Notenbanken

Wasser auf die Mühlen des Anti-Amerikanismus

US-Behörden setzen Recht auf deutschem Boden durch – Sorge vor ökonomischen Folgewirkungen

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist schon länger angeknackst. Die Spionagetätigkeiten des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland, das Abhören des Telefons von Kanzlerin Angela Merkel und die Missachtung deutscher sowie europäischer Parlamentarier bei den Gesprächen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP haben die beiden Länder einander entfremdet. Von den früheren Wunden, die der Vietnam-Krieg, der Afghanistan-Krieg oder der zweimalige Einmarsch in den Irak geschlagen haben, ganz zu schweigen. Der schwelende Anti-Amerikanismus hierzulande gewinnt ohnehin immer mehr an Boden.

Ein neuer Beleg geradezu hegemonialen US-Gebarens, wie ihn nun die FAZ und das TV-Magazin „Panorama“ offengelegt haben, dürfte diese Entwicklung noch beschleunigen und die westliche Welt weiter auseinandertreiben. Bislang konnten die USA noch einen Vertrauensvorschuss in Anspruch nehmen wegen ihrer demokratischen Verfasstheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der gemeinsamen westlichen Wertebasis. FAZ und „Panorama“ zeigen nun aber, dass US-Behörden nicht einmal mehr das Recht von Verbündeten, Handelspartnern und Freunden achten, sondern sich darüber hinwegsetzen und ihre eigene Rechtsauffassung auf dem Boden anderer souveräner Staaten exekutieren, Wohlverhalten gar durch Nötigung und Sanktionsdrohung durchsetzen. Weil zwei Mitarbeiter deutscher Unternehmen im Iran-Handel aktiv waren, so schildert es die FAZ, wurden sie 2014 auf eine „Schwarze Liste“ wegen „Terrorfinanzierung“ und „Proliferation“ gesetzt. Dabei waren die Geschäfte nach hiesiger Rechtslage legal. Selbst die Tatsache, dass die Bundesbank nach eingehender Prüfung grünes Licht gab, half nicht. Die Unternehmen, die Deutsche Forfait AG und die Commerzbank, trennten sich von ihren Mitarbeitern. Aber selbst danach war jenen dann kein normales Leben mehr beschieden, schreibt die FAZ. Ihr Verbleib auf der Liste der „Specially Designated Nationals“ schloss die beiden etwa vom Erwerb eines iPhone aus oder verhinderte, dass Spediteure für sie beauftragt werden konnten. Die Firmen verweigerten ihre Dienste mit Hinweis auf die Liste.

Das ist Wasser auf die Mühlen des deutschen Anti-Amerikanismus. Die Gefahr ist groß, dass dadurch neben dem politischen Flurschaden im Zuge der nationalzentrierten US-Wirtschaftspolitik unter einem US-Präsidenten Trump nun auch die immens wichtigen Handelsbeziehungen leiden können. Deutsche Investitionen in den USA scheinen nicht mehr sicher. Zumindest hier hätte TTIP also schützend gewirkt.

Längst werden die USA hierzulande nicht mehr als „Befreier“ oder „freiheitliches Vorbild“ angesehen, wie eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (siehe Grafik) ergeben hat. Nach wie vor gelten die USA aber, das zeigt eine Umfrage von TNS Infratest für die Körber-Stiftung, als „wichtigster Partner für die deutsche Außenpolitik“ – fast gleichauf mit Frankreich. Russland folgt hier aber schon auf dem Fuße.

Je mehr die USA sich entfernen, desto mehr neigen die Deutschen wieder Russland zu. Während die Empörung über die USA im Zuge der Trump-Wahl und von TTIP besonders hohe Wogen geschlagen hatte, fehlt es an entsprechendem Verhalten hierzulande, wenn es um die Annektion der Krim geht, die Bombardierung Aleppos oder mögliche Hacker- und Bot-Attacken aus den Tiefen des russischen Cyberspace. Manche US-Kritiker sehen im Verhalten Washingtons schon den Versuch, die Europäer von den Märkten im Nahen Osten und in Russland fernhalten zu wollen, weil man sie selbst aufrollen möchte. Vorwurf: Wirtschaftsimperialismus.

