzen hinweg, weil sie sich als überstaatliche Entitäten verstehen. Es gibt sogar Planungen, dass diese Multis eins eigene Offshore-Staaten auf riesigen Plattformen auf dem Meer gründen könnten. Eine staatliche Regulierung wird dann nahezu unmöglich, ohne den Datenverkehr komplett zu kontrollieren, was wiederum der Regierungsform einer Demokratie widersprechen würde. Insofern geht es hier auch um die politische Zukunft unserer Gesellschaft – ein Aspekt, der von Verbänden und Ökonomen in der Regel kaum betrachtet wird.

Und schließlich neigen die Digitalkonzerne dazu, Markt und Wettbewerb insgesamt auszuhebeln, weil sie Netzwerkeffekte ausnutzen können. Der Risikokapitalgeber und einflussreiche US-Unternehmer Peter Thiel erteilte dem Wettbewerbsprinzip sogar eine komplette Absage. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer“, sagte er und warb für die segensreiche Gemeinwohl steigernde Wirkung von Monopolen. Inzwischen dominieren Facebook und Google 80% aller digitalen Werbeerlöse außerhalb von China. Diese Entwicklung war schon vor Jahren absehbar, doch der Aufstand der Wettbewerbsökonomen und Kartellwächter blieb aus. Während sie lange Zeit die Schrankenlosigkeit des digitalen Marktes verteidigten, weil so junge Märkte schließlich mehr Frei- und Experimentalräume benötigten (als ob es sich hier nicht um Multi-Milliarden-Märkte handeln würde), werden die „analogen Industrien“ durch etablierte Regeln behindert bei der Positionierung in den digitalen Gefilden.

Nach dem Versagen der Ökonomen im Vorfeld der Finanzkrise signalisiert offenbar auch die Digitalisierung, wie groß die Scheuklappen in dieser Wissenschaft sind, dass sie nicht sehen oder sehen wollen, wie sehr sich „ihre“ Ökonomie digital wandelt, und wo die Herausforderungen liegen, um das Wettbewerbsumfeld zu schützen und den neuen Entwicklungen anzupassen. Bis sich die Gesetzgebung dann darauf einstellt, sind schon längst Tatsachen geschaffen: neue Oligopole und Monopole.

Diese Verfehlungen in der Gegenwart – das Zulassen von immer größer werdenden Einkommens- und Vermögensungleichheit, die Etablierung einer Finanzaristokratie inmitten einer Marktwirtschaft, das Versagen bei der Regulierung der digitalen Welt – hat die Menschen der Marktwirtschaft entfremdet. Sie schenken dem Werben aus Wirtschaft und Wissenschaft für freie Märkte und dem Wettbewerb keinen Glauben mehr. Zumal die Erfolge Chinas ihnen ja auch vorführen, dass die Menschen mit einem staatlich eingeschränkten Wettbewerb ja auch nicht schlecht fahren, dem Westen sogar die Produktionsmittel (Patente, Technologie, Unternehmen) von chinesischen (Staats-)Unternehmen weggekauft werden – und dies ohne Demokratie im Land.

Auch hier haben Unternehmen und Ökonomen zu lange weggeschaut und unterschätzt, wie das „Vorbild China“ auf die hiesigen Gesellschaft wirkt und deren Erfolge im Denken abfärben. Plötzlich scheinen paternalistische oder sozialistische Kommandowirtschaften wieder attraktiv, während die Schwächen der demokratischen Gesellschaften immer stärker in den Vordergrund treten. Insofern schlagen die Loblieder, die über Jahre auf Asien und China gesungen wurden, weil man Umsatz- und Handelserfolge erzielen konnte, plötzlich wieder zurück.

Das lässt die Bürger in demokratischen Staaten am Nutzen der reinen marktwirtschaftlichen Lehre und am Freihandel zweifeln; und der demokratischen Staat kommt in Bedrängnis, weil der nicht in der Lage zu sein scheint, den aktuellen Herausforderungen adäquat zu begegnen, sich ausnehmen lässt von autokratischen Regimen, Digitalkonzernen und einer Finanzaristokratie.

