Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, biedert sich wieder einmal bei seinen Schäfchen an. Waren es noch vor einigen Jahren ¨die Kapitalisten¨, denen er moralische Argumente zur Rechtfertigung ihres Tuns lieferte. Dafür wurde er von ihnen hoffiert und als ¨Kapitalismusversteher¨ gehandelt, der die Marktwirtschaft – natürlich in ihrer sozialen Variante – verstanden hat und verteidigt.
Nun hat sich mit dem neuen Papst allerdings der Wind gedreht – für die Kirche und für ihn. Deshalb sind jetzt all jene Opferlämmer an der Reihe, moralisch bedacht zu werden, die irgendwie unzufrieden sind über ihre aktuellen Lebensverhältnisse und die Lage in Deutschland insgesamt. Die Finanzkrise, die Bankenhilfen, die von Berlin oktroyierte Austeritätspolitik für die Peripherieländer bietet sich ja geradezu an – die Hintergründe und Ursachen dafür spielen ja keine Rolle. Das Feindbild ist klar. Und deshalb forderte Marx zum Katholikentag in Regensburg auch nicht weniger als die Überwindung des Kapitalismus und erklärte: „Wir müssen über die Neubestimmung der Gesellschaft und des Staates auf globaler Ebene diskutieren, über den Kapitalismus hinausdenken, denn Kapitalismus ist nicht das Ziel, sondern wir müssen ihn überwinden.“
Kein Wort allerdings über die Alternativen, die ihm vorschweben. Soll es der Staat richten, der auch – wie praktisch – die Kirchensteuer einzieht und an die Katholische Kirche weitergibt? Oder ein wohlmeinender Herrscher, der über Gut und Böse entscheidet und natürlich – wie die Kirche – über den gesellschaftlichen Niederungen steht, über dem „Markt“, über demokratisch verfasste Institutionen? Marx wird nicht konkret. Offenbar geht es – wieder einmal – nur um eine Fensterrede, um in die öffentliche Meinung für sich einzunehmen und sich für ein populäres Thema adeln zu lassen: Kapitalismus-Bashing. So wie Politiker gerne in Sonntagsreden Europa hochleben lassen, in den Hinterzimmern aber ihre nationalen Interessen durchzudrücken versuchen.
Denn wenn Marx seine Äußerungen ernst nehmen würde, müsste am Anfang das Bekenntnis stehen, sich vom Staat loszusagen – also auch von der Finanzierung der Bischöfe und Religionslehrer durch den Steuerzahler. Der Verzicht auf die Kirchensteuer wäre dann der nächste Glaubwürdigkeitsakt, gefolgt vom Bekenntnis, die Kirchenfinanzierung auf einen freiwilligen Beitrag umstellen zu wollen. Und schlussendlich müssten das Multi-Milliarden-Vermögen der Kirchen auf den Prüfstand gestellt und eine Diskussion über dessen sozialen Einsatz orchestriert werden. Schließlich hat doch gerade sein neuer Dienstherr, Papst Franziskus, verkündet, dass nur eine ¨arme Kirche für die Armen¨ die wahre Bestimmung dieser Organisation ist.
Solange das nicht einmal im Ansatz geschieht, das soziale Engagement allenfalls in Aufrufen zu Adveniat, Renovabis und Entwicklungshilfe gipfelt, ansonsten die Kirchenfürsten weiter in Protz und Pomp residieren (der Limburger Ex-Bischof Tebartz van Elst steht hier ja nicht allein, sondern hat, wie dessen Verteidiger immer wieder zeigen, auch viele Fürsprecher), solange ist der Aufruf von Marx nicht für bare Münze zu nehmen, sondern allenfalls als PR-Aktion zu werten. Das Ansehen der Kirche selber wird durch solche Salon-Revolutionäre jedenfalls nicht besser.