Geldpolitik

Konjunkturelles Siechtum voraus?

Die konjunkturelle Erholung verläuft nur schleppend, weil die Notenbanken eine echte Reinigungskrise verhindern. Die Menschen müssen sich um die Zukunft sorgen.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

So richtig schlau werden Konjunkturbeobachter nicht, wenn sie derzeit auf die globalen Stimmungsindikatoren blicken: Optimistische Umfrageergebnisse wechseln sich in Europa, den USA und den Emerging Markets mit enttäuschenden ab. Auch die harten statistischen Daten sind ohne klare Richtung. Deutschland sticht aus diesem Feld überaus positiv heraus. Das zeigt mit Blick nach hinten der in einigen Regionen inzwischen leergefegte Arbeitsmarkt. Und die jüngsten Befragungen von Unternehmern und Einkaufsmanagern lassen mit Blick nach vorn auf die nächsten sechs Monate sogar eine regelrechte Euphorie durchschimmern. Deutschlands Wirtschaft, so resümierte das Markit-Institut, das die Einkaufsmanagerbefragungen durchführt, kehre „wieder auf die Überholspur zurück“.

Aber kann man diesen Einschätzungen tatsächlich glauben vor dem Hintergrund des blutleeren globalen Wachstums und der schwachen Dynamik des Welthandels? Und der politischen Risiken, die sich allerorten zusammenballen – in den USA und vor allem in Europa, wo es um nicht weniger als die Zukunft der Gemeinschaft geht. Wie sollte sich die Exportnation Deutschland hier abkoppeln können? Angesichts der Tatsache, dass die Notenbanken weltweit die Zinsen in bisher nicht gekanntem Ausmaß nach unten geschleust haben und den Staaten die Anleihen förmlich aus der Hand reißen, geht es historisch betrachtet sogar auch in Deutschland erstaunlich zäh voran. Als läge ein beklemmender Albdruck auf der Konjunktur.

Ein Blick auf die Teuerung zeigt das ganze Ausmaß dieser verfahrenen Situation: Nur weil der Basiseffekt der Energiepreise etwas nachlässt, reckt die Inflation wieder ihr Haupt. Die unterliegende Entwicklung bleibt indes gedämpft. Selbst das lange Ende der Renditekurve robbt an die Nulllinie heran. Das ist nicht allein auf die lockere Geldpolitik zurückzuführen. Vielmehr rechnen Beobachter auch in der langen Perspektive inzwischen nur noch mit einem eher gedämpftem Wachstum. Das widerspricht den positiven Bekundungen bei Unternehmensbefragungen.

Manche Ökonomen vermuten hinter dieser verworrenen Lage das Phänomen der „säkularen Stagnation“. Durch die technologische und demografische Entwicklung, die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft und infolgedessen der Kapitalballung bei vermögenden, saturierten Haushalten fehle es eben an der nötigen Wachstumsdynamik. Die Verunsicherung durch politische Krisen in Nahost, die Sorge vor einem neuen kalten Krieg mit Russland sowie die – nicht zuletzt durch den Brexit – fragile Lage der EU kommen hier noch erschwerend hinzu. Das lässt Investoren und Konsumenten zweifeln und abwarten. Der vielerorts um sich greifende Protektionismus und Nationalismus macht es dem Wachstum in Zukunft sogar noch schwerer. Schließlich benötigen die Marktwirtschaften der Industrieländer und der Emerging Markets offene Märkte, klare Regeln und stabile Verhältnisse.

Alle diese Widerstände könnten aufgebrochen werden, wenn die Politik schnell handeln und mit konzertierten Reformen den Menschen wieder Zukunftshoffnung einimpfen würde. Stattdessen scheinen die Regierungen aber – vor allem in Europa – in einem Nash-Equilibrium festzustecken. Dieser Begriff aus der Spieltheorie beschreibt die Situation, in der niemand einen Anreiz hat, von seiner Strategie des Abwartens abzuweichen. In der aktuellen Situation sind es die Notenbanken, die den politischen Stillstand zementieren. Unter anderen Umständen würde die derzeit schleppende Konjunktur politische Reformen geradezu erzwingen. Wachstumsbremsen würden beseitigt. In unserer Wirklichkeit werden die Staaten von den Notenbanken aber quasi durchfinanziert und ihre Schuldenlast wird abgemildert. Der Veränderungsdruck ist also gering. Ein schwaches Wachstum reicht schon aus, die Wählerklientel bei Laune zu halten.

Der frühere Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn spricht von einem „sich selbst produzierenden Siechtum“, weil die Notenbanken eine Reinigungskrise verhindert haben und aus falsch verstandener Verantwortung die Entgiftung weiter blockieren. Das gilt für Europa genauso wie für die USA und Japan. Die nächste Krise wird die Volkswirtschaften dann aber mit umso größerer Wucht treffen. Denn die Nebenwirkungen der ultralockeren und unkonventionellen Geldpolitik fressen sich bereits in alle Verästelungen der Volkswirtschaften hinein, manipulieren den Preismechanismus, destabilisieren die Finanzsysteme und verwässern das Grundvertrauen in die Geldordnung. Die Sorgen vor einer neuen Krise steigen – und lasten dann noch mehr auf der Konjunktur. Das lässt die Geldpolitik ins Leere laufen, was deren Akteure aber zu noch unkonventionellerem Handeln anspornt.

Um eine große Krise zu verhindern und zugleich den Teufelskreis konjunkturellen Siechtums zu durchbrechen, müssten die Notenbanken sich daher offen zu den Grenzen ihrer Macht bekennen, den Schleier der geldpolitischen Illusion zerreißen und eine Kehrtwende einleiten. Das würde die Politik zum Handeln zwingen – und den Menschen vor Augen führen, dass das System der Marktwirtschaft doch zur Selbstkorrektur in der Lage ist. Schon weil es dann wieder eine Perspektive gibt, das Umfeld berechenbar erscheint und der Preis seine Funktion erfüllen kann, könnte dieser Hoffnungsfunke einen neuen Wachstumszyklus auslösen.