Um das verlorengegangene Vertrauen in die Marktwirtschaft und die Demokratie zurückzugewinnen, und die nationalistischen, populistischen und separatistischen Gruppierungen auch hierzulande zurückzudrängen, braucht es deshalb eine Neubesinnung auf die „Werte des Westens“. Und das ist nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern auch der Wirtschaft und der Wissenschaft. Es geht darum der wachsenden Ungleichheit zu begegnen – und nicht darum, sie bis zur Selbstverleugnung zu verteidigen oder einfach wegzudefinieren. Es geht darum, den Boni-Exzessen einen Riegel vorzuschieben, etwa, indem man analog Zahlungen in entsprechender Höhe an alle Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens zur Verpflichtung macht. Manche deutsche Autohersteller machen das durchaus vor. Und es geht darum, die Liberalität und Freiheit des Marktes zu verteidigen nicht nur gegen den Staat wie bisher, sondern auch gegenüber Unternehmen, die sich als gemeinwohlorientiert darstellen, in Wahrheit aber wie Facebook ein Überwachungs- und Werbekonzern sind.

Viel zu spät wurden die analogen Regeln und Gesetze der digitalen Veränderung angepasst. Und besser heute als morgen muss die Politik Vorschläge ausarbeiten, wie beim Steuerrecht und der Soziale Sicherung entsprechend reagiert. Ob eine Digitalsteuer hier das richtige Instrument ist, darf bezweifelt werden. Wichtig wäre eine – durchaus riskante – aber allumfassende Reform, welche für die analoge wie die digitale Sphäre gleichermaßen gilt.

Signalisiert der Staat, dass er – stets die Sicherheit und Wohlfahrt seiner Bürger im Blick und bereit, diese auch robust zu verteidigen, selbst unter Inkaufnahme von Nachteilen auf anderem Gebiet – sich hier auf den Weg macht, die Marktwirtschaft und Ordnungspolitik neu aufzustellen, dürfte er das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Das bewahrt den freien Markt – und sichert obendrein unsere Demokratie.

Ökonomen ohne Kompass

Der Wettbewerb als konstituierendes Element der Marktwirtschaft kommt unter die Räder – Wirtschaftswissenschaftler als Anwälte von Oligopolen – Digitalwirtschaft verlangt neues Denken

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Wettbewerb – darum dreht sich alles in der Ökonomie. Es ist der zentrale Mechanismus, ohne den die Marktwirtschaft ihren Namen nicht verdienen würde. Denn ohne die nötige Rivalität auf dem ökonomischen Marktplatz würde der Anreiz zu möglichst innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten und Prozessen fehlen, und der Druck auf die Preise würde nachlassen. Aus Sicht der Ökonomen ist dabei entscheidend, dass sich der Staat möglichst weitgehend zurückhält, um die Marktverzerrung möglichst gering zu halten. Je geringer öffentlicher Einfluss, desto besser für die Preisbildung als Steuerungsmechanismus. Hohes Wachstum, mehr Wohlstand sind die Folge. So lautet zumindest das Mantra der Mehrzahl aller Ökonomen im westlichen Kulturkreis.

Doch inzwischen sind Zweifel angebracht, ob die ökonomische Zunft den „Wettbewerb“ weiterhin so absolut ins Zentrum rückt, wie in den Zeiten, als die Meinung vorherrschte, dass das Gemeinwohl in der Marktwirtschaft durch Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung zu erreichen ist. Diese Kampfbegriffe hatten sich tief in die Programme der politischen Parteien hinein gegraben.

Inzwischen erscheint die „Größe“ eines Konzerns etwa auf dem digitalen Markt viel wichtiger, und nimmt man sogar Oligopole und Monopole hin, weil das als geradezu konsumentenfreundlich gilt. Der Präsident der Monopolkommission, Achim Wambach, fabulierte jüngst in einem Interview, die Fusion von Unitymedia und Vodafone schaffe einen großen neuen Spieler auf dem Breitband-Markt, was den Wettbewerb dort beleben werde. „Das wird eine positive Wirkung auf den Breitbandausbau haben.“ Allenfalls bei der Übertragung von TV-Programmen über das Kabel könne es „Probleme“ geben.

