Spionage

Die Demontage der Demokratie

Das wird in zehn Jahren eintreten
Quelle: IfD Allensbach

Wie morsch das Gebälk der Demokratie in einigen Staaten der westlichen Welt inzwischen geworden ist, zeigt eine neue Veröffentlichung zu den Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA und seinem britischen Gegenstück GCHQ. Heise-Online berichtete mit Verweis auf einer neuen Enthüllung des US-TV-Senders NBC, dass die eigentlich demokratischen Werten verpflichteten Regierungsstellen in den genannten Ländern weit über „Horch & Guck“ hinausgehen. Sie beobachten also nicht nur, verknüpfen die Informationen und geben sie dann gewissermaßen veredelt weiter zum Vorteil ihrer jeweiligen Regierung, sondern greifen aktiv in die Datenstrukturen und den Internet-Verkehr ein, verunglimpfen Personen, machen sie mundtot, verändern Informationen und zerstören Menschen, indem sie ihnen falsche Äußerungen unterschieben sowie einen Verdacht gegen sie in die Welt setzen und diesen dann streuen. Und solche Taktiken werden nicht nur gegen Terroristen und Verbrechersyndikate genutzt, sondern auch gegen – wie auch immer definierte – missliebige Personen, wie es heißt.

Es ist erschreckend und in höchstem Maß verstörend, wie durch solche Handlungen die westliche Demokratie insgesamt desavouiert und von innen heraus zerstört wird. An der Oberfläche sonnt sich US-Präsident Barack Obama noch im Licht der Werte von Freiheit und Demokratie, die als Vorbild für andere Staaten gelten sollen und den dunklen Regimen etwa in Russland und China entgegen gesetzt werden. Doch im Inneren hat die Demontage der Demokratie längst begonnen, wenn der freie Informationsfluss gelenkt, missliebige Personen diskreditiert, den Menschen eine andere Welt vorgespiegelt wird. Was unterscheidet NSA und GCHQ dann noch von der „Stasi“, der Staatssicherheit in der DDR – und so manch dunkler Zukunftsvision aus Science-Fiction-Romanen? Es braucht nur wie in Ungarn ein „Volkstribun“ vom Schlage eines Viktor Orbán „demokratisch“ an die Macht kommen. Mit diesen Beeinflussungsmöglichkeiten versehen, verkommt eine Demokratie dann schnell zur hohlen Phrase.

Umso verstörender ist, dass Politik und Öffentlichkeit diesen Themen so wenig Interesse entgegenbringen. Das steht im krassen Gegensatz zur Selbstgefälligkeit, mit der sich Bürger wie Politiker in der westlichen Welt so gerne als „Demokraten“ begreifen. In allen europäischen Staaten spielt das Thema einer Presseschau zufolge keine große Rolle mehr. Man arrangiert sich, geht zur Tagesordnung über. Es scheint, dass eine gewisse Sättigung erreicht ist. Offenbar wird das Risikopotenzial dieser neu entstandenen Lage nicht erkannt. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts. 69 Prozent der Befragten meinen danach, dass die Menschen sich wohl damit abfinden werden, dass ihre persönlichen Daten im Internet nicht sicher sind. 66 Prozent erwarten schlicht, dass Forscher und Wissenschaftler schon neue technische Möglichkeiten entwickeln werden, damit Datenmissbrauch besser unterbunden wird. Dann müsste sich die Politik aber wohl mehr um das Thema kümmern. Gleichzeitig gehen aber 63 Prozent davon aus, dass die Menschen noch mehr persönliche Informationen preisgeben als heute. Sie schätzen sich selbst also so ein. Nur 37 Prozent setzen auf den Staat, dass dieser für einen besseren Schutz für persönliche Daten im Internet schon sorgen wird.

Ist das bereits eine Kapitulation? Es scheint fast so. Und Politik sowie Intellektuelle, die sich sonst bei jedem noch so kleinen Skandälchen aufregen und die Talkshows bevölkern, zeigen sich stoisch und irgendwie desinteressiert. Warum nur?

Instrumentalisierte OECD

OECD-Geheimnis_bearbeitet-1Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass eine internationale Organisation wie die OECD in Zeiten des NSA-Skandals die USA als Hort der Datensicherheit und als sichere Verwahrstelle für Geschäftsgeheimnisse darstellt. Das Land nimmt nämlich den ersten Platz ein in der „Ratingliste“ der Analysten, in welchem Land Geschäftsgeheimnisse am besten aufgehoben sind, weshalb es sich dort nach Meinung der OECD-Ökonomen auch am ehesten lohnt, Hochtechnologiestandorte zu gründen und den Technologieaustausch zu pflegen.