Die Macht des Finanzkapitalismus

Wie Staatsverschuldung und Geldpolitik die Realwirtschaft in die Zange nehmen

Von Stephan Lorz

Die Debatte trieft vor Verlogenheit: Frankreich, Italien und – natürlich – Griechenland haben die Bösewichte ausgemacht, die ihren fiskalischen Bewegungsradius einschränken und – nach ihrem Verständnis – damit Wohlstand, Wachstum und Fortschritt gefährden. Zum einen die Finanzmärkte, weil sie ihnen höhere Zinsen abknöpfen und die Finanzierung der Defizite glatt verweigern (können). Deshalb ihre Forderung, die Notenbank hätte doch die Pflicht, die Staatsfinanzierung sicherzustellen. Zum anderen die deutsche Bundesregierung, weil diese auf eine Konsolidierung der Staatsfinanzen besteht. Nur durch entsprechendes fiskalisches Wohlverhalten, argumentieren die Deutschen, könnten die von den Finanzmärkten kritisch beobachteten Länder sich wieder das nötige Vertrauen erarbeiten und auf diese Weise wieder mehr fiskalischen Bewegungsspielraum erhalten. Alles Falsch! tönt es aus Paris, Rom und Athen. Nur höhere Staatsausgaben würden höheres Wachstum ermöglichen, was wiederum die Tragfähigkeit und Finanzierung der Staatsverschuldung verbessert und sicherstellt. Austeritätspolitik wird als Ursprung aller Not dargestellt – eine durch und durch verlogene Haltung. Denn es war die überhöhte Verschuldung, welche die sich jetzt über „Austerität“ beklagenden Länder erst in ihre unangenehme Situation gebracht haben.

Noch schlimmer: Erst durch ihr eigenes Handeln hatten die Regierungen in Paris, Rom, Athen  und anderen Staaten die Macht jener Finanzakteure erst konstituiert. Denn mit ihren immer höheren Haushaltsdefiziten haben sie sich ja selbst in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Gläubigern begeben, und zugleich so hohe Kreditvolumina in den Markt gepumpt, die – zusammen mit der Deregulierung des Finanzsektors – den Charakter des Kapitalismus nachhaltig verändert haben. Die Finanzmärkte sind aufgrund ihrer neuen Dimension seither nicht mehr Diener der Realwirtschaft, als die sie sich über Jahrzehnte verstanden hatten, sondern wurden selbst zur dominierenden Macht. Die niedrigen Zinsen im Euroraum tragen ihrerseits auch noch dazu bei, dass die Macht der Investoren und Gläubiger weiter ausgebaut und zementiert wird: Der Konsolidierungsdruck lässt nach, die Notenbanken drücken zusätzliche Finanzvolumina in den Markt und nehmen mit ihren Anleihekäufen den Finanzakteuren das Risiko aus der Hand, was zu dramatischen Fehlallokationen führt und den Regierungen die Verschuldung weiter erleichtert.

Aufgebläht durch das „Schuldgeld“ ist weltweit eine Art Kreditökonomie entstanden, die eher auf kurzfristige Rendite abstellt als auf Nachhaltigkeit. In dieser Welt erscheinen Bilanz optimierende Kennzahlen wichtiger als Produkt- und Prozessinnovationen,  Finanzprodukten wird realwirtschaftlichen Gütern immer der Vorrang eingeräumt. Das schlägt sich auch in den Eckdaten der globalen Wirtschaft nieder: Betrug das Handelsvolumen der weltweiten Finanzmärkte Anfang der neunziger Jahre noch etwa das 15-Fache der realen Wertschöpfung, lag dieser Wert im vorvergangenen Jahr schon bei über dem 70-Fachen –trotz Finanzkrise und neuen Regulierungen. Schon das schiere Volumen lässt erahnen, das Wirkungen auf die Realwirtschaft nicht ausbleiben können.

Diese Entwicklung schlägt sich auch auf das Finanzvermögen nieder, das vor allem von bereits vermögenden Personen gehalten wird: Hatte es in den USA und Deutschland in den siebziger Jahren noch bei 80% der Nettowertschöpfung gelegen, während das Realvermögen 200% erreichte, kommen jetzt beide auf den 200er Wert. Stephan Schulmeister, Ökonom beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut, sieht nicht zuletzt darin den Grund für die zunehmende Ungleichheit: Die Lohnquote sinke, die Kapitalquote steige.

Inwieweit die Unwucht zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft tatsächlich die Ungleichheit erhöht, darüber streitet sich indes die Wissenschaft. Der Kernthese des französischen Ökonomen Thomas Piketty zufolge ist die Kapitalrendite tendenziell immer höher als die Realrendite, weshalb Kapitalvermögen schneller wachsen und Ungleichheit insofern kein zufälliges, sondern ein notwendiges Merkmal des Kapitalismus sei. Hans-Jörg Naumer, Ökonom bei Allianz Global Investors, kommt von seiner Warte aus zu einem ähnlichen Schluss: ,,Deutlich mehr als jeder zweite Dollar, der durch das Einkommen generiert wird, fließt an die Kapitaleigner.‘‘ Seine Schlussfolgerung aber ist nicht der marxistische Umbau des Kapitalismus, sondern der Aufruf an alle Sparer,mehr auf Produktivkapital zu setzen.

Viele Annahmen Pikettys zur Unterstützung seiner These sind recht fragil, die zunehmende Bedeutung von Kapitalvermögen ist aber eine Tatsache. Hinzu kommt: Auch die jüngsten technischen Innovationen bevorzugen eher Investoren und Unternehmer, weil die neuen digitalen Produkte den Faktor Arbeit globalisieren, die Profite aber vorwiegend die Unternehmen selbst und deren Manager einstreichen. Die immer kapitalintensivere Produktion (Roboter) trägt noch mehr zur Schieflage bei, weil selbst gut ausgebildete Fachkräfte künftig mit dem Weltmarktpreis von Kapitalinvestitionen konkurrieren.

Womöglich wird durch die wachsenden Kapitalvolumina und die zunehmende Ungleichheit auch das Wirtschaftswachstum selbst niedergehalten, wie der Ökonom, Larry Summers mit seiner These von der,,säkularen Stagnation‘‘ vermutet. Denn die kaufkräftige Mittelschicht wird ausgezehrt, wie sich bereits in den USA beobachten lässt.

Eine Umkehr der Entwicklung ist nicht absehbar. Der Unternehmensberatung McKinsey zufolge nimmt die globale Verschuldung weiter zu. Seit 2013 wächst auch das Volumen der Finanztransaktionen wieder schneller als die Realwirtschaft, wie der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, konstatiert. Er bezweifelt zudem, dass dies jene Allokationsvorteile mit sich bringt, mit denen der Finanzsektor gerne argumentiert, wenn es um höhere Liquiditäten durch immer neue Derivatebenen geht. Die ultralockere Geldpolitik, die durch den jüngsten Zinsschritt der US-Fed ja noch nicht beendet ist, verstärkt die Dynamik noch weiter, weil noch mehr billiges Geld in die Märkte drückt, ohne direkt der Realwirtschaft zugute zu kommen.