Auch bei den Internetkonzernen hat sich eine gewisse wettbewerbspolitische „Beißhemmung“ breitgemacht mit dem Argument, der digitale Markt funktioniere schlicht anders, sei mit herkömmlichen Regularien nicht zu analysieren, würde sich ohnehin erst ausformen; außerdem würden Regulierungen oder eine Zerschlagung von Konzernen zu großer Marktmacht die Innovationsdynamik ersticken. Und schließlich laufe es ja gut – den Kunden entstünden keine Nachteile, weil die meisten Dienste ja kostenfrei seien und sich die Vorteile erst durch Bündelung auf Plattformen breitmachen könnten. Mit dieser Argumentation könnte man sogar einer Verstaatlichung das Wort reden, natürlich nur bei einem Staat, der wie Apple, Google oder Faceboot nur das Gute will.

Hat sich die moderne Ökonomie also nur den neuen Gegebenheiten angepasst? Gelten die bisherigen Grundsätze nicht mehr, wonach Wettbewerb unter allen Umständen geschützt bzw. wiederhergestellt werden muss, um eine faire Preisbildung zu ermöglichen? Oder mangelt es der modernen Ökonomie, die so gerne der Politik die Leviten liest, einfach an ordnungspolitischen Grundsätzen, weil sie sich zu sehr vor den Karren der Konzerne spannen lassen und deren Argumentationen aufnehmen?

Mit der Finanzkrise hatten die Wirtschaftswissenschaftler bereits ihre erste Kehrtwendung vollzogen. Der Zunft wurde schlagartig klar, dass „der Staat“, den sie bisher verteufelt und möglichst aus Spiel halten wollten, nicht per se zu den „Bösen“ zählt. Die einschlägigen Forderungen nach mehr „Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung“ galten als überzogen. Und in der Tat ist der Staat eben nicht immer Bremser, Absahner und Akteur, der nur falsche Anreize setzt und damit Sand ins ökonomische Getriebe streut, die Akteure abhält, ihre Innovationskraft und ihren Ehrgeiz auszuleben. Ohne die nötige Rahmengesetzgebung, welche die Wirtschaft etwa davor schützt, den Wettbewerb auszuhebeln oder dem Staat die Risiken aufzubürden, der für gleiche Wettbewerbsverhältnisse und den humanen Umgang mit den Mitarbeitern sorgt, geht es nun einmal nicht. Auch muss jemand natürlich unterbinden, dass es in einem Wettbewerbsumfeld zu Monopolisierungstendenzen kommt.

Denn Unternehmen haben ein natürliches Interesse, die Härten des Marktes zu mildern – etwa durch Kartelle oder durch schiere Größe mit damit einhergehender politischer Macht. Das wird dann natürlich stets argumentativ verbrämt etwa mit dem Hinweis, dass man schließlich im Weltmaßstab denken müsse und der deutsche/europäische/transatlantische Markt natürlich längst zu klein ist für die globalisierte Wirtschaft, und dass Skalenvorteile habe nötig sind – und das letztlich auch den Kunden zugutekomme.

Letzteres wird gerne bei Unternehmenszusammenschlüssen angeführt, wie jüngst bei der angestrebten Fusion zwischen Vodafone und Unitymedia. Hatten die beiden zuvor noch die Deutsche Telekom ins Visier genommen und über Wettbewerbsnachteile geklagt etwa wegen Blockaden beim Netz der Telekom, hat sich jetzt die gedreht und es wird nur noch über die Vorteile für die Kunden geredet.

