EZB

Fauxpas der EZB

IMG-20130806-WA0011_edit1Um Insidergeschäfte zu verhindern und weil sie eine öffentliche, demokratisch zu  kontrollierende Einrichtung ist, darf die EZB Medien künftig nicht mehr von Veranstaltungen fernhalten.

 

Da verschafft EZB-Direktor Benoît Coeuré einigen Marktakteuren das Geschäft ihres Lebens, weil er in einer geschlossenen Veranstaltung verkündet, dass die Notenbank vor der Sommerpause verstärkt Anleihen aufkaufen wird, um im Hochsommer bei einem dann ausgedünnten Markt etwas zurückhaltender zu agieren, doch offenbar ist die EZB der Ansicht, dass dafür die Journalisten büßen müssen.

Zumindest hat es diesen Anschein, da die Notenbank just am gestrigen Donnerstag verkündete, dass die Presse künftig nicht mehr vorab gegen Sperrfrist die Reden wichtiger EZB-Akteure erhalten darf. Zwar weisen die Währungshüter die Unterstellung von sich, das sei eine Reaktion auf den Fauxpas von Coeuré. Die Änderung habe man seit Monaten debattiert, weil über soziale Netzwerke Informationen vor Ablauf der Sperrfrist veröffentlicht worden seien. Doch der Zeitpunkt überrascht schon – nur zwei Tage nach dem Kommunikationsdebakel.

Dabei ist die Verteilung von Reden gegen Sperrfrist eine von Zentralbanken seit Jahren geübte Praxis, um gerade sicherzustellen, dass Medien zeitgleich über EZB-Äußerungen berichten. Kein Marktteilnehmer, der sich zufällig auf der dazugehörigen Veranstaltung befindet, soll einen Informationsvorsprung haben. Wie sich aber gezeigt hat, ist der Bruch von Sperrfristen eher das geringere Problem der Notenbank, ein größeres sind vielmehr unbedachte Äußerungen ihres Spitzenpersonals. Oder Kommunikationspannen, wie im aktuellen Fall, weil die Rede erst am nächsten Morgen veröffentlicht wurde. Die Verantwortlichen in der Notenbank sollten sich also an die eigene Nase fassen. Auch der US-Notenbank Fed ist unlängst eine solche Panne unterlaufen, als sie eine Mail versehentlich vorab an Wall-Street-Banken verschickt hatte und es zu Kursreaktionen gekommen war.

Pikant ist zudem, dass Coeuré an jenem Montag in London die Rede in einer geschlossenen Veranstaltung gerade vor Marktteilnehmern wie Hedgefondsmanagern gehalten hatte, deren Umtriebigkeit ja durchaus bekannt ist. Medien waren übrigens nicht zugelassen. Schon während der Veranstaltung ging der Euro zum Dollar auf Talfahrt – moderne Medien machen es möglich. Will man Insiderverstöße verhindern, darf die Öffentlichkeit künftig von keinem EZB-Auftritt mehr ausgesperrt werden.

Monetäre Brachialreparatur

Was nicht passt, wird passend gemacht. Gehen Handwerker auf diese Weise etwa bei der Reparatur eines Geschirrspülers vor, ist das Ergebnis absehbar: Zwar läuft das Gerät dann wieder eine gewisse Zeit, doch nach kurzer Zeit ist nicht nur ein Bauteil defekt, sondern der ganze Geschirrspüler muss verschrottet werden. Eine solche Brachialreparatur unseres Geldwesens scheint auch so manchem Ökonomen vorzuschweben. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat zuletzt – wie einige US-Wissenschaftler vor ihm – die Abschaffung des Bargelds gefordert. Denn die Notenbanken stoßen mit ihrer unkonventionelle Geldpolitik auf eine untere Grenze: Das Bargeld verhindert die Durchsetzung der Negativzinsen. Und weil die Politik des Quantitative Easing (QE) nicht so recht funktioniert, die Investitionen nicht anspringen und die Inflation nur zögerlich anzieht, die Realität also schlicht nicht zu den monetären Modellwelten passt, sollen nun die Rahmenbedingungen verändert werden. Das Bargeld muss weichen – und damit auch das letzte Refugium des freien Wirtschaftsbürgers.