Angesichts der jüngsten Enthüllungen über das Gebaren der US-Geheimdienste weltweit und der Verwicklungen von US-Privatfirmen mit der Datenkrake NSA stellt sich deshalb die Frage, wessen Geschäft die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) da eigentlich betreibt; und was uns das über die derzeit laufenden Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone sagt.

Wird zwischen den USA und der EU womöglich tatsächlich auf dieser Datenbasis verhandelt und mittels solcher Statistiken dafür gesorgt, dass die gerühmten „US-Standards“, die ja laut dieser Studie als die besten der Welt gelten, auf alle Handelspartner ausgeweitet werden, weil die Ergebnisse doch auch so klar und positiv sind? Explizit wird nämlich in der von der OECD verfassten Ausarbeitung („Approaches to Protection of Undisclosed Information – Trade Secrets“ vom 22. Januar 2014) dargelegt, dass man nicht nur den gesetzlich und juristisch garantierten Schutz von Geschäftsgeheimnissen in das „Länderrating“ einbezogen hat, sondern auch die praktische Umsetzung des rechtlichen Regelwerks berücksichtigt hat insbesondere im Hinblick auf mögliche Probleme bei der Durchsetzung. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Dass China am Ende der Tabelle rangiert, ist keine Überraschung. Hier zeigt die Studie zumindest auf, dass zwischen dem rechtlichen Rahmen und der Verwirklichung dieser Vorgaben eine große Kluft besteht. Spätestens seit den Einblicken in das System der US-Geheimdienste durch Whistleblower Edward Snowdon wissen wir aber, dass diese – manche würden sagen: spitzfindige – Unterscheidung auch im Hinblick auf die USA getroffen werden muss. Zwar ist nicht explizit der Beweis erbracht, dass die Megadatenbanken der NSA auch für wirtschaftliche Zwecke genutzt wurden, aber der Gedanke liegt nahe – zumal man bei Geheimdiensten ja ohnehin nicht mehr als Vermutungen anstellen und Plausibilitäten konstatieren kann.

Dagegen findet man Deutschland, das selber große Stücke auf seinen Datenschutz hält und dem auch im Ausland beschieden wird, Geschäftsgeheimnisse und die Privatsphäre besser zu hüten als die meisten anderen Länder, irgendwo im Mittelfeld der OECD-Liste – hinter Korea, Italien und Großbritannien. Dass die OECD am Schluss ihrer Studie ankündigt, die Erhebungen noch weiter zu treiben im Hinblick auf mögliche Wirkungen unterschiedlich sicherer Umgebungen für Geschäftsgeheimnisse auf die Konjunktur und damit das Wachstum, kann vor diesem Hintergrund nur als Drohung aufgefasst werden.

 

Die DDR lässt grüßen!

In der ZDF-Doku-Serie „Nicht alles war schlecht“ erhält man sehr gute Einblicke in die Stimmungslage und das Leben in der DDR als einen diktatorischen, die Freiheit beraubenden und die Menschen verachtenden Staat. Man erfährt, dass allein schon das Wissen über eine potenzielle Stasi-Bespitzelung das Handeln und das Denken in der „Zone“ verändert hatte. Die Dokumentation kommt zur rechten Zeit, da sie das Zeug hat, auch die aktuelle ausufernde Debatte über Internetspionage und Datensammelwut von Staat und Konzernen wieder auf ihren Kern zurück zu führen.
Man kann als Demokrat eben nicht hinnehmen, dass Unmengen an Daten an geheimen Orten gesammelt und ausgewertet werden. Derzeit mögen die Verhältnisse in den USA und in Westeuropa noch so gefestigt sein, dass der Missbrauch durch Staaten zwar nicht ausgeschlossen, aber letztlich dann doch geahndet werden kann, um die Freiheitsrechte der Bürger zu sichern. So manche Entwicklungen auch in den demokratisch fundierten Ländern des Westens zeigen jedoch, dass diese Situation schnell umschlagen kann. Die Daten können dann nicht nur missbräuchlich verwendet werden, sondern bilden die Grundlage, um gesellschaftliches Wohlverhalten gegen ein aufkommendes Unrechtsregime oder gegen autokratische Tendenzen zu erzwingen. Denn es besteht immer die Gefahr, dass vereinzelt harmlose Daten in einer entsprechenden Zusammenstellung und Zusammenschau ein Zerrbild von Menschen zeichnen, die sich dann nicht dagegen wehren können. Schon allein, dass diese Möglichkeit existiert, dürfte das Verhalten ändern. Die Bürger werden angepasster, zurückhaltender und lassen mehr über sich und die Gesellschaft ergehen als demokratisch opportun wäre. Das wäre dann der Anfang vom Ende der Freiheit. Die DDR lässt grüßen.
Dass ein deutsches Gericht nun untersagt hat, dass die Kreditauskunftei Schufa ihren Algorithmus zur Bonitätsprüfung herausgeben muss, weil es angeblich ein Geschäftsgeheimnis ist, passt leider in diese Entwicklungen. Der Bürger kann zwar etwaige Fehler durch eine Selbstauskunft ausbügeln, inwieweit sein Verhalten, sein Wohnort oder sein Lebenslauf (häufige Umzüge, Jobwechsel etc.) aber womöglich dazu führen, dass ihm ein Kredit verweigert wird, das erfährt er nicht. Hier wäre es notwendig, dass zumindest ein demokratisch bestimmter Ausschuss vertrauliche Einblicke erhält, um etwaiges Fehlverhalten der Schufa diesbezüglich ahnden und korrigieren zu können. Ansonsten sieht sich der Bürger solchen Entwicklungen, die seine Freiheit einschränken und sein Leben determinieren, völlig ausgeliefert. Hier muss das Parlament als Vertretung der Bürger gesetzlich nachbessern.
Das gilt selbstverständlich auch für die Datensammelwut von Konzernen. Arglose Internetsurfer nehmen hin, dass ihre Daten (gegen diverse Dienstleistungen) gespeichert und zusammengeführt werden, um anderweitig profitabel genutzt zu werden. Nichts dagegen, dass Unternehmen ein solches Geschäftsmodell haben. Doch Big Data hat inzwischen Größenordnungen erreicht, dass die Informationen auch für Staaten interessant sind, um möglicherweise andere Menschen zu manipulieren oder zu Wohlverhalten zu zwingen. Dass die NSA hier schon Einblicke genommen hat, scheint hinlänglich gesichert zu sein. Deshalb muss sich die Internetgemeinde endlich aus ihrer Lethargie lösen, auf die Hinterbeine stellen und protestieren, um zumindest den deutschen Staat zu zwingen, hier gesetzlich aktiv zu werden was die Transparenz der Datensammlungen und den Umgang damit angeht. Vor allem sollten Datensammler verpflichtet werden, sich jeden Schritt von den „Zielpersonen“ bestätigen lassen zu müssen. Und etwaige Zustimmungen sollten auch widerrufen werden können. Dieser Mechanismus ist nur unzureichend umgesetzt.

 

Gebremster Freiheitsdrang

Man sagt den Deutschen ja bisweilen nach, dass sie zur Wahl gestellt, zwischen Freiheit und Gleichheit wählen zu müssen, sich stets für Letzteres entscheiden würden. Auch wenn die Option lautet: Freiheit oder Bequemlichkeit, scheinen sie sich nicht für jenes Menschenrecht so richtig erwärmen zu wollen, um das schon Bürgerkriege geführt worden sind, und das nur unter großen Opfern autokratischen und diktatorischen Herrschern entrissen worden ist.

Der Hang zur Bequemlichkeit führt jetzt offenbar auch die Hand, wenn es darum geht, Konsequenzen aus den Umtrieben des US-Geheimdienstes NSA zu ziehen. Wie eine Umfrage des ZDF-Politbarometers nämlich zeigt, rangiert das Thema Datenschutz unter ferner Liefen. Nur drei Prozent der Befragten halten es für wichtig, stattdessen rangiert das künstlich aufgebauschte Thema Zuwanderung klar an der Spitze (siehe Grafik).

Wie kann das sein in Zeiten, da immer wieder neue Nachrichten in die Öffentlichkeit gelangen, wie stark unser Leben inzwischen ausspioniert und von fremden Interessen durchdrungen wird? Längst ist unser Handeln ja nicht mehr frei im eigentlichen Sinne, sondern wird von Datenströmen gelenkt über Vorschläge zum Kaufverhalten, verengte Sichtweisen in sozialen Netzwerken und guten Ratschlägen zum (Fitness-)Verhalten sowie zum TV-Programm. Und das erfolgt auf solch subtile Weise, dass sich die betroffenen Bürger nach wie vor „frei“ fühlen.

Wo bleibt da der kritische Geist jener, die sich so gern als Musterdemokraten sehen? Während in der Ukraine Politbarometer-Januar-2014Abertausende von Menschen unter Inkaufnahme persönlicher Einschränkungen und unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gehen, um ihre Freiheitsrechte zu verteidigen und sich gegen die Kleptokraten ihrer Regierung zu wehren, was tut da der gemeine Deutsche? Er fläzt sich vor Fernseher, Tablet oder Notebook, zappt durch Programme und Youtube-Kanäle, frönt Computerspielen, stellt seine Sauf- und Essensbilder ins Netz und drückt immer wieder den „Kaufen“- oder „I Like“-Button.

Es fehlt offenbar an der notwendigen Politisierung der Bürger und ihrer Sensibilität für die Bürgerrechte. Nur, wenn es um ihr engstes Umfeld geht – Bahnhöfe, Pappelalleen, Mobilfunk- und Strommasten – werden sie aktiv und leisten Widerstand. Es ist an der Zeit, dass nicht nur eine Handvoll Publizisten gegen die Gefahren aus dem Internet anschreiben, sondern sich ihnen mehr Stimmen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zugesellen. Sonst sind unsere Persönlichkeitsrechte bald völlig ausgehöhlt und okkupiert von mächtigen Konzernen und Geheimdiensten.

Wohin das führen kann, zeigt die – in Deutschland völlig zu Unrecht oft geschmähte – Science-Fiction-Literatur: Als George Orwells Buch „1984“ veröffentlicht worden ist, hatte man noch seine Vorstellungen eines Überwachungsfernsehers (bidirektionaler Televisor) als überzogene Vorstellung abgetan. Doch inzwischen ist man auch hier klüger: Wie die Zeitschrift „Ct“ in ihrer jüngsten Ausgabe zeigt, sammeln die so genannten Internet-Fernseher so viele Informationen über das Verhalten der Fernsehgemeinde, wie man sich das bislang nicht vorstellen konnte. Wenn diese Informationen dann auch noch mit dem Fitness-Verhalten, den Essgewohnheiten und weiteren Häppchen aus Big-Data verknüpft werden, dann ist es um die Selbstbestimmung der Menschen geschehen. Sie sind dann gefangen in einem Geflecht aus ihrer Sicht wohlmeinender Bevormundung, dass sie nicht einmal spüren, dass sie ihrer grundlegenden Rechte beraubt worden ist.

Spätestens, wenn dann etwa durch Patientenselektion bei wichtigen Behandlungen oder über datengestützte unterschiedlich hohe Sozialbeiträge eine persönliche Betroffenheit hergestellt wird und die Menschen aufwachen, werden sie sich beklagen und – wieder einmal – nach „der Politik“ rufen. Und viele werden ihre gewählten Volksvertreter beschimpfen, weil sie nicht früh genug gehandelt hätten. Doch es waren sie selber, die für ihre Situation dann verantwortlich sind. In Zeiten des Wohlstands und im Schoß der Sicherheit demokratischer Institutionen ist der persönliche Kampf um den Erhalt der Freiheit eben eingeschlafen. Dann ist es aber womöglich zu spät, um die Verästelung des Datengeflechts tief in der Gesellschafts- und Persönlichkeitsstruktur noch rückgängig zu machen.

Auf dem Boden der Tatsachen

Das Bekenntnis des Bloggers Sascha Lobo in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute ist aller Ehren wert – und der Schritt, damit in die Öffentlichkeit zu treten, verdient Respekt. Er habe die inzwischen veränderte Wesensart des Internet falsch eingeschätzt und dessen Potenzial als demokratie- und freiheitsförderndes Medium zu blauäugig wahrgenommen, lässt sich sein Outing zusammenfassen. Aber warum hat gerade er das erst jetzt erkannt?

Kein Wunder, gehörte er doch einer Community von Cyberspace-Bewohnern an, die seit jeher schlicht postulierten, dass das Internet eine neue Realität der Zivilgesellschaft verkörpere. Kritiker, Skeptiker, aber vor allem auch Politiker, die etwa eine Regulierung des Mediums  analog zu seinem realen (atomaren) Gegenstücks forderten, wurden dagegen hart angegangen, als Relikte der Vergangenheit geschmäht, die das Neue dieses Mediums nicht verstehen würden. Jeder Eingriff – ob er nun dem Kampf gegen Kinderpornografie oder der Wahrung des Urheberrechts gegolten hatte – wurde mit geifernder Wut zurückgewiesen. Ein solches monotheistisches Meinungsklima verstellt bisweilen den Blick für die Wirklichkeit.

Dabei hatten die realen Konzerne der Internetwelt längst ihre Finger nach dem Web ausgestreckt um ihre Renditen zu steigern – steuersparend, versteht sich, und unter Ausnutzung von rechtlichen Lücken auch tief in die Privatsphäre der Menschen schnüffelnd, bestehendes Recht außer Kraft setzend bzw. sich darüber hinwegsetzend. Das wurde von der Verteidigern der Internetfreiheit hingenommen und abgetan mit dem Hinweis, man müsse die Privatsphäre in der neuen Zeit einfach neu definieren. Ähnliche Verhaltensweisen dieser Googles, Apples und Facebooks in der realen Welt hätten die gleichen Personen aber mit Sicherheit scharf zurückgewiesen. Die Demonstrationen gegen „Volkszählung“ und des „Microzensus“ sind ja noch gar nicht so lange her. Dass mit dem Internet auch die Geheimdienste eine bequeme Möglichkeit gefunden haben, die eigene Bevölkerung auszukundschaften und ihren Konzernen und Staatsführern wichtige (ökonomische/politische) Informationen zukommen zu lassen, liegt dabei nahe. Überraschend, und da hat Lobo recht, ist nur die Geschwindigkeit, in der das geschehen ist, und das Ausmaß der neuen Spionagemöglichkeiten.

Vieles am Cyber-Coming-Out von Sascha Lobo erinnert an die Debatte der „New Economy“ vor vielen Jahren, als Vertreter von Konzernen, der Politik und der Publizistik der Gesellschaft ebenfalls weismachen wollten, dass ein neues Zeitalter begonnen hatte in der Ökonomie und bisherige Kennzahlen und Weisheiten einfach nicht mehr zählen würden. Schnell hatte sich dann herausgestellt, dass die „alten“ Gesetzmäßigkeiten eben doch weiter gelten, weil sie universell sind und das Verhalten von Konzernen, Gesellschaften und eben auch der Ökonomie gut beschreiben. Nur zeitweise scheinen sie manchmal außer Kraft gesetzt zu sein. Das nennt man dann Blasen, Übertreibungen oder Irrationaler Überschwang. Schnell wurde die Welt damals wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das Verhalten zumindest der meisten deutschen Anleger hat sich von diesem Rückschlag bis heute nicht erholt.

Was bedeutet die mit dem Bekenntnis von Sascha Lobo zum Ausdruck kommende Neubestimmung des Internet nun für unsere Gesellschaft?
1) In der digitalen Welt mögen zwar andere Prozeduren ablaufen in Business, Kommunikation, bei der Ausnutzung von Informationen und im Hinblick auf das persönliche Verhalten der Internetbürger. Klar muss aber sein, dass die Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der realen Welt sich das ebenfalls zunutze machen.
2) Die Teilhabe der Bürger in einer demokratischen Gesellschaft und der Schutz ihrer Privatsphäre dürfen nicht mit zweierlei Maß – atomare vs. digitale Welt – gemessen oder gegeneinander ausgespielt werden. Vor allem darf man nicht zulassen, dass die neue „Währung“ – private Information gegen digitale Goodies – grundlegende Bürgerrechte aushebelt.
3) Die Politik muss sich endlich die nötigen Kompetenz aneignen oder sich zumindest damit umgeben, um für die Unteilbarkeit des aus jahrzehntelangem demokratischen Diskurs entstandenen Rechts zu sorgen. Hierzu reicht es nicht, sich nur mit ein paar personellen Aushängeschildern zu umgeben, welche die Parteien telegen in Talkshows vertreten und dabei Politphrasen absondern.

Wenn Sascha Lobos Bekenntnis einen solchen Denkprozess in Gang setzt und sein Cyber-Coming-Out nicht doch nur dem persönlichen Marketing dient, hat er in der Tat einen wertvollen Beitrag geliefert. Respekt!