In dieser Haltung, die von immer mehr Ökonomen eingenommen wird, scheinen die argumentativen Narrative der großen Konzerne auf. Das zeigt sich auch bei der Digitalisierung. Schon seit längerem schwingen sich Wirtschaftswissenschaftler auf mit Forderungen, der Staat müsse sich bei dem neuen digitalen Markt tunlichst heraushalten. Jeder Versuch einer Regulierung wie mehr Datenschutz oder sozial- und gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen wird vielfach als untauglich, wettbewerbsverzerrend und standortschädlich charakterisiert. Gerade bei der Neubildung eines Marktes, dürfe der Staat dem freien Spiel der Akteure nicht im Wege stehen, heißt es.

Das ist richtig, doch längst sind Google, Facebook und Amazon zu gigantischen Markt dominierenden Digitalkonzerne herangewachsen und haben jeden Wettbewerber förmlich aufgesaugt. Viel zu spät hat hier das Wettbewerbsrecht reagiert und die Eingriffsschwelle gesenkt. Auch die Bürger hatten die Entwicklung viel zu sorglos betrachtet. Während jeder Versuch des Staates, mehr Kompetenzen bei der Datenanalyse zu erhalten, mit Massendemos erstickt wurde, lieferten die Kunden (und Demonstranten) Facebook & Co. die Daten frei Haus und erfreuten sich deren „kostenloser“ Dienstleistungen.

Nun steht die Datenschutzgrundverordnung der EU an, und wieder ist die Spitze der Kritik an die Politik gerichtet, weil das Ganze zu kompliziert, zu aufwändig und gegenüber anderen Hoheitsgebieten wie den USA und Asien schädlich für den Wettbewerb sei. Außerdem würde die Innovationskraft geschädigt; Investitionen würden aus Europa verlagert, wenn es darum geht, die Datenwirtschaft voranzutreiben.

Netzökonomien funktionieren in der Tat nach etwas anderen Gesetzmäßigkeiten. Das gilt für jene, die physische Netze ausspannen für Öl, Gas und die Telekommunikation, genauso wie für jene, die direkt mit digitalen Gütern handeln wie Google & Co. und obendrein als virtuelle Plattform dienen wie AirBnB oder Facebook. Bei ersterer Kategorie hat sich ein Modus-vivendi bei der Regulierung eingespielt. Es geht um Durchleitung, um Lizenzen und eine strenge Form der Ausschreibung. Bei den digitalen Gütern und Plattformen hat sich indes noch keine allgemein verbindliche Umgangsform herausgebildet.

Aber klar muss sein: Zum einen müssen auch die Digital- und Plattformkonzerne im direkten Wettbewerb wie die „traditionelle“ Wirtschaft die gleichen Pflichten erfüllen, was etwa Haftung und soziale Sicherung angeht. Zum anderen ist dafür Sorge zu tragen, dass die verbrieften Grundrechte nicht verletzt werden. Das gilt etwa für den Datenschutz und die Steuerpflicht. Umso fataler ist die Zögerlichkeit bei der Durchsetzung der geltenden Bestimmungen, weil den digitalen Konzernen dadurch Vorteile gegenüber der etablierten Wirtschaft erwachsen. Und schließlich muss der Wettbewerb als konstituierendes Element gewährleistet und geschützt werden.

Es wäre die noble Aufgabe der Ökonomie hier an einer Ordnungspolitik zu arbeiten, welche die (grund-)rechtliche, soziale, steuerliche Pflichten der Digitalkonzerne ebenso mit einbezieht wie die tradierten Normen für die bisherigen Formen der Ökonomie. Die haben sich nämlich in der Sozialen Marktwirtschaft durchaus bewährt – zum Vorteil aller „Stakeholder“. Und selbst unter Berücksichtigung der neuen (?) Gegebenheiten von Netzwerk- und Plattformeffekten, den anderen Anreizeffekten einer Share- und Kostenlosökonomie muss klar sein, dass der Wettbewerb der Akteure auf dem Marktplatz nicht ausgehebelt werden darf – unter welchem Umständen und mit welchen Ausreden auch immer. Ansonsten könnte man gleich ein Loblied auf den schrankenlosen Frühkapitalismus oder der Staatswirtschaft anstimmen. Denn die wären dann nicht mehr weit.