Der Robin-Hood-Nimbus von Tsipras ist verblasst

Es geht um die Deutungshoheit, wenn es zum Äußersten, dem Grexit, kommt, Athen also pleitegeht und die Eurozone verlassen muss. Und deshalb steht in großen Teilen der Diskussionsforen in den sozialen Netzwerken längst fest, wer schuldig am griechischen Debakel ist: die von Berlin aus diktierte europäische „Rettungspolitik“. Sie habe das Land „auf dem Gewissen“, sei für die Verarmung der unteren Schichten verantwortlich. Da ist vom „Zerfall des deutschen Europas“ die Rede, Griechenland, das „niederkonkurriert“ worden sei und „kleingehalten“ werde. Die „sogenannte Rettungspolitik“ wird vom früheren deutschen Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck als „Anmaßung“ und „kalte Machtausübung“ bezeichnet.
Auch die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz sticheln immer wieder und fordern Brüssel auf, den Athener Wünschen doch nachzugeben, sich endlich auf einen Schuldenschnitt einzulassen. Und für die linke Aktivistin Naomi Klein ist es sogar ein „Kampf für die Demokratie“, den Athen derzeit heroisch durchzieht.
Es geht tatsächlich um mehr als „nur“ um Griechenland. Können die Menschen überzeugt werden, dass eine „kapitalistische Rettungspolitik“ das Land auf dem Gewissen hat, ändern sich auch für den dahinterstehenden wiederaufflackernden ideologischen Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus die Kräfteverhältnisse. Entsprechend werden Tsipras‘ Bannerträger in den sozialen Netzwerken nicht müde, ihre Sicht der Dinge zum dominanten Erklärungsmuster zu machen.

Vertrauen verspielt

Wie verzweifelt die europäischen Institutionen und Staatenvertreter über die Schuldzuschreibungen sind, zeigt auch, dass die üblicherweise eher zurückhaltende Europäische Zentralbank (EZB) Anfang April mit einer „Opinion“ in die Öffentlichkeit gegangen ist. Darin hat sie das griechische Zwangsräumungsgesetz offensiv kritisiert, weil Athen damit nicht wie zunächst bekundet vor allem Arme vor einer Zwangsräumung schützen will. Vielmehr werden nun auch Wohlhabende mit einem Vermögen von bis zu 500000 Euro einbezogen. Die meisten Immobilienbesitzer können nun gefahrlos die Bedienung ihrer Kredite stoppen, was die Sicherheiten der Banken entwertet. Also vergeben diese lieber gar keine Kredite mehr, was die Erholung der griechischen Bauindustrie verhindert.
Normalerweise überlässt die EZB eine solche Demarche der EU oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die mit ihr in der Troika (jetzt: „Institutionen“) zusammensitzen. Aber wie der Zulauf zu extremen Parteien in den Krisenstaaten zeigt, besteht durchaus die Gefahr, dass sich ein falsches Realitätsbild festsetzt, das die Notenbank zum Sündenbock macht. Also geht die EZB selber in die Offensive. Und inzwischen verlieren auch die anderen Europartner Griechenlands die Geduld mit der Athener Regierung, wie sich jetzt auf dem Finanzministertreffen der Eurogruppe in Riga gezeigt hat.
Dabei zeigt die neue Linksregierung in Athen unter Alexis Tsipras bereits seit einiger Zeit, dass sie keinesfalls jener integre, vom alten Politklüngel unabhängige Personenkreis ist, für den sie sich gern ausgibt. Die politischen Entscheidungen erschöpften sich bislang nur in höheren Sozialausgaben, in einem Privatisierungsstopp und in strikter Reformverweigerung. Die wenigen höhere Einnahmen versprechenden Vorschläge sind nur Hoffnungswerte auf künftiges Wachstum. Das aber wird sich nicht einstellen, weil die Athener Politik ihre Glaubwürdigkeit verloren und die bisherigen Reformerfolge verspielt hat. Investoren machen einen großen Bogen um Griechenland – und die eigenen Bürger schaffen ihr Geld ins Ausland.

