Gesetzentwurf

Vorratsdaten vs. Big Data

Auch Wochen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vorratsdatenspeicherung halten die Beifallsstürme in den Reihen der so genannten Verteidiger des freien Internet weiter an. Nach wie vor ergießt sich hämische Freude über Polizei und Justiz, die jetzt mit Einschränkungen ihrer Ermittlungsarbeit leben müssen. Unvereinbar mit den Grundrechten und unverhältnismäßig sei die bisherige Form der Vorratsdatenspeicherung, urteilten die Luxemburger Richter Anfang April. Zugleich wurden die Hürden für eine Neuregelung überaus hochgehängt.

Der Staat ist böse, so lautet der Kehrreim der selbsternannten Digital-Elite. Wenn es dann aber darum geht, den Verbreitern und Nutzern etwa von Kinderpornographie das Handwerk zu legen, hört man schnell den Vorwurf, der Rechtsstaat tue zu wenig oder betreibe nur Symbolpolitik – so jetzt wieder anlässlich des neuen Gesetzentwurfs von Bundesjustizminister Heiko Maas zur erhöhten Strafbarkeit bei der Veröffentlichung etwa von Nacktfotos. Da manchen Kommentatoren dann offenbar doch ein wenig mulmig wird, zumal sie sich gleichzeitig freuen, wenn der Polizei eine Datenbremse verpasst wird, wird nun hilfsweise das Argument bemüht, das Quasi-Verbot der Vorratsdatenspeicherung würde es nun halt auch den Geheimdiensten schwermachen, ihrer skandalösen Arbeit nachzugehen. Und vielleicht sei es sogar ein Hebel, um womöglich die transatlantische Spionage zu stoppen. Der Naivität in Bezug auf die Arbeit der Geheimdienste sind offenbar keine Grenzen gesetzt.

Erstaunlich wenig regen sich dieselben Internet-Kreise indes darüber auf, zu welchen weitaus fortgeschritteneren Daten-Abzockereien die Internet-Konzerne Facebook, Google, Apple & Co in der Lage sind, ohne durch Gesetzesbestimmungen oder einem öffentlichen Sturm der Entrüstung irgendwie behelligt zu werden. Dabei gehen sie damit noch viel weiter, als sich Polizei und Justiz auch nur ansatzweise trauen würden. Wo bleibt hier der gesellschaftliche Widerstand gegen diese Form der Freiheitsberaubung?

Nur ein paar „altmodische“ Publikationen wie die FAZ stechen hier mit ihrer aufklärerischen Berichterstattung und Analyse positiv heraus, weil es ihnen gelingt, die nötige Sensibilität für dieses Thema unter ihren Lesern zu erzeugen. Es ist auch der Beweis, dass gerade in hochkomplexen Fragen und Themenstellungen verantwortungsbewusster und seinem gesellschaftlichen Auftrag verpflichteter Journalismus besser in der Lage ist, die nötige Differenzierung und Wertung vorzunehmen als die vielgepriesenen sozialen Medien. Diese frönen vielfach nur dem aktuellen Herdentrieb, stürzen sich auf einzelne leicht zu popularisierende Themen mit klar personalisierbarer Freund-Feind-Zuordnung, um dann im Schutze der Anonymität ihren Urinstinkten und Reflexen nachzugeben.

Dass das Gebaren der Digitalkonzerne an vergleichsweise wenigen Stellen im Internet kritisch beäugt und kommentiert wird, ist vielleicht auch dem Umstand zuzuschreiben, dass die entsprechenden Autoren auf diesem Auge naturgemäß blind sind. Denn sie nehmen die Nutzung von Facebook & Co als ihr Ökosystem wahr und es fehlt ihnen womöglich, weil sie darin „leben“, die nötige kritische Distanz. Sie müssten dann ja ihre eigene Welt infrage stellen.

Dabei ist von der vielgepriesenen Freiheit im Internet inzwischen ohnehin nicht mehr viel übrig, wenn unter ihrem Mantel dunkle Geschäfte und kriminelle Machenschaften gedeckt werden, ohne dass dies – etwa mangels Vorratsdatenspeicherung – geahndet werden kann. Zugleich schwingen sich neue Machtgebilde auf, den digitalen Marktplatz zu okkupieren, und das Nutzerverhalten – also die Marktakteure – zu manipulieren und auszuspionieren. Das geht weit über das hinaus, was in der „Realwirtschaft“ jemals geduldet worden ist. Würden sich Siemens, BASF oder VW solcher Instrumente bedienen, ein Aufschrei ginge durch die Öffentlichkeit.

Zumal Apple, Facebook und Google gleich mehrere Schritte weiter gehen und den Internetnutzern falsche Wahrnehmung zuspielen: Ihr Wissen über die persönlichen Daten ziehen sie heran, um die Suchergebnisse im Netz auf die Nutzer zuzuschneiden gemäß ihren politischen Einstellungen, ihren Lebensumständen, Geschlecht, Alter, Neigungen etc. Und während der Staat als Feind“ dargestellt wird, wollen sie selber natürlich nur das Beste. „Don’t be evil“, schreibt sich etwa Google auf die Fahne. Das Schlimme ist: Viele glauben das offenbar! Und es ist bequem. Schon seit jeher neigen Menschen zur Bequemlichkeit – und eine insofern „sanfte“ Diktatur ist mit dem Versprechen von Gleichheit und Gerechtigkeit natürlich immer „bequemer“ als eine Demokratie in Freiheit, wo sich die Menschen selber um ihr Schicksal kümmern müssen.