Investitionsschwäche

An der Investitionsschwäche beißt sich die Notenbank die Zähne aus

InvesstitionsschwaecheFür viele Finanzmarktbeobachter ist es ein großes Mysterium: Da sinken die Zinsen nahe an oder sogar unter die Nullgrenze, die Gewinne der Unternehmen sprudeln, ihre Finanzierungsspielräume wachsen, die Notenbank stimuliert Banken zudem mit diversen Aufkaufprogrammen sogar zu wieder etwas risikoreicheren Engagements in der Realwirtschaft – aber bei den Investitionen tut sich kaum etwas. Die Klage über eine allgemeine Investitionsschwäche wird eher lauter, es ertönt der Ruf nach dem Staat, der mit höheren Ausgaben der Privatwirtschaft Impulse geben müsse. Vor allem in Deutschland reiben sich viele die Augen, weil hier im Gegensatz zu manchen Euro-Ländern das Wirtschaftswachstum seit Jahren robust ist – und trotzdem wird zu wenig investiert.

Tatsächlich hat die Investitionsbereitschaft der Unternehmen deutlich nachgelassen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt die nominale Investitionsquote noch bei knapp 20<ET>%. Um die Jahrtausendwende waren es 23<ET>%. Auch wenn im Ausland eine Investitionsschwäche ebenfalls nachweisbar ist, hat sie sich in Deutschland doch viel stärker niedergeschlagen (siehe Grafik). Die Nettoanlageninvestitionen sind auf rund 2<ET>% zurückgefallen – ein Niveau, auf dem der Erhalt des Kapitalstocks nicht mehr zu gewährleisten ist. Gerade vor dem Hintergrund des Wandels zur digitalen Wirtschaft ist diese Entwicklung noch viel dramatischer, als es die reinen Investitionsdaten veranschaulichen.

Fast scheint es, als würden die bisherigen ökonomischen Zusammenhänge nicht mehr gelten. „Die alten Geldmultiplikatoren passen nicht mehr“, wundert sich etwa der Chefvolkswirt der Berenberg Bank Holger Schmieding auf einer Tagung des „Monetären Workshops“. Haushalte und Unternehmen trauten sich offenbar nicht, die außerordentlich guten Finanzierungsbedingungen zu nutzen, um in ein zweites Haus oder in neue Maschinen zu investieren. Hat sich die Makroökonomie der Notenbanker zu wenig um die Mikroökonomie in den Unternehmen gekümmert? Ist die ökonomische und politische Unsicherheit gar so groß, dass selbst niedrigste Zinsen zu keiner Investitionsidee verleiten? Oder fehlt es schlicht an solchen Ideen?

Folgen der Finanzkrise?

Letzteres vermuten einige Ökonomen, die eine „säkulare Stagnation“ der Volkswirtschaften vermuten, einen Zustand zu hoher Sparvolumina und strukturell zu geringer Investitionen, der das Wachstum langfristig zum Erliegen bringt. Doch es deutet vieles darauf hin, dass es sich bei der beobachteten Entwicklung „nur“ um eine Folgewirkung der jüngsten Finanzkrise und tiefen Rezession handelt. Die Stagnation sei das Resultat der Aufarbeitung früherer Exzesse, ist sich der Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, Thomas Mayer, sicher. Entscheidender Wachstumstreiber sei „der Wille zum Investieren“. Und der sei in der derzeitigen Situation, da die Staaten und der Privatsektor nach wie vor eine dramatisch hohe Verschuldung aufweisen, da der Regulator obendrein die Daumenschrauben für Banken immer weiter anzieht, um künftige Auswüchse zu vermeiden, und da zusätzlich politische Unsicherheiten um sich greifen, eben nicht gerade ausgeprägt.

Allerdings stellt sich vor diesem Hintergrund auch die Frage, ob die Notenbank mit den Anleihekäufen dann tatsächlich das richtige Instrumentarium angewandt hat, wie sie immer behauptet. Den EZB-Ökonomen muss die schwierige Investitionslage ja bewusst gewesen sein. Das wirft die Frage auf, ob mit den Anleihekäufen – neben der Währungsabschwächung – womöglich eher ein Ziel außerhalb des Mandats angepeilt worden ist: die Entlastung der Staatsfinanzen.

Ob die jüngsten Finanzdaten der Europäischen Zentralbank (EZB), wonach die Banken erstmals seit 2012 wieder mehr Kredite an den Privatsektor vergeben haben, bereits die Wende signalisieren, ist indessen fraglich. Die Entwicklung ist noch instabil. Jahre der Kreditversagung haben zudem ihre Spuren im Kapitalstock der Volkswirtschaften hinterlassen. Der Maschinenpark ist veraltet, was schon allein das Wachstum drückt. Deutsche Investoren weichen zudem lieber in andere Länder aus, wo stabilere und renditeträchtigere Bedingungen herrschen, wie die Transferbilanz nahelegt.

Obwohl in Deutschland die Kreditbedingungen im Vergleich zu anderen Euro-Staaten geradezu paradiesisch anmuten, haben aber auch hier die Unternehmen oft Probleme, wie Ralf Brunkow, Treasurer bei der Braunschweiger Nordzucker AG, schildert. Banken würden zwar Kredit geben, aber oft nicht für längere Laufzeiten – zumindest weit unterhalb der Investitionsperspektive. Auf dieser Basis sei es dann schwer, das Risiko der Investition abzuschätzen.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat einen weiteren Investitionskiller in Deutschland ausgemacht: Realinvestitionen würden nach wie vor gegenüber Finanzinvestitionen steuerlich benachteiligt. Die erwartete Rendite müsste hierzulande schon um etwa 1,5 Prozentpunkte höher liegen als eine Kapitalmarktverzinsung mit ähnlichem Risikoprofil. Unternehmenspraktiker verweisen zudem darauf, dass die Niedrigzinspolitik auch negative Folgen für sie hat, etwa bei Pensionsrückstellungen. Folge: Die Personalkosten steigen. Können diese nicht auf den Preis der Produkte oder Dienstleistungen abgewälzt werden, seien Investitionen auch bei niedrigen Kapitalkostenansätzen immer weniger rentabel.

Wird nun die politische Verunsicherung durch die Ukraine-Krise und einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands (Grexit) als Verunsicherungsfaktor hinzugerechnet und nimmt man eine demografische Perspektive ein, werden die Probleme eher noch größer. Deshalb braucht man sich über die Investitionszurückhaltung der Privatwirtschaft in Deutschland und vielen anderen Euro-Ländern gar nicht wundern. Die KfW hat in ihrer Mittelstandsumfrage bereits die mannigfachen Facetten der demografischen Investitionsbelastungen (Facharbeitermangel, ältere, weniger investitionsfreudige Unternehmenschefs, ungeklärte Unternehmensnachfolge, schwaches Wachstum) benannt und die Politik zum Handeln aufgefordert.

Glaubwürdigkeit der EZB

Auch die EZB muss nun feststellen, dass ihr immer fulminanter eingesetztes geldpolitisches Instrumentarium ohne eine abgestimmte Reaktion der Wirtschaftspolitik ins Leere läuft, was wiederum die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, wovor der diesjährige Preisträger des „Monetären Workshops“, der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger, schon länger warnt. Und auch so mancher Ökonom, der die EZB gern in eine stärker wirtschaftspolitische Rolle manövrieren möchte und in den Notenbanken eine Art Clearinghouse der Volkswirtschaft sieht, muss sich wohl neu orientieren.