Linke Klientelpolitik

Mehr und mehr wird klar, dass Tsipras auch nicht der „Robin Hood“ ist, den er für seine Claqueure darstellt, sondern eher den „Sheriff von Nottingham“ mimt. Denn wie seine Vorgänger im Amt macht er Klientelpolitik und lässt die Reichen weiter gewähren. Es fängt schon damit an, dass der von ihm eingesetzte Untersuchungsausschuss zur Entwicklung der Krise nur die Zeit ab 2009 untersuchen soll statt die Umtriebe der Oligarchen oder den Nepotismus davor. Dabei war das Land schon vor 2009 heruntergewirtschaftet. Die Intention ist also klar: die Verantwortlichen werden im Ausland gesucht – bei den Gläubigern.
Auch die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Präsidenten der griechischen Statistikbehörde Elstat, Andreas Georgiou, zielen in diese Richtung. Ihm wird vorgeworfen, für 2009 ein zu hohes Haushaltsdefizit errechnet und damit Griechenlands Kreditgebern erst die Rechtfertigung für die unpopulären Sparmaßnahmen geliefert zu haben. Nicht belangt werden sollen indes die Verantwortlichen, welche das Defizit einst in betrügerischer Absicht zu niedrig angesetzt und sich damit die Euro-Mitgliedschaft erschlichen haben. Dass die Korruptionsbekämpfungseinheit nun in das Finanzministerium eingegliedert worden ist und damit ihre Unabhängigkeit verliert, passt ebenfalls ins Bild. Politische Umstände könnten es ja notwendig machen, die Beamten zu bremsen.
Wenig übrig von Tsipras‘ Nimbus als eines Kämpfers für die Armen bleibt beim Blick auf die Steuerpolitik. Freiberufler sind weitgehend steuerbefreit und dürfen ihre Einnahmen selbst schätzen. Der Finanzminister hat schlicht „vergessen“ das neue Steuergesetz umzusetzen. Und auch beim Steuerstundungsgesetz hat Tsipras nun die Schwelle wieder abgeschafft, wonach nur Steuerschuldner unter 1 Mill. Euro davon profitieren dürfen. Das freut die Wohlhabenden.
Ähnlich die Entwicklung bei der Immobiliensteuer: Die Regierung Samaras hatte sie auf Drängen der Troika einst eingeführt, um reiche Griechen an der Finanzierung des Staatshaushalts stärker zu beteiligen. Im Wahlkampf versprach Tsipras dann eine Lockerung, was das Steueraufkommen schon vorab einbrechen ließ. Dem Vernehmen nach soll sie jetzt in eine Reichensteuer aufgehen. Konkrete Entscheidungen stehen aber noch aus. Auch die Streichung der Steuerermäßigung für die wohlhabenden griechischen Touristeninseln wird nun doch nicht exekutiert. Dabei sollten die Mehreinnahmen den Arbeitslosen zugutekommen. – Und schließlich die soziale Schieflage beim Gesetz gegen Zwangsversteigerungen, wogegen sich aktuell die EZB gewendet hat.

Der Staat als Beute

Dass Athen bislang nicht auf Angebote aus der Schweiz und aus Deutschland reagiert hat, sich um die griechischen Steuerflüchtlinge zu kümmern, sofern man nur ein entsprechendes Amtshilfeersuchen stellt, passt da ins Bild. Es hat den Anschein, dass sich die neue Regierung wie ihre Vorgängerregierungen nun ebenfalls den Staat zur Beute machen will, dabei auf die alten Netzwerke zurückgreift und deren Repräsentanten dafür schont. Damit dieses System erhalten bleibt, muss der Bürgerzorn umgelenkt werden – auf Brüssel, Berlin und die EZB.

Selbstgefälliges Deutschland

Die deutschen Unternehmen leben derzeit in der besten aller Welten: Ihre Exportgüter werden ihnen auf den Weltmärkten förmlich aus den Händen gerissen. Zugleich rennen ihnen die Konsumenten im Heimatmarkt die Bude ein. Kein Wunder, dass die Unternehmensstimmung hierzulande so blendend ist, wie das jetzt das Ifo-Institut in seiner neuesten Umfrage zum Geschäftsklima festgestellt hat. Die Wirtschaft expandiert und auch die Wachstumsaussichten für die nächsten Monate werden in rosigen Farben geschildert. Zumal sich die wegen der Schuldenkrise bisher darniederliegenden Märkte in Europa ebenfalls erholen und sich auch da wieder Absatzchancen für deutsche Produkte auftun.

Allerdings ist der Aufschwung, über den sich die deutsche Wirtschaft derzeit so sehr freut, letztlich nur ein großer Glücksfall. Dass der Ölpreis so tief fällt, um wie ein Konjunkturprogramm zu wirken, ist letztlich dem Frackingboom in den USA sowie geopolitischen Umständen zu verdanken. Wird das dabei gesparte Geld nun nicht für Investitionen in Effizienztechnologien und zur Steigerung der Produktivität hergenommen, um für bald wieder höhere Energiepreise gewappnet zu sein, dürfte das Wehklagen später umso lauter zu hören sein. Die dann einhergehenden Wachstumsverluste könnten die heute bejubelten Wachstumsgewinne weit in den Schatten stellen.