Ist die Freundschaft zwischen den USA und Deutschland wirklich so unverbrüchlich wie in Feierstunden gern dargestellt, wäre es an der Zeit, das offene Wort zu pflegen und Selbstkritik zu üben: Die Amerikaner müssen über ihre Wertvorstellungen und ihr politisches Handeln nachdenken, die Deutschen über den schlummernden Anti-Amerikanismus, der vergessen macht, was sie den USA bis heute zu verdanken haben – politisch, ökonomisch, weltanschaulich. Nicht nur Politiker, auch Vertreter der Wirtschaft sollten hier ihre mahnende Stimme erheben. Denn ökonomisch steht viel auf dem Spiel.

Störendes Element ökonomischer Hybris: das Bargeld

Weil sich die monetäre Realität nicht so entwickelt, wie es manche Ökonomen gerne hätten, wollen sie jetzt das Bargeld abschaffen. Der Konsument soll der Geldpolitik zum Untertan gemacht werden.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Der oft gehörte Handwerkerspruch, der ein etwas rustikales Vorgehen bei Reparaturen umschreibt, trifft oft auch auf Ökonomen zu. Denn auch hier gilt: Wenn das Theoriegebilde nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, wird Letztere eben dafür hingebogen. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man sich die aktuelle geldpolitische Debatte vor Augen führt. Der von den Notenbanken beeinflusste Realzins hat die Nulllinie unterschritten, und dabei zeigt sich, dass das vorhandene geldpolitische Instrumentarium nicht mehr richtig greift. Trotz Strafzinsen aufs Sparen steigen Investitionen und Konsum nur quälend langsam. Und bei einem noch weiteren Vorstoß ins Negative, von dem dann wohl auch die Normalbürger betroffen wären, werden Ausweichreaktionen befürchtet: in zinsunabhängige Vermögensanlagen – und Bargeld.

Vor allem Letzteres scheint manchem Ökonomen ein Dorn im Auge, weil es die Wirkung der Negativzinsen weiter dämpft. Bargeld gewinnt in einem deflationären Umfeld nämlich an Wert, während auf Kontoguthaben eine Art Sparsteuer erhoben wird. In der Schweiz wurde bereits eine Pensionskasse gehindert, einen Teil ihres Rentengeldes bar in einem externen Tresor zu lagern.
Aber auch unabhängig davon gibt es schon länger Beschränkungen für Bargeld – und das, obwohl Euro-Noten als „gesetzliches Zahlungsmittel“ eine besondere Stellung genießen. In Italien ist der Höchstbetrag für Barzahlungen auf 999,99 Euro gedeckelt, Frankreich wird nachziehen. Und in Dänemark will man bald auf Bares ganz verzichten. Ab 2017 werden keine neuen Banknoten mehr gedruckt.

Schon länger nimmt die Bedeutung des Bargelds ab. Unbestritten sind die vielen Vorzüge des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Große Teile der Wirtschaft funktionieren nur noch auf dieser Basis. Bereits heute gilt jeder, der gleich mehrere 500-Euro-Scheine auf den Tresen legt zur Bezahlung etwa von Schmuck als potenziell kriminell. Und wenn die digitalen Bezahldienste wie Paypal, Apple-Pay und andere weiter verbreitet sind, wird das Bargeld weiter schwinden.

Zahlungsmittel 2014Die Bargeldkritiker führen aber noch eine ganze Reihe weiterer Gründe für eine Abschaffung an: die hohen Kosten für das Bargeldhandling würden entfallen und zugleich viele Spielarten der Kriminalität erschwert. Allerdings zieht das digitale Geld dafür andere Formen der Kriminalität auf sich wie Hackerangriffe. Zugleich geht die Anonymität der Konsumenten verloren. Jeder Zahlungsakt ist nachvollziehbar. Das wirft Datenschutzfragen auf und stellt bürgerliche Freiheiten infrage. Zudem verlangen die digitalen Anbieter ja auch kräftig Gebühren für ihre Angebote. Ob das digitale Geld unter dem Strich also wirklich günstiger abschneidet, ist fraglich.

Viel wichtiger erscheinen deshalb die von den Bargeldkritikern angeführten (geld-)politischen Argumente. Die Ökonomen Kenneth Rogoff, Larry Summers oder auch der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger verweisen ungeniert darauf, dass die Notenbanken zur besseren Wirkung ihrer Politik einen Durchgriff auf Investoren und Konsumenten benötigen. Nur wenn die Negativzinsen konsequent durchgesetzt werden, könnten die Notenbanken ihre Aufgaben erfüllen. Würden Investoren und Konsumenten zum Geldausgeben quasi gezwungen, würde die Konjunktur anspringen und damit die Teuerung wieder in die Nähe des Preisstabilitätsziels gehievt.

Doch welches Verständnis von „Geldpolitik“ steckt eigentlich hinter solchen Einschätzungen? Der Schweizer Volkswirt Ernst Baltensperger spricht von einer „Anmaßung der Notenbanken“, die ein Gefühl der „Allzuständigkeit“ um sich verbreiten. Es sei „befremdlich“, dass es Überlegungen gebe, das eigene Geld steuerlich zu belasten oder gar abzuschaffen. Und der deutsche Ökonom Thorsten Polleit kritisiert die dabei zum Ausdruck kommende verquere Geisteshaltung: „Der Negativzins steht für eine irrsinnige Welt und ist mit einer arbeitsteiligen produktiven Wirtschaft nicht vereinbar.“ Der Gegenwartskonsum weite sich auf Kosten des Zukunftskonsums aus. Es komme zum Kapitalverzehr. Sparen und Investieren als Quelle des Wohlstands versiegten.

Statt sich zu bemühen, mit immer neuen „innovativen Tools“ das Mandat weiter auszudehnen, sollten die Notenbanken also einfach zugeben, dass sie mit ihrem Latein am Ende sind und nun andere Instanzen wie die Politik am Zuge sind. So machtvolle Institutionen wie die EZB nutzen die Situation aber eher aus, um sich noch mehr Machtbefugnisse einzuverleiben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann weist stets auf diesen Umstand hin und betont, dass Niedrigzinsen Ausdruck einer tief liegenden Wachstumsschwäche seien, welche allein die Politik mit ihrem Instrumentarium bekämpfen könne.

Irritierend ist, dass Notenbanker und Ökonomen in ihrem Streben nach voller ökonomischer Kontrolle sogar bereit sind, gefährliche Nebeneffekte hinzunehmen, worauf in anderem Umfeld viel empfindlicher reagiert worden wäre. So provoziert eine Abschaffung des Bargelds Ausweichreaktionen in stabile Vermögenswerte, was die Ungleichheit in der Gesellschaft erhöht. Denn Normalverdiener sind nun mal eher auf Zinserträge angewiesen als Wohlhabende, die ihr Vermögen stärker in Aktien und Immobilien investiert haben. „Sozialismus für Reiche“, nennt das die Investmentlegende Jim Rogers. Von den einhergehenden Fehlallokationen und neuen Krisengefahren ganz abgesehen.

Letztendlich könnte sich die Einschränkung oder Abschaffung des Bargelds aber auch gegen ihre Stichwortgeber richten: Weichen Konsumenten und Investoren nämlich auf Ersatzgeld aus wie Gold oder reines Digitalgeld, geht den betroffenen Notenbanken die Seigniorage, der Geldschöpfungsgewinn, verloren. Den können dann etwa private Bitcoin-Schürfer einstreichen. Auch eine Form der Umverteilung.