Die Entwicklung ist also noch nicht beendet, und niemand weiß, wohin sie führt. Hat der Kapitalismus bereits das Stadium der „Überakkumulation“ erreicht, das sein Ende herbeiführen wird, wie der Kommunist Karl Marx vorhersagte? Oder wird sich die Gesellschaft sukzessive vom bisherigen Wirtschaftssystem abwenden, weil es für die Masse der Bevölkerung keine Vorteile mehr zu erbringen scheint, wenn nur kleine Gruppen davon profitieren? Oder braut sich nur eine neue gigantische Krise zusammen, die das Blatt völlig neu mischt? Wie könnte sich ein neues gesellschaftliches Gleichgewicht herausbilden und aussehen? Jene Intellektuellen aber, von denen man Aufklärung oder zumindest eine Debatte erwartet wie Philosophen, Politologen, Soziologen oder Historiker, sie sind stumm, haben ihren Einsatz verpasst. Selbst in diesen gesellschaftlichen Fragen führen Ökonomen das große Wort.

Störendes Element ökonomischer Hybris: das Bargeld

Weil sich die monetäre Realität nicht so entwickelt, wie es manche Ökonomen gerne hätten, wollen sie jetzt das Bargeld abschaffen. Der Konsument soll der Geldpolitik zum Untertan gemacht werden.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Der oft gehörte Handwerkerspruch, der ein etwas rustikales Vorgehen bei Reparaturen umschreibt, trifft oft auch auf Ökonomen zu. Denn auch hier gilt: Wenn das Theoriegebilde nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, wird Letztere eben dafür hingebogen. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man sich die aktuelle geldpolitische Debatte vor Augen führt. Der von den Notenbanken beeinflusste Realzins hat die Nulllinie unterschritten, und dabei zeigt sich, dass das vorhandene geldpolitische Instrumentarium nicht mehr richtig greift. Trotz Strafzinsen aufs Sparen steigen Investitionen und Konsum nur quälend langsam. Und bei einem noch weiteren Vorstoß ins Negative, von dem dann wohl auch die Normalbürger betroffen wären, werden Ausweichreaktionen befürchtet: in zinsunabhängige Vermögensanlagen – und Bargeld.

Vor allem Letzteres scheint manchem Ökonomen ein Dorn im Auge, weil es die Wirkung der Negativzinsen weiter dämpft. Bargeld gewinnt in einem deflationären Umfeld nämlich an Wert, während auf Kontoguthaben eine Art Sparsteuer erhoben wird. In der Schweiz wurde bereits eine Pensionskasse gehindert, einen Teil ihres Rentengeldes bar in einem externen Tresor zu lagern.
Aber auch unabhängig davon gibt es schon länger Beschränkungen für Bargeld – und das, obwohl Euro-Noten als „gesetzliches Zahlungsmittel“ eine besondere Stellung genießen. In Italien ist der Höchstbetrag für Barzahlungen auf 999,99 Euro gedeckelt, Frankreich wird nachziehen. Und in Dänemark will man bald auf Bares ganz verzichten. Ab 2017 werden keine neuen Banknoten mehr gedruckt.

Schon länger nimmt die Bedeutung des Bargelds ab. Unbestritten sind die vielen Vorzüge des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Große Teile der Wirtschaft funktionieren nur noch auf dieser Basis. Bereits heute gilt jeder, der gleich mehrere 500-Euro-Scheine auf den Tresen legt zur Bezahlung etwa von Schmuck als potenziell kriminell. Und wenn die digitalen Bezahldienste wie Paypal, Apple-Pay und andere weiter verbreitet sind, wird das Bargeld weiter schwinden.

Zahlungsmittel 2014Die Bargeldkritiker führen aber noch eine ganze Reihe weiterer Gründe für eine Abschaffung an: die hohen Kosten für das Bargeldhandling würden entfallen und zugleich viele Spielarten der Kriminalität erschwert. Allerdings zieht das digitale Geld dafür andere Formen der Kriminalität auf sich wie Hackerangriffe. Zugleich geht die Anonymität der Konsumenten verloren. Jeder Zahlungsakt ist nachvollziehbar. Das wirft Datenschutzfragen auf und stellt bürgerliche Freiheiten infrage. Zudem verlangen die digitalen Anbieter ja auch kräftig Gebühren für ihre Angebote. Ob das digitale Geld unter dem Strich also wirklich günstiger abschneidet, ist fraglich.

Viel wichtiger erscheinen deshalb die von den Bargeldkritikern angeführten (geld-)politischen Argumente. Die Ökonomen Kenneth Rogoff, Larry Summers oder auch der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger verweisen ungeniert darauf, dass die Notenbanken zur besseren Wirkung ihrer Politik einen Durchgriff auf Investoren und Konsumenten benötigen. Nur wenn die Negativzinsen konsequent durchgesetzt werden, könnten die Notenbanken ihre Aufgaben erfüllen. Würden Investoren und Konsumenten zum Geldausgeben quasi gezwungen, würde die Konjunktur anspringen und damit die Teuerung wieder in die Nähe des Preisstabilitätsziels gehievt.

Doch welches Verständnis von „Geldpolitik“ steckt eigentlich hinter solchen Einschätzungen? Der Schweizer Volkswirt Ernst Baltensperger spricht von einer „Anmaßung der Notenbanken“, die ein Gefühl der „Allzuständigkeit“ um sich verbreiten. Es sei „befremdlich“, dass es Überlegungen gebe, das eigene Geld steuerlich zu belasten oder gar abzuschaffen. Und der deutsche Ökonom Thorsten Polleit kritisiert die dabei zum Ausdruck kommende verquere Geisteshaltung: „Der Negativzins steht für eine irrsinnige Welt und ist mit einer arbeitsteiligen produktiven Wirtschaft nicht vereinbar.“ Der Gegenwartskonsum weite sich auf Kosten des Zukunftskonsums aus. Es komme zum Kapitalverzehr. Sparen und Investieren als Quelle des Wohlstands versiegten.

Statt sich zu bemühen, mit immer neuen „innovativen Tools“ das Mandat weiter auszudehnen, sollten die Notenbanken also einfach zugeben, dass sie mit ihrem Latein am Ende sind und nun andere Instanzen wie die Politik am Zuge sind. So machtvolle Institutionen wie die EZB nutzen die Situation aber eher aus, um sich noch mehr Machtbefugnisse einzuverleiben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann weist stets auf diesen Umstand hin und betont, dass Niedrigzinsen Ausdruck einer tief liegenden Wachstumsschwäche seien, welche allein die Politik mit ihrem Instrumentarium bekämpfen könne.

Irritierend ist, dass Notenbanker und Ökonomen in ihrem Streben nach voller ökonomischer Kontrolle sogar bereit sind, gefährliche Nebeneffekte hinzunehmen, worauf in anderem Umfeld viel empfindlicher reagiert worden wäre. So provoziert eine Abschaffung des Bargelds Ausweichreaktionen in stabile Vermögenswerte, was die Ungleichheit in der Gesellschaft erhöht. Denn Normalverdiener sind nun mal eher auf Zinserträge angewiesen als Wohlhabende, die ihr Vermögen stärker in Aktien und Immobilien investiert haben. „Sozialismus für Reiche“, nennt das die Investmentlegende Jim Rogers. Von den einhergehenden Fehlallokationen und neuen Krisengefahren ganz abgesehen.

Letztendlich könnte sich die Einschränkung oder Abschaffung des Bargelds aber auch gegen ihre Stichwortgeber richten: Weichen Konsumenten und Investoren nämlich auf Ersatzgeld aus wie Gold oder reines Digitalgeld, geht den betroffenen Notenbanken die Seigniorage, der Geldschöpfungsgewinn, verloren. Den können dann etwa private Bitcoin-Schürfer einstreichen. Auch eine Form der Umverteilung.

Monetäre Brachialreparatur

Was nicht passt, wird passend gemacht. Gehen Handwerker auf diese Weise etwa bei der Reparatur eines Geschirrspülers vor, ist das Ergebnis absehbar: Zwar läuft das Gerät dann wieder eine gewisse Zeit, doch nach kurzer Zeit ist nicht nur ein Bauteil defekt, sondern der ganze Geschirrspüler muss verschrottet werden. Eine solche Brachialreparatur unseres Geldwesens scheint auch so manchem Ökonomen vorzuschweben. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat zuletzt – wie einige US-Wissenschaftler vor ihm – die Abschaffung des Bargelds gefordert. Denn die Notenbanken stoßen mit ihrer unkonventionelle Geldpolitik auf eine untere Grenze: Das Bargeld verhindert die Durchsetzung der Negativzinsen. Und weil die Politik des Quantitative Easing (QE) nicht so recht funktioniert, die Investitionen nicht anspringen und die Inflation nur zögerlich anzieht, die Realität also schlicht nicht zu den monetären Modellwelten passt, sollen nun die Rahmenbedingungen verändert werden. Das Bargeld muss weichen – und damit auch das letzte Refugium des freien Wirtschaftsbürgers.

An der Investitionsschwäche beißt sich die Notenbank die Zähne aus

InvesstitionsschwaecheFür viele Finanzmarktbeobachter ist es ein großes Mysterium: Da sinken die Zinsen nahe an oder sogar unter die Nullgrenze, die Gewinne der Unternehmen sprudeln, ihre Finanzierungsspielräume wachsen, die Notenbank stimuliert Banken zudem mit diversen Aufkaufprogrammen sogar zu wieder etwas risikoreicheren Engagements in der Realwirtschaft – aber bei den Investitionen tut sich kaum etwas. Die Klage über eine allgemeine Investitionsschwäche wird eher lauter, es ertönt der Ruf nach dem Staat, der mit höheren Ausgaben der Privatwirtschaft Impulse geben müsse. Vor allem in Deutschland reiben sich viele die Augen, weil hier im Gegensatz zu manchen Euro-Ländern das Wirtschaftswachstum seit Jahren robust ist – und trotzdem wird zu wenig investiert.

Tatsächlich hat die Investitionsbereitschaft der Unternehmen deutlich nachgelassen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt die nominale Investitionsquote noch bei knapp 20<ET>%. Um die Jahrtausendwende waren es 23<ET>%. Auch wenn im Ausland eine Investitionsschwäche ebenfalls nachweisbar ist, hat sie sich in Deutschland doch viel stärker niedergeschlagen (siehe Grafik). Die Nettoanlageninvestitionen sind auf rund 2<ET>% zurückgefallen – ein Niveau, auf dem der Erhalt des Kapitalstocks nicht mehr zu gewährleisten ist. Gerade vor dem Hintergrund des Wandels zur digitalen Wirtschaft ist diese Entwicklung noch viel dramatischer, als es die reinen Investitionsdaten veranschaulichen.

Fast scheint es, als würden die bisherigen ökonomischen Zusammenhänge nicht mehr gelten. „Die alten Geldmultiplikatoren passen nicht mehr“, wundert sich etwa der Chefvolkswirt der Berenberg Bank Holger Schmieding auf einer Tagung des „Monetären Workshops“. Haushalte und Unternehmen trauten sich offenbar nicht, die außerordentlich guten Finanzierungsbedingungen zu nutzen, um in ein zweites Haus oder in neue Maschinen zu investieren. Hat sich die Makroökonomie der Notenbanker zu wenig um die Mikroökonomie in den Unternehmen gekümmert? Ist die ökonomische und politische Unsicherheit gar so groß, dass selbst niedrigste Zinsen zu keiner Investitionsidee verleiten? Oder fehlt es schlicht an solchen Ideen?

Folgen der Finanzkrise?

Letzteres vermuten einige Ökonomen, die eine „säkulare Stagnation“ der Volkswirtschaften vermuten, einen Zustand zu hoher Sparvolumina und strukturell zu geringer Investitionen, der das Wachstum langfristig zum Erliegen bringt. Doch es deutet vieles darauf hin, dass es sich bei der beobachteten Entwicklung „nur“ um eine Folgewirkung der jüngsten Finanzkrise und tiefen Rezession handelt. Die Stagnation sei das Resultat der Aufarbeitung früherer Exzesse, ist sich der Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, Thomas Mayer, sicher. Entscheidender Wachstumstreiber sei „der Wille zum Investieren“. Und der sei in der derzeitigen Situation, da die Staaten und der Privatsektor nach wie vor eine dramatisch hohe Verschuldung aufweisen, da der Regulator obendrein die Daumenschrauben für Banken immer weiter anzieht, um künftige Auswüchse zu vermeiden, und da zusätzlich politische Unsicherheiten um sich greifen, eben nicht gerade ausgeprägt.

Allerdings stellt sich vor diesem Hintergrund auch die Frage, ob die Notenbank mit den Anleihekäufen dann tatsächlich das richtige Instrumentarium angewandt hat, wie sie immer behauptet. Den EZB-Ökonomen muss die schwierige Investitionslage ja bewusst gewesen sein. Das wirft die Frage auf, ob mit den Anleihekäufen – neben der Währungsabschwächung – womöglich eher ein Ziel außerhalb des Mandats angepeilt worden ist: die Entlastung der Staatsfinanzen.

Ob die jüngsten Finanzdaten der Europäischen Zentralbank (EZB), wonach die Banken erstmals seit 2012 wieder mehr Kredite an den Privatsektor vergeben haben, bereits die Wende signalisieren, ist indessen fraglich. Die Entwicklung ist noch instabil. Jahre der Kreditversagung haben zudem ihre Spuren im Kapitalstock der Volkswirtschaften hinterlassen. Der Maschinenpark ist veraltet, was schon allein das Wachstum drückt. Deutsche Investoren weichen zudem lieber in andere Länder aus, wo stabilere und renditeträchtigere Bedingungen herrschen, wie die Transferbilanz nahelegt.

Obwohl in Deutschland die Kreditbedingungen im Vergleich zu anderen Euro-Staaten geradezu paradiesisch anmuten, haben aber auch hier die Unternehmen oft Probleme, wie Ralf Brunkow, Treasurer bei der Braunschweiger Nordzucker AG, schildert. Banken würden zwar Kredit geben, aber oft nicht für längere Laufzeiten – zumindest weit unterhalb der Investitionsperspektive. Auf dieser Basis sei es dann schwer, das Risiko der Investition abzuschätzen.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat einen weiteren Investitionskiller in Deutschland ausgemacht: Realinvestitionen würden nach wie vor gegenüber Finanzinvestitionen steuerlich benachteiligt. Die erwartete Rendite müsste hierzulande schon um etwa 1,5 Prozentpunkte höher liegen als eine Kapitalmarktverzinsung mit ähnlichem Risikoprofil. Unternehmenspraktiker verweisen zudem darauf, dass die Niedrigzinspolitik auch negative Folgen für sie hat, etwa bei Pensionsrückstellungen. Folge: Die Personalkosten steigen. Können diese nicht auf den Preis der Produkte oder Dienstleistungen abgewälzt werden, seien Investitionen auch bei niedrigen Kapitalkostenansätzen immer weniger rentabel.

Wird nun die politische Verunsicherung durch die Ukraine-Krise und einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands (Grexit) als Verunsicherungsfaktor hinzugerechnet und nimmt man eine demografische Perspektive ein, werden die Probleme eher noch größer. Deshalb braucht man sich über die Investitionszurückhaltung der Privatwirtschaft in Deutschland und vielen anderen Euro-Ländern gar nicht wundern. Die KfW hat in ihrer Mittelstandsumfrage bereits die mannigfachen Facetten der demografischen Investitionsbelastungen (Facharbeitermangel, ältere, weniger investitionsfreudige Unternehmenschefs, ungeklärte Unternehmensnachfolge, schwaches Wachstum) benannt und die Politik zum Handeln aufgefordert.

Glaubwürdigkeit der EZB

Auch die EZB muss nun feststellen, dass ihr immer fulminanter eingesetztes geldpolitisches Instrumentarium ohne eine abgestimmte Reaktion der Wirtschaftspolitik ins Leere läuft, was wiederum die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, wovor der diesjährige Preisträger des „Monetären Workshops“, der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger, schon länger warnt. Und auch so mancher Ökonom, der die EZB gern in eine stärker wirtschaftspolitische Rolle manövrieren möchte und in den Notenbanken eine Art Clearinghouse der Volkswirtschaft sieht, muss sich wohl neu orientieren.

Selbstgefälliges Deutschland

Die deutschen Unternehmen leben derzeit in der besten aller Welten: Ihre Exportgüter werden ihnen auf den Weltmärkten förmlich aus den Händen gerissen. Zugleich rennen ihnen die Konsumenten im Heimatmarkt die Bude ein. Kein Wunder, dass die Unternehmensstimmung hierzulande so blendend ist, wie das jetzt das Ifo-Institut in seiner neuesten Umfrage zum Geschäftsklima festgestellt hat. Die Wirtschaft expandiert und auch die Wachstumsaussichten für die nächsten Monate werden in rosigen Farben geschildert. Zumal sich die wegen der Schuldenkrise bisher darniederliegenden Märkte in Europa ebenfalls erholen und sich auch da wieder Absatzchancen für deutsche Produkte auftun.

Allerdings ist der Aufschwung, über den sich die deutsche Wirtschaft derzeit so sehr freut, letztlich nur ein großer Glücksfall. Dass der Ölpreis so tief fällt, um wie ein Konjunkturprogramm zu wirken, ist letztlich dem Frackingboom in den USA sowie geopolitischen Umständen zu verdanken. Wird das dabei gesparte Geld nun nicht für Investitionen in Effizienztechnologien und zur Steigerung der Produktivität hergenommen, um für bald wieder höhere Energiepreise gewappnet zu sein, dürfte das Wehklagen später umso lauter zu hören sein. Die dann einhergehenden Wachstumsverluste könnten die heute bejubelten Wachstumsgewinne weit in den Schatten stellen.

Auch die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte auf den Weltmärkten ist nicht das Verdienst der heimischen Industrie, sondern vor allem Resultat der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die sich damit – nebenbei bemerkt – das Risiko eines Währungskrieges einhandelt und den Boden für neue Finanzkrisen bereitet. Denn die Geldflut der Notenbank schwächt den Euro-Kurs und senkt die Zinsen teilweise bis unter die Nulllinie. Das erhöht die preisliche Wettbewerbsfähigkeit aller Euro-Exporteure ohne deren Zutun. Und auch der Konsumboom ist ein Reflex darauf, weil das Ersparte kaum mehr Zinsen abwirft und deshalb gleich verausgabt wird. Dass mit dieser Politik aber auch die Altersvorsorge erodiert, was viele Menschen später einmal hart treffen wird, gerät dabei leicht in Vergessenheit.

Obendrein verführt die phänomenale Konjunkturstimmung zu Selbstgefälligkeit. Das gilt für die Politik, welche die Steuermehreinnahmen noch immer zu wenig in investive Projekte steckt und eher konsumtiven und sozialen Ausgaben huldigt. Strukturreformen werden ebenfalls hintangestellt – sie scheinen derzeit ja nicht nötig. Und auch die Unternehmen nutzen die guten Zeiten zu wenig für Investitionen in die Zukunft des Standorts. Die Etats dafür legen zwar etwas zu, das wird dem über Jahre aufgestauten Nachholbedarf aber nicht gerecht. Erneut wird eine Chance vertan. Dabei ist klar: Geht man Reformen und Investitionen zu spät an, wird es umso schmerzlicher. Die Mühen bei der Umsetzung der Agenda 2010 haben es gezeigt.

(erschienen in: Börsen-Zeitung, 26.3.2015)

Eurozone: Freiwilligkeit funktioniert nicht

Die aktuelle Debatte über die Nichteinhaltung von Reformvereinbarungen durch Griechenland zeigt erneut: Freiwillig unterzieht sich keine Regierung harten Strukturreformen, um ihr Land wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das war schon in Deutschland so, als die heimische Volkswirtschaft noch die „rote Laterne“ der Gemeinschaft in der Hand hielt. Unser Land galt als Abstiegskandidat. Die Arbeitslosigkeit erreichte schwindelerregende Höhen, das Haushaltsdefizit war kaum zu bändigen. Erst dieser Druck hatte die Bundesregierung 2003 zu den Reformen der „Agenda 2010“ genötigt. Die Widerstände in der Öffentlichkeit – auf der Straße und in den Medien – waren gewaltig, konnten jedoch überwunden werden. Ergebnis: Deutschland kann wieder passables Wachstum vorweisen, die Arbeitslosigkeit wurde zurückgedrängt, der Staatshaushalt ausgeglichen, die Schuldenquote sinkt.

Solidarität und Solidität

Freiwillig werden auch anderswo in der Eurozone keine Reformen durchgezogen: Entweder wird der Druck von Seiten der Märkte zu groß, welcher die Verschuldungskosten nach oben treibt und so die Regierung auf Reformkurs zwingt. Oder von Seiten der anderen Euro-Staaten wird Druck ausgeübt, weil sie Finanzhilfen nur unter der Bedingung fester Reformzusagen gewähren. Diese Konditionalität hat sich in der Eurozone als praktikabel und im Hinblick auf Spanien und Portugal sogar als durchaus erfolgreich erwiesen. Zwar ist den Euro-Staaten der finanzielle Beistand laut EU-Verträgen eigentlich verboten, doch die Aussicht auf Reformen und auf eine stabilere Währungsunion hat den Rechtsbruch in großen Teilen der Öffentlichkeit tolerierbar erscheinen lassen. Zudem scheint damit auch die immer wieder eingeforderte Solidarität mit der erstrebten Solidität auf beste Weise zu verschmelzen.

Voraussetzung ist aber, dass die betroffenen Länder sich auch tatsächlich an die Absprachen halten und die angedrohten Sanktionen im Falle des Zuwiderhandelns tatsächlich verhängt werden. Das scheint in der Eurozone nicht gewährleistet zu sein, was wiederum einzelne Länder herausfordert, die Grenzen auszutesten. Italien etwa, das nie ernsthafte Sanktionen zu befürchten hatte, weil der Stabilitätspakt in der Praxis ein stumpfes Schwert geworden ist und das Land bislang auch keine direkten Finanzhilfen in Anspruch nehmen musste, hat über Jahre immer wieder Reformversprechen abgegeben, um mehr Bewegungsspielraum bei der Aufstellung des Haushalts zu bekommen. Doch den Ankündigungen sind bislang nur wenige Taten gefolgt. Und auch Frankreich hat es zu einer wahren Meisterschaft in Verschleppungstaktik gebracht: Die geforderte Einhaltung des Defizitziels wurde stets erneut in die Zukunft verlagert. Dass angesichts solcher Nonchalance die Währungsunion bis heute gehalten hat, grenzt schon an ein Wunder. Denn derlei Verhalten sorgt für Misstrauen und Ärger, die sich anstauen und die Gemeinschaft über die Zeit zum Platzen bringen können.

Troika ausgebootet

Nun könnte das Beispiel Griechenland diesen Prozess noch beschleunigen. Denn am Wohlverhalten der Athener Regierungen waren schon immer Zweifel angebracht. Viele der fest vereinbarten Reformen wurden entweder nur in verwässerter Form durch das Parlament gebracht, oder sie sind im Verwaltungsapparat stecken geblieben. Angesichts von Finanzhilfen geradezu biblischen Ausmaßes hatte man die Troika als unbestechliche Kontrollinstanz eingesetzt, bestehend aus den Kapitalgebern EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB). Letztere hat über ihre Geldpolitik ebenfalls großes Interesse an einer Stabilisierung des Landes. Doch selbst unter der Troika kamen die Reformen nur schleppend voran. Die Regierung verteilte die geforderten Kürzungen zudem einseitig auf die Normalbürger, so dass sich deren Hass nun auf Brüssel und Berlin richtet.

Dass es nach dem Ausbooten der Troika in Griechenland jetzt besser laufen könnte, ja sogar von einem Neuanfang die Rede ist, glaubt am Ende wohl selbst EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht. Athen würde die neue Bewegungsfreiheit eines wie immer gearteten Kompromisses nur zu neuen Exzessen ausnutzen, wie die ersten Reformrücknahmen der neuen Regierung bereits erahnen lassen.

Damit die Athener Regierung ihr Modell eines Staatssozialismus umsetzen kann, müsste der Regierung aber die Zentralbank willfährig sein. Denn ohne weitere EU-Finanzhilfe wären die Ausgabenwünsche nur noch mit der Notenpresse erfüllbar. Am Verhalten der EZB in diesen Tagen wird sich deshalb zeigen, wie unabhängig die Notenbank tatsächlich noch ist und inwieweit sie sich bereits als Erfüllungsgehilfe der Staaten sieht, wenn sie über die monetäre Finanzierung der griechischen Banken zu entscheiden hat. Unabhängig davon ist dies auch ein Lackmustest dafür, ob die Konditionalität von Finanzhilfe gegen Reformen überhaupt noch gilt. Wird das aufgekündigt, hätten sich die Grundlagen der Währungsunion verflüchtigt.

Deutsche Konjunktur: Hoffnungswerte

Die heimische Wirtschaft sonnt sich derzeit in einer für ihre Verhältnisse geradezu grandiosen Wachstumszahl: Um 1,5 % hat die Wertschöpfung 2014 zugelegt, so viel wie seit drei Jahren nicht mehr. Seinerzeit hatte sich Deutschland gerade vom tiefen Einbruch durch die Finanzkrise erholt. Anschließend war die Enttäuschung groß, dass sich danach nur noch ein Miniwachstum eingestellt hatte. Insofern sind die gleich nach Bekanntgabe der Wachstumsdaten geäußerten euphorischen Kommentare nachvollziehbar. Zumindest optisch scheint das Konjunkturtief nun überstanden. Und die Hoffnung ist riesig, dass das Wachstum 2015 auf ähnlich hohem Niveau verlaufen wird. Die Beschäftigungs- sowie die Lohnentwicklung und auch die Exporte scheinen eine solch rosige Sicht durchaus nahezulegen.
Aber schon der Blick auf die Quartalszahlen zeigt, dass die optimistischen Prognosen nur Hoffnungswerte darstellen. Denn das relativ hohe Wachstum war fast ausschließlich einem phänomenalen ersten Quartal und einem enormen statistischen Überhang aus dem Jahr davor zu verdanken. Schon im Frühjahr legte die heimische Wirtschaft eine Vollbremsung hin. Bis jetzt trauen die Unternehmen der Entwicklung nicht, wie die ausgedünnten Investitionspläne signalisieren. Die globalen politischen Krisen, die Sanktionspolitik des Westens, die dilettantisch eingefädelte und kostspielige Energiewende sowie jüngste sozialpolitische Entscheidungen haben eine große Verunsicherung in der Unternehmerschaft hinterlassen. Die Angst vor höheren Belastungen ist überall spürbar. Diese Verunsicherung kann nur aufgebrochen werden, wenn die Bundesregierung durch eine klug eingefädelte Reform- und Steuerpolitik sowie flankierende Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung erkennen lässt, dass sie die Sicherung der ökonomischen Grundlagen nicht ganz aus den Augen verloren hat.

Ein solches Signal ist schon daher überfällig, weil die verbreiteten Prognosen auf eher vergänglichen Grundlagen fußen wie den abgestürzten Ölpreisen. Oder sie wurden durch die EZB-Politik künstlich erzeugt wie der sinkende Euro-Kurs. Ihnen stehen auch große politische und ökonomische Risiken gegenüber. Stichworte sind die Ukraine und die Wahlen in Griechenland mit Implikationen weit in die Eurozone hinein. Das macht es umso wichtiger, die Robustheit der heimischen Wirtschaftsstrukturen zu stärken durch Reformen und Investitionen, was ohne die nötigen Berliner Weichenstellungen nicht passieren wird.

Die Schuld der Notenbanken an der steigenden Ungleichheit

Reichtum 2014Wurden bislang in den Führungszirkeln der westlichen Volkswirtschaften Fragen der Verteilungspolitik eher den „Berufsethikern“ in den Kirchen und Sozialverbänden zugeschoben, hat sich die Debatte inzwischen regelrecht umgepolt. Immer mehr Ökonomen, Unternehmensführer und nun auch Notenbanker machen sich Sorgen über die wachsende ökonomische Ungleichheit. Aber (noch) scheint nicht die Angst vor dadurch ausgelösten sozialen Unruhen der Grund zu sein, dass sie sich damit beschäftigen. Vielmehr sehen sie dadurch das Wachstum bedroht. Denn je mehr sich das Kapital bei den oberen Zehntausend ballt, desto schwächer wird der Konsum. Reiche legen den Mehrertrag nämlich eher auf die hohe Kante, als ihn zu verköstigen. Wer nach den Ursachen der „säkularen Stagnation“ fahndet, die der US-Ökonom Lawrence Summers für die Weltwirtschaft diagnostiziert und die seines Erachtens noch viele Jahre anhalten wird, findet sie hier.

Von unten nach oben

Zahlreiche Ökonomen beschäftigen sich inzwischen mit den schädlichen Folgen der zunehmenden sozialen Ungleichheit. Volkswirte wie der Franzose Thomas Piketty, der dem Kapitalismus eine immanente Tendenz zur Umverteilung von unten nach oben unterstellt, füllen die Hörsäle in den Universitäten und sind medial omnipräsent. Selbst eine der Kapitalismuskritik so unverdächtige Person wie Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen hat jüngst gemahnt, dass „auf Dauer alle Mitglieder der Gesellschaft vom wachsenden Wohlstand profitieren“ müssten. Alles andere ist nach seinen Worten „nicht gesund“.

Und in der vergangenen Woche klinkten sich auch Notenbanker in die Debatte ein. „Das Ausmaß und der kontinuierliche Anstieg der Ungleichheit beunruhigen mich sehr“, sagte US-Fed-Chefin Janet Yellen in einer Rede in Boston. Die vergangenen Jahrzehnte sich ausweitender Ungleichheit ließen sich als bedeutende Einkommens- und Vermögensgewinne für die ganz oben und einen stagnierenden Lebensstandard für die Mehrheit zusammenfassen. Aufstiegschancen schwänden. Yellen warf die Frage auf, ob die Ungleichheit noch mit dem amerikanischen Wert der Chancengleichheit zu vereinbaren sei. Schließlich besaß nach einer aktuellen Untersuchung der Fed die untere Hälfte der amerikanischen Haushalte nur 1 % des Vermögens, während es 1989 immerhin noch 3 % gewesen waren. Dagegen stieg der Anteil der reichsten 5 % in den Jahren 1989 bis 2013 von 54 auf 63 % an.

Was Yellen aber dabei verschwieg, ist die Rolle, welche die US-Notenbank über Jahrzehnte beim Aufbau dieser systemischen Unwucht gespielt hat – und noch spielt. Die ultralockere Geldpolitik, die enormen Volumina an Wertpapierkäufen und die „Rettungspolitik“ für das Finanzsystem haben nämlich maßgeblich dazu beigetragen, dass die Vermögen gerade der reichen Bevölkerungsschicht immerzu gewachsen sind, während sich Otto Normalbürger mit mickrigen Zinsen zufriedengeben und zudem mit zum Teil sogar sinkenden Löhnen zurechtkommen musste.

Insofern ist EZB-Direktor Yves Mersch ehrlicher gewesen, als er jüngst in einer Rede auf den „Eigenbeitrag“ der Notenbanken an der Misere eingegangen ist und die Mechanismen hierzu auch konkret benannt hatte: „Unkonventionelle Geldpolitik, im Besonderen umfangreiche Wertpapierkäufe, scheinen die Einkommensungleichheit zu vergrößern.“ Noch vorsichtig in der Formulierung, aber klar in der Aussage: Er spricht von „Kollateraleffekten“ an sich notwendiger geldpolitischer Entscheidungen.

Und wie funktioniert dieser Mechanismus? Es beginnt schon bei der Einkommensentstehung, weil Personen mit höheren Einkommen – der Blick fällt unweigerlich auf Unternehmensmanager, die Abermillionen im Jahr einstreichen – einen Großteil ihres „Lohns“ in Wertpapiere investieren können, weil sie ihn nicht konsumieren müssen. Dagegen sind niedrigere Einkommen bis weit in die Mittelschicht hinein gerade mal in der Lage, ihre Krankenversicherung und Altersvorsorge durch ihre regelmäßigen Beiträge zu finanzieren sowie ihre Immobilienschulden zu bedienen. In der Regel nur mittelbar über die Altersvorsorge – und auch da hauptsächlich nur in den angelsächsischen Ländern – wird dieses Geld in renditeträchtigere Anlagen gesteckt. Der Löwenanteil liegt auf Sparkonten, die kaum verzinst werden. Stichwort: finanzielle Repression. Und so kommt es, dass vermögendere Menschen, die nicht nur nominal, sondern auch anteilig im Portfolio einen höheren Anteil an Aktien, Anleihen und komplexeren Finanzierungsformen besitzen, damit auch eine höhere Rendite einstreichen.

Nun kommt die Notenbank ins Spiel, die einerseits die Banken gerettet und damit neben dem Geld auf den Sparkonten auch die Wertpapiere vor dem Wertverfall bewahrt hatte und mit ihren Liquiditätsgaben an die Banken und mit den Wertpapierkäufen die Kurse von Aktien & Co. nach oben getrieben hat. Sie hat diese Unwucht damit noch weiter vergrößert. Der Abstand zwischen Arm und Reich im Hinblick auf Kapitalerträge wird noch größer, als er strukturell schon ist.

Luxus kleiner Eliten

Die Umverteilung geschieht also von unten nach oben – ganz anders, als es eigentlich in einem fairen Wirtschaftsmodell der Fall sein sollte. „Eine Geldpolitik, die seit Mitte der achtziger Jahre hinter dem Feigenblatt geringer Inflation die Finanzmärkte inflationiert, dient nicht dem Wohlstand des Volkes, sondern dem Luxus kleiner Eliten“, schimpft der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl in einem Blogbeitrag. Insofern müssten sich die Notenbanken endlich ihrer Verantwortung stellen.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Weil der Finanzsektor und die Wertpapiervolumina inzwischen eine Größenordnung erreicht haben, dass jede größere Störung gleich ein Systemversagen der Wirtschaft heraufbeschwört, wollen die Notenbanken unter keinen Umständen einen Kursverfall provozieren etwa durch einen zu frühzeitigen Ausstieg aus ihrer unkonventionellen Geldpolitik. Die Notenbank ist somit Gefangener ihrer eigenen Politik geworden. Und die Akteure der Finanzbranche verstehen es aufs Vortrefflichste, diesen Umstand mit ihrer Lobbyarbeit auszunutzen.

Nachdem den angelsächsischen Notenbanken der Ausstieg schon so schwerfällt, soll nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) auf dieses „Geschäftsmodell“ einschwenken, das viele Top-Ökonomen als den einzigen gangbaren Weg aus der Krise preisen. Und es scheint so, dass ihnen diese Überzeugungsarbeit gelungen ist, wie die Liquiditätsprogramme, der Ankauf von Pfandbriefen und besicherten Wertpapieren (ABS) zeigen. Jüngsten Gerüchten zufolge soll inzwischen sogar der Ankauf von Unternehmensanleihen erwogen werden. EZB-Vize Vítor Constâncio geht davon aus, dass dieser Kurs noch auf längere Zeit so beibehalten wird, und spricht wie viele andere Ökonomen auch von einer „neuen Normalität“, die sich in den Notenbanken manifestiert habe.

Löhne unter Druck

Verteidiger dieser Geldpolitik führen an, dass der expansive Kurs ja das Wachstum fördere und so vor allem ärmeren Menschen helfe. Doch diese sehen sich in der Konkurrenz mit Billiglohnarbeitern auf globaler Ebene am kürzeren Hebel, weshalb die Chancen auf Lohnsteigerungen trotz des Aufschwungs gering sind, wie etwa US-Daten zeigen. Die Profite streichen eher die Unternehmen und ihre Aktionäre ein. Der zitierten Fed-Studie zufolge haben in den Jahren 2010 bis 2013 nur die obersten 10 % der US-Amerikaner überhaupt steigende Einkommen aufgewiesen.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beklagt denn auch, dass das Maß der Ungleichheit in den USA inzwischen alle nachvollziehbaren Größenordnungen überschritten habe: Seit 1998 stagniert das Median-Einkommen der Privathaushalte und ist seit 2007 auf ein Niveau wie vor einem Vierteljahrhundert gefallen. Für Vollzeitbeschäftigte ist sogar eine Lohnstagnation seit Mitte der siebziger Jahre festzustellen. Und das zu einer Zeit, in der sich die Produktivität verdoppelt hat. „Die USA entwickeln sich zu einem Billiglohnland mit Arbeitnehmern, die immer flexibler und produktiver werden“, diagnostiziert ein Gutachten der Boston Consulting Group.

Immobilienpreise im Fokus

Zudem wird zugunsten der ultralockeren Geldpolitik gerne angeführt, dass die Nullzinspolitik die Hauspreise nach oben treibt, was ja Hausbesitzer freue. Zumal gerade Familien der Mittelschicht in den USA überdurchschnittlich große Teile ihres Vermögens in Hausbesitz hielten. Allerdings hat gerade die Übertreibung auf diesem Sektor zur tiefen Finanzkrise beigetragen.

Erst Studien, dass die soziale Ungleichheit inzwischen auch das Wirtschaftswachstum dämpft (das zu steigern die unkonventionelle Geldpolitik der westlichen Notenbanken vorgibt), haben viele handelnde Personen nun aufgerüttelt. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S & P) warnt vor negativen Folgen, wenn die Profite der Wirtschaft weiter zu sehr den Vermögenden und den Vertretern der Spitzeneinkommen zugutekommen. Schon jetzt, so hat die Ratingagentur im Sommer für eine Studie ausgerechnet, müssten die USA deswegen langfristig auf jährlich 0,3 Prozentpunkte an Wachstum verzichten.

Der Leipziger Ökonom Schnabl lenkt die Aufmerksamkeit der Debatte über die Verantwortung der Notenbanken zudem darauf, dass die angestrebte „Preisstabilität“ ohnehin nur ein „Zwischenziel“ der Notenbanken sei. Zu hohe Inflation lässt den Staat und die Halter von realen Vermögenswerten profitieren, während die Zeche der Sparbuchsparer zahlt. Die Vermeidung von höherer Inflation diene also letztlich nur dazu, willkürliche Umverteilungseffekte zu vermeiden. Doch ein ähnlicher Mechanismus zeige sich auch am anderen Ende, wenn die Notenbanken im Kampf gegen Stagnation und Deflation die Vermögenspreise durch ihre Ankäufe in schwindelerregende Höhen treiben und Sparzinsen auf null drücken. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Währungshüter hier ihren Kernauftrag verraten und mit einer Überdosis Geldpolitik den Patienten regelrecht in die Vermögensschizophrenie treiben.

Greenspan gab den Startschuss

Dass der neue Kurs der Notenbanken die soziale Ungleichheit befördert, scheint bereits ein Blick auf die historische Datenlage zu illustrieren. Just seit 1987, als Alan Greenspan das Amt als Fed-Chef übernahm und eine Geldpolitik einleitete, die vornehmlich der Stabilisierung der Finanzmärkte diente, ist der Anteil der Top-1 % am Gesamteinkommen in den USA von rund 13 % auf inzwischen gut 37 % angestiegen. Vergleichbare Entwicklungen sind auch in anderen Industrieländern zu beobachten.

Und wie gegensteuern? Mehr Produktivkapital, sprich: mehr Aktien, in Arbeitnehmerhand, hieße eigentlich die Devise. Doch dieser Wunsch ist schon in den sechziger Jahren in Deutschland versickert. Auch neueren Anläufen war kein Erfolg beschieden. Muss der Gesetzgeber die Entwicklung dann nicht über das Steuersystem korrigieren? Angesichts des globalen Steuerwettbewerbs sind dem Staat hier strukturell Grenzen gesetzt, zumal gerade die Superreichen zu den mobilsten Individuen überhaupt zählen. Ein wichtiger erster Schritt vor weiteren steuerlichen Entlastungen der unteren und mittleren Einkommen wäre die Streichung der kalten Progression, die vor allem die besonders beanspruchte Mittelschicht trifft und ihre Sparneigung torpediert. Das wird inzwischen auch von zahlreichen Ökonomen und Politikern gefordert – genauso wie von Deutsche-Bank-Co-Chef Fitschen.