Auch die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte auf den Weltmärkten ist nicht das Verdienst der heimischen Industrie, sondern vor allem Resultat der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die sich damit – nebenbei bemerkt – das Risiko eines Währungskrieges einhandelt und den Boden für neue Finanzkrisen bereitet. Denn die Geldflut der Notenbank schwächt den Euro-Kurs und senkt die Zinsen teilweise bis unter die Nulllinie. Das erhöht die preisliche Wettbewerbsfähigkeit aller Euro-Exporteure ohne deren Zutun. Und auch der Konsumboom ist ein Reflex darauf, weil das Ersparte kaum mehr Zinsen abwirft und deshalb gleich verausgabt wird. Dass mit dieser Politik aber auch die Altersvorsorge erodiert, was viele Menschen später einmal hart treffen wird, gerät dabei leicht in Vergessenheit.

Obendrein verführt die phänomenale Konjunkturstimmung zu Selbstgefälligkeit. Das gilt für die Politik, welche die Steuermehreinnahmen noch immer zu wenig in investive Projekte steckt und eher konsumtiven und sozialen Ausgaben huldigt. Strukturreformen werden ebenfalls hintangestellt – sie scheinen derzeit ja nicht nötig. Und auch die Unternehmen nutzen die guten Zeiten zu wenig für Investitionen in die Zukunft des Standorts. Die Etats dafür legen zwar etwas zu, das wird dem über Jahre aufgestauten Nachholbedarf aber nicht gerecht. Erneut wird eine Chance vertan. Dabei ist klar: Geht man Reformen und Investitionen zu spät an, wird es umso schmerzlicher. Die Mühen bei der Umsetzung der Agenda 2010 haben es gezeigt.

(erschienen in: Börsen-Zeitung, 26.3.2015)

Eurozone: Freiwilligkeit funktioniert nicht

Die aktuelle Debatte über die Nichteinhaltung von Reformvereinbarungen durch Griechenland zeigt erneut: Freiwillig unterzieht sich keine Regierung harten Strukturreformen, um ihr Land wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das war schon in Deutschland so, als die heimische Volkswirtschaft noch die „rote Laterne“ der Gemeinschaft in der Hand hielt. Unser Land galt als Abstiegskandidat. Die Arbeitslosigkeit erreichte schwindelerregende Höhen, das Haushaltsdefizit war kaum zu bändigen. Erst dieser Druck hatte die Bundesregierung 2003 zu den Reformen der „Agenda 2010“ genötigt. Die Widerstände in der Öffentlichkeit – auf der Straße und in den Medien – waren gewaltig, konnten jedoch überwunden werden. Ergebnis: Deutschland kann wieder passables Wachstum vorweisen, die Arbeitslosigkeit wurde zurückgedrängt, der Staatshaushalt ausgeglichen, die Schuldenquote sinkt.

Solidarität und Solidität

Freiwillig werden auch anderswo in der Eurozone keine Reformen durchgezogen: Entweder wird der Druck von Seiten der Märkte zu groß, welcher die Verschuldungskosten nach oben treibt und so die Regierung auf Reformkurs zwingt. Oder von Seiten der anderen Euro-Staaten wird Druck ausgeübt, weil sie Finanzhilfen nur unter der Bedingung fester Reformzusagen gewähren. Diese Konditionalität hat sich in der Eurozone als praktikabel und im Hinblick auf Spanien und Portugal sogar als durchaus erfolgreich erwiesen. Zwar ist den Euro-Staaten der finanzielle Beistand laut EU-Verträgen eigentlich verboten, doch die Aussicht auf Reformen und auf eine stabilere Währungsunion hat den Rechtsbruch in großen Teilen der Öffentlichkeit tolerierbar erscheinen lassen. Zudem scheint damit auch die immer wieder eingeforderte Solidarität mit der erstrebten Solidität auf beste Weise zu verschmelzen.

Voraussetzung ist aber, dass die betroffenen Länder sich auch tatsächlich an die Absprachen halten und die angedrohten Sanktionen im Falle des Zuwiderhandelns tatsächlich verhängt werden. Das scheint in der Eurozone nicht gewährleistet zu sein, was wiederum einzelne Länder herausfordert, die Grenzen auszutesten. Italien etwa, das nie ernsthafte Sanktionen zu befürchten hatte, weil der Stabilitätspakt in der Praxis ein stumpfes Schwert geworden ist und das Land bislang auch keine direkten Finanzhilfen in Anspruch nehmen musste, hat über Jahre immer wieder Reformversprechen abgegeben, um mehr Bewegungsspielraum bei der Aufstellung des Haushalts zu bekommen. Doch den Ankündigungen sind bislang nur wenige Taten gefolgt. Und auch Frankreich hat es zu einer wahren Meisterschaft in Verschleppungstaktik gebracht: Die geforderte Einhaltung des Defizitziels wurde stets erneut in die Zukunft verlagert. Dass angesichts solcher Nonchalance die Währungsunion bis heute gehalten hat, grenzt schon an ein Wunder. Denn derlei Verhalten sorgt für Misstrauen und Ärger, die sich anstauen und die Gemeinschaft über die Zeit zum Platzen bringen können.