An der Investitionsschwäche beißt sich die Notenbank die Zähne aus

InvesstitionsschwaecheFür viele Finanzmarktbeobachter ist es ein großes Mysterium: Da sinken die Zinsen nahe an oder sogar unter die Nullgrenze, die Gewinne der Unternehmen sprudeln, ihre Finanzierungsspielräume wachsen, die Notenbank stimuliert Banken zudem mit diversen Aufkaufprogrammen sogar zu wieder etwas risikoreicheren Engagements in der Realwirtschaft – aber bei den Investitionen tut sich kaum etwas. Die Klage über eine allgemeine Investitionsschwäche wird eher lauter, es ertönt der Ruf nach dem Staat, der mit höheren Ausgaben der Privatwirtschaft Impulse geben müsse. Vor allem in Deutschland reiben sich viele die Augen, weil hier im Gegensatz zu manchen Euro-Ländern das Wirtschaftswachstum seit Jahren robust ist – und trotzdem wird zu wenig investiert.

Tatsächlich hat die Investitionsbereitschaft der Unternehmen deutlich nachgelassen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt die nominale Investitionsquote noch bei knapp 20<ET>%. Um die Jahrtausendwende waren es 23<ET>%. Auch wenn im Ausland eine Investitionsschwäche ebenfalls nachweisbar ist, hat sie sich in Deutschland doch viel stärker niedergeschlagen (siehe Grafik). Die Nettoanlageninvestitionen sind auf rund 2<ET>% zurückgefallen – ein Niveau, auf dem der Erhalt des Kapitalstocks nicht mehr zu gewährleisten ist. Gerade vor dem Hintergrund des Wandels zur digitalen Wirtschaft ist diese Entwicklung noch viel dramatischer, als es die reinen Investitionsdaten veranschaulichen.

Fast scheint es, als würden die bisherigen ökonomischen Zusammenhänge nicht mehr gelten. „Die alten Geldmultiplikatoren passen nicht mehr“, wundert sich etwa der Chefvolkswirt der Berenberg Bank Holger Schmieding auf einer Tagung des „Monetären Workshops“. Haushalte und Unternehmen trauten sich offenbar nicht, die außerordentlich guten Finanzierungsbedingungen zu nutzen, um in ein zweites Haus oder in neue Maschinen zu investieren. Hat sich die Makroökonomie der Notenbanker zu wenig um die Mikroökonomie in den Unternehmen gekümmert? Ist die ökonomische und politische Unsicherheit gar so groß, dass selbst niedrigste Zinsen zu keiner Investitionsidee verleiten? Oder fehlt es schlicht an solchen Ideen?

Folgen der Finanzkrise?

Letzteres vermuten einige Ökonomen, die eine „säkulare Stagnation“ der Volkswirtschaften vermuten, einen Zustand zu hoher Sparvolumina und strukturell zu geringer Investitionen, der das Wachstum langfristig zum Erliegen bringt. Doch es deutet vieles darauf hin, dass es sich bei der beobachteten Entwicklung „nur“ um eine Folgewirkung der jüngsten Finanzkrise und tiefen Rezession handelt. Die Stagnation sei das Resultat der Aufarbeitung früherer Exzesse, ist sich der Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, Thomas Mayer, sicher. Entscheidender Wachstumstreiber sei „der Wille zum Investieren“. Und der sei in der derzeitigen Situation, da die Staaten und der Privatsektor nach wie vor eine dramatisch hohe Verschuldung aufweisen, da der Regulator obendrein die Daumenschrauben für Banken immer weiter anzieht, um künftige Auswüchse zu vermeiden, und da zusätzlich politische Unsicherheiten um sich greifen, eben nicht gerade ausgeprägt.

Allerdings stellt sich vor diesem Hintergrund auch die Frage, ob die Notenbank mit den Anleihekäufen dann tatsächlich das richtige Instrumentarium angewandt hat, wie sie immer behauptet. Den EZB-Ökonomen muss die schwierige Investitionslage ja bewusst gewesen sein. Das wirft die Frage auf, ob mit den Anleihekäufen – neben der Währungsabschwächung – womöglich eher ein Ziel außerhalb des Mandats angepeilt worden ist: die Entlastung der Staatsfinanzen.

Ob die jüngsten Finanzdaten der Europäischen Zentralbank (EZB), wonach die Banken erstmals seit 2012 wieder mehr Kredite an den Privatsektor vergeben haben, bereits die Wende signalisieren, ist indessen fraglich. Die Entwicklung ist noch instabil. Jahre der Kreditversagung haben zudem ihre Spuren im Kapitalstock der Volkswirtschaften hinterlassen. Der Maschinenpark ist veraltet, was schon allein das Wachstum drückt. Deutsche Investoren weichen zudem lieber in andere Länder aus, wo stabilere und renditeträchtigere Bedingungen herrschen, wie die Transferbilanz nahelegt.

Obwohl in Deutschland die Kreditbedingungen im Vergleich zu anderen Euro-Staaten geradezu paradiesisch anmuten, haben aber auch hier die Unternehmen oft Probleme, wie Ralf Brunkow, Treasurer bei der Braunschweiger Nordzucker AG, schildert. Banken würden zwar Kredit geben, aber oft nicht für längere Laufzeiten – zumindest weit unterhalb der Investitionsperspektive. Auf dieser Basis sei es dann schwer, das Risiko der Investition abzuschätzen.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat einen weiteren Investitionskiller in Deutschland ausgemacht: Realinvestitionen würden nach wie vor gegenüber Finanzinvestitionen steuerlich benachteiligt. Die erwartete Rendite müsste hierzulande schon um etwa 1,5 Prozentpunkte höher liegen als eine Kapitalmarktverzinsung mit ähnlichem Risikoprofil. Unternehmenspraktiker verweisen zudem darauf, dass die Niedrigzinspolitik auch negative Folgen für sie hat, etwa bei Pensionsrückstellungen. Folge: Die Personalkosten steigen. Können diese nicht auf den Preis der Produkte oder Dienstleistungen abgewälzt werden, seien Investitionen auch bei niedrigen Kapitalkostenansätzen immer weniger rentabel.

Wird nun die politische Verunsicherung durch die Ukraine-Krise und einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands (Grexit) als Verunsicherungsfaktor hinzugerechnet und nimmt man eine demografische Perspektive ein, werden die Probleme eher noch größer. Deshalb braucht man sich über die Investitionszurückhaltung der Privatwirtschaft in Deutschland und vielen anderen Euro-Ländern gar nicht wundern. Die KfW hat in ihrer Mittelstandsumfrage bereits die mannigfachen Facetten der demografischen Investitionsbelastungen (Facharbeitermangel, ältere, weniger investitionsfreudige Unternehmenschefs, ungeklärte Unternehmensnachfolge, schwaches Wachstum) benannt und die Politik zum Handeln aufgefordert.

Glaubwürdigkeit der EZB

Auch die EZB muss nun feststellen, dass ihr immer fulminanter eingesetztes geldpolitisches Instrumentarium ohne eine abgestimmte Reaktion der Wirtschaftspolitik ins Leere läuft, was wiederum die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, wovor der diesjährige Preisträger des „Monetären Workshops“, der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger, schon länger warnt. Und auch so mancher Ökonom, der die EZB gern in eine stärker wirtschaftspolitische Rolle manövrieren möchte und in den Notenbanken eine Art Clearinghouse der Volkswirtschaft sieht, muss sich wohl neu orientieren.

Die Schuld der Notenbanken an der steigenden Ungleichheit

Reichtum 2014Wurden bislang in den Führungszirkeln der westlichen Volkswirtschaften Fragen der Verteilungspolitik eher den „Berufsethikern“ in den Kirchen und Sozialverbänden zugeschoben, hat sich die Debatte inzwischen regelrecht umgepolt. Immer mehr Ökonomen, Unternehmensführer und nun auch Notenbanker machen sich Sorgen über die wachsende ökonomische Ungleichheit. Aber (noch) scheint nicht die Angst vor dadurch ausgelösten sozialen Unruhen der Grund zu sein, dass sie sich damit beschäftigen. Vielmehr sehen sie dadurch das Wachstum bedroht. Denn je mehr sich das Kapital bei den oberen Zehntausend ballt, desto schwächer wird der Konsum. Reiche legen den Mehrertrag nämlich eher auf die hohe Kante, als ihn zu verköstigen. Wer nach den Ursachen der „säkularen Stagnation“ fahndet, die der US-Ökonom Lawrence Summers für die Weltwirtschaft diagnostiziert und die seines Erachtens noch viele Jahre anhalten wird, findet sie hier.

Von unten nach oben

Zahlreiche Ökonomen beschäftigen sich inzwischen mit den schädlichen Folgen der zunehmenden sozialen Ungleichheit. Volkswirte wie der Franzose Thomas Piketty, der dem Kapitalismus eine immanente Tendenz zur Umverteilung von unten nach oben unterstellt, füllen die Hörsäle in den Universitäten und sind medial omnipräsent. Selbst eine der Kapitalismuskritik so unverdächtige Person wie Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen hat jüngst gemahnt, dass „auf Dauer alle Mitglieder der Gesellschaft vom wachsenden Wohlstand profitieren“ müssten. Alles andere ist nach seinen Worten „nicht gesund“.

Und in der vergangenen Woche klinkten sich auch Notenbanker in die Debatte ein. „Das Ausmaß und der kontinuierliche Anstieg der Ungleichheit beunruhigen mich sehr“, sagte US-Fed-Chefin Janet Yellen in einer Rede in Boston. Die vergangenen Jahrzehnte sich ausweitender Ungleichheit ließen sich als bedeutende Einkommens- und Vermögensgewinne für die ganz oben und einen stagnierenden Lebensstandard für die Mehrheit zusammenfassen. Aufstiegschancen schwänden. Yellen warf die Frage auf, ob die Ungleichheit noch mit dem amerikanischen Wert der Chancengleichheit zu vereinbaren sei. Schließlich besaß nach einer aktuellen Untersuchung der Fed die untere Hälfte der amerikanischen Haushalte nur 1 % des Vermögens, während es 1989 immerhin noch 3 % gewesen waren. Dagegen stieg der Anteil der reichsten 5 % in den Jahren 1989 bis 2013 von 54 auf 63 % an.

Was Yellen aber dabei verschwieg, ist die Rolle, welche die US-Notenbank über Jahrzehnte beim Aufbau dieser systemischen Unwucht gespielt hat – und noch spielt. Die ultralockere Geldpolitik, die enormen Volumina an Wertpapierkäufen und die „Rettungspolitik“ für das Finanzsystem haben nämlich maßgeblich dazu beigetragen, dass die Vermögen gerade der reichen Bevölkerungsschicht immerzu gewachsen sind, während sich Otto Normalbürger mit mickrigen Zinsen zufriedengeben und zudem mit zum Teil sogar sinkenden Löhnen zurechtkommen musste.

Insofern ist EZB-Direktor Yves Mersch ehrlicher gewesen, als er jüngst in einer Rede auf den „Eigenbeitrag“ der Notenbanken an der Misere eingegangen ist und die Mechanismen hierzu auch konkret benannt hatte: „Unkonventionelle Geldpolitik, im Besonderen umfangreiche Wertpapierkäufe, scheinen die Einkommensungleichheit zu vergrößern.“ Noch vorsichtig in der Formulierung, aber klar in der Aussage: Er spricht von „Kollateraleffekten“ an sich notwendiger geldpolitischer Entscheidungen.

Und wie funktioniert dieser Mechanismus? Es beginnt schon bei der Einkommensentstehung, weil Personen mit höheren Einkommen – der Blick fällt unweigerlich auf Unternehmensmanager, die Abermillionen im Jahr einstreichen – einen Großteil ihres „Lohns“ in Wertpapiere investieren können, weil sie ihn nicht konsumieren müssen. Dagegen sind niedrigere Einkommen bis weit in die Mittelschicht hinein gerade mal in der Lage, ihre Krankenversicherung und Altersvorsorge durch ihre regelmäßigen Beiträge zu finanzieren sowie ihre Immobilienschulden zu bedienen. In der Regel nur mittelbar über die Altersvorsorge – und auch da hauptsächlich nur in den angelsächsischen Ländern – wird dieses Geld in renditeträchtigere Anlagen gesteckt. Der Löwenanteil liegt auf Sparkonten, die kaum verzinst werden. Stichwort: finanzielle Repression. Und so kommt es, dass vermögendere Menschen, die nicht nur nominal, sondern auch anteilig im Portfolio einen höheren Anteil an Aktien, Anleihen und komplexeren Finanzierungsformen besitzen, damit auch eine höhere Rendite einstreichen.

Nun kommt die Notenbank ins Spiel, die einerseits die Banken gerettet und damit neben dem Geld auf den Sparkonten auch die Wertpapiere vor dem Wertverfall bewahrt hatte und mit ihren Liquiditätsgaben an die Banken und mit den Wertpapierkäufen die Kurse von Aktien & Co. nach oben getrieben hat. Sie hat diese Unwucht damit noch weiter vergrößert. Der Abstand zwischen Arm und Reich im Hinblick auf Kapitalerträge wird noch größer, als er strukturell schon ist.

Luxus kleiner Eliten

Die Umverteilung geschieht also von unten nach oben – ganz anders, als es eigentlich in einem fairen Wirtschaftsmodell der Fall sein sollte. „Eine Geldpolitik, die seit Mitte der achtziger Jahre hinter dem Feigenblatt geringer Inflation die Finanzmärkte inflationiert, dient nicht dem Wohlstand des Volkes, sondern dem Luxus kleiner Eliten“, schimpft der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl in einem Blogbeitrag. Insofern müssten sich die Notenbanken endlich ihrer Verantwortung stellen.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Weil der Finanzsektor und die Wertpapiervolumina inzwischen eine Größenordnung erreicht haben, dass jede größere Störung gleich ein Systemversagen der Wirtschaft heraufbeschwört, wollen die Notenbanken unter keinen Umständen einen Kursverfall provozieren etwa durch einen zu frühzeitigen Ausstieg aus ihrer unkonventionellen Geldpolitik. Die Notenbank ist somit Gefangener ihrer eigenen Politik geworden. Und die Akteure der Finanzbranche verstehen es aufs Vortrefflichste, diesen Umstand mit ihrer Lobbyarbeit auszunutzen.

Nachdem den angelsächsischen Notenbanken der Ausstieg schon so schwerfällt, soll nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) auf dieses „Geschäftsmodell“ einschwenken, das viele Top-Ökonomen als den einzigen gangbaren Weg aus der Krise preisen. Und es scheint so, dass ihnen diese Überzeugungsarbeit gelungen ist, wie die Liquiditätsprogramme, der Ankauf von Pfandbriefen und besicherten Wertpapieren (ABS) zeigen. Jüngsten Gerüchten zufolge soll inzwischen sogar der Ankauf von Unternehmensanleihen erwogen werden. EZB-Vize Vítor Constâncio geht davon aus, dass dieser Kurs noch auf längere Zeit so beibehalten wird, und spricht wie viele andere Ökonomen auch von einer „neuen Normalität“, die sich in den Notenbanken manifestiert habe.

Löhne unter Druck

Verteidiger dieser Geldpolitik führen an, dass der expansive Kurs ja das Wachstum fördere und so vor allem ärmeren Menschen helfe. Doch diese sehen sich in der Konkurrenz mit Billiglohnarbeitern auf globaler Ebene am kürzeren Hebel, weshalb die Chancen auf Lohnsteigerungen trotz des Aufschwungs gering sind, wie etwa US-Daten zeigen. Die Profite streichen eher die Unternehmen und ihre Aktionäre ein. Der zitierten Fed-Studie zufolge haben in den Jahren 2010 bis 2013 nur die obersten 10 % der US-Amerikaner überhaupt steigende Einkommen aufgewiesen.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beklagt denn auch, dass das Maß der Ungleichheit in den USA inzwischen alle nachvollziehbaren Größenordnungen überschritten habe: Seit 1998 stagniert das Median-Einkommen der Privathaushalte und ist seit 2007 auf ein Niveau wie vor einem Vierteljahrhundert gefallen. Für Vollzeitbeschäftigte ist sogar eine Lohnstagnation seit Mitte der siebziger Jahre festzustellen. Und das zu einer Zeit, in der sich die Produktivität verdoppelt hat. „Die USA entwickeln sich zu einem Billiglohnland mit Arbeitnehmern, die immer flexibler und produktiver werden“, diagnostiziert ein Gutachten der Boston Consulting Group.

Immobilienpreise im Fokus

Zudem wird zugunsten der ultralockeren Geldpolitik gerne angeführt, dass die Nullzinspolitik die Hauspreise nach oben treibt, was ja Hausbesitzer freue. Zumal gerade Familien der Mittelschicht in den USA überdurchschnittlich große Teile ihres Vermögens in Hausbesitz hielten. Allerdings hat gerade die Übertreibung auf diesem Sektor zur tiefen Finanzkrise beigetragen.

Erst Studien, dass die soziale Ungleichheit inzwischen auch das Wirtschaftswachstum dämpft (das zu steigern die unkonventionelle Geldpolitik der westlichen Notenbanken vorgibt), haben viele handelnde Personen nun aufgerüttelt. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S & P) warnt vor negativen Folgen, wenn die Profite der Wirtschaft weiter zu sehr den Vermögenden und den Vertretern der Spitzeneinkommen zugutekommen. Schon jetzt, so hat die Ratingagentur im Sommer für eine Studie ausgerechnet, müssten die USA deswegen langfristig auf jährlich 0,3 Prozentpunkte an Wachstum verzichten.

Der Leipziger Ökonom Schnabl lenkt die Aufmerksamkeit der Debatte über die Verantwortung der Notenbanken zudem darauf, dass die angestrebte „Preisstabilität“ ohnehin nur ein „Zwischenziel“ der Notenbanken sei. Zu hohe Inflation lässt den Staat und die Halter von realen Vermögenswerten profitieren, während die Zeche der Sparbuchsparer zahlt. Die Vermeidung von höherer Inflation diene also letztlich nur dazu, willkürliche Umverteilungseffekte zu vermeiden. Doch ein ähnlicher Mechanismus zeige sich auch am anderen Ende, wenn die Notenbanken im Kampf gegen Stagnation und Deflation die Vermögenspreise durch ihre Ankäufe in schwindelerregende Höhen treiben und Sparzinsen auf null drücken. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Währungshüter hier ihren Kernauftrag verraten und mit einer Überdosis Geldpolitik den Patienten regelrecht in die Vermögensschizophrenie treiben.

Greenspan gab den Startschuss

Dass der neue Kurs der Notenbanken die soziale Ungleichheit befördert, scheint bereits ein Blick auf die historische Datenlage zu illustrieren. Just seit 1987, als Alan Greenspan das Amt als Fed-Chef übernahm und eine Geldpolitik einleitete, die vornehmlich der Stabilisierung der Finanzmärkte diente, ist der Anteil der Top-1 % am Gesamteinkommen in den USA von rund 13 % auf inzwischen gut 37 % angestiegen. Vergleichbare Entwicklungen sind auch in anderen Industrieländern zu beobachten.

Und wie gegensteuern? Mehr Produktivkapital, sprich: mehr Aktien, in Arbeitnehmerhand, hieße eigentlich die Devise. Doch dieser Wunsch ist schon in den sechziger Jahren in Deutschland versickert. Auch neueren Anläufen war kein Erfolg beschieden. Muss der Gesetzgeber die Entwicklung dann nicht über das Steuersystem korrigieren? Angesichts des globalen Steuerwettbewerbs sind dem Staat hier strukturell Grenzen gesetzt, zumal gerade die Superreichen zu den mobilsten Individuen überhaupt zählen. Ein wichtiger erster Schritt vor weiteren steuerlichen Entlastungen der unteren und mittleren Einkommen wäre die Streichung der kalten Progression, die vor allem die besonders beanspruchte Mittelschicht trifft und ihre Sparneigung torpediert. Das wird inzwischen auch von zahlreichen Ökonomen und Politikern gefordert – genauso wie von Deutsche-Bank-Co-Chef Fitschen.