Troika ausgebootet

Nun könnte das Beispiel Griechenland diesen Prozess noch beschleunigen. Denn am Wohlverhalten der Athener Regierungen waren schon immer Zweifel angebracht. Viele der fest vereinbarten Reformen wurden entweder nur in verwässerter Form durch das Parlament gebracht, oder sie sind im Verwaltungsapparat stecken geblieben. Angesichts von Finanzhilfen geradezu biblischen Ausmaßes hatte man die Troika als unbestechliche Kontrollinstanz eingesetzt, bestehend aus den Kapitalgebern EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds (IWF) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB). Letztere hat über ihre Geldpolitik ebenfalls großes Interesse an einer Stabilisierung des Landes. Doch selbst unter der Troika kamen die Reformen nur schleppend voran. Die Regierung verteilte die geforderten Kürzungen zudem einseitig auf die Normalbürger, so dass sich deren Hass nun auf Brüssel und Berlin richtet.

Dass es nach dem Ausbooten der Troika in Griechenland jetzt besser laufen könnte, ja sogar von einem Neuanfang die Rede ist, glaubt am Ende wohl selbst EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht. Athen würde die neue Bewegungsfreiheit eines wie immer gearteten Kompromisses nur zu neuen Exzessen ausnutzen, wie die ersten Reformrücknahmen der neuen Regierung bereits erahnen lassen.

Damit die Athener Regierung ihr Modell eines Staatssozialismus umsetzen kann, müsste der Regierung aber die Zentralbank willfährig sein. Denn ohne weitere EU-Finanzhilfe wären die Ausgabenwünsche nur noch mit der Notenpresse erfüllbar. Am Verhalten der EZB in diesen Tagen wird sich deshalb zeigen, wie unabhängig die Notenbank tatsächlich noch ist und inwieweit sie sich bereits als Erfüllungsgehilfe der Staaten sieht, wenn sie über die monetäre Finanzierung der griechischen Banken zu entscheiden hat. Unabhängig davon ist dies auch ein Lackmustest dafür, ob die Konditionalität von Finanzhilfe gegen Reformen überhaupt noch gilt. Wird das aufgekündigt, hätten sich die Grundlagen der Währungsunion verflüchtigt.

Deutsche Konjunktur: Hoffnungswerte

Die heimische Wirtschaft sonnt sich derzeit in einer für ihre Verhältnisse geradezu grandiosen Wachstumszahl: Um 1,5 % hat die Wertschöpfung 2014 zugelegt, so viel wie seit drei Jahren nicht mehr. Seinerzeit hatte sich Deutschland gerade vom tiefen Einbruch durch die Finanzkrise erholt. Anschließend war die Enttäuschung groß, dass sich danach nur noch ein Miniwachstum eingestellt hatte. Insofern sind die gleich nach Bekanntgabe der Wachstumsdaten geäußerten euphorischen Kommentare nachvollziehbar. Zumindest optisch scheint das Konjunkturtief nun überstanden. Und die Hoffnung ist riesig, dass das Wachstum 2015 auf ähnlich hohem Niveau verlaufen wird. Die Beschäftigungs- sowie die Lohnentwicklung und auch die Exporte scheinen eine solch rosige Sicht durchaus nahezulegen.
Aber schon der Blick auf die Quartalszahlen zeigt, dass die optimistischen Prognosen nur Hoffnungswerte darstellen. Denn das relativ hohe Wachstum war fast ausschließlich einem phänomenalen ersten Quartal und einem enormen statistischen Überhang aus dem Jahr davor zu verdanken. Schon im Frühjahr legte die heimische Wirtschaft eine Vollbremsung hin. Bis jetzt trauen die Unternehmen der Entwicklung nicht, wie die ausgedünnten Investitionspläne signalisieren. Die globalen politischen Krisen, die Sanktionspolitik des Westens, die dilettantisch eingefädelte und kostspielige Energiewende sowie jüngste sozialpolitische Entscheidungen haben eine große Verunsicherung in der Unternehmerschaft hinterlassen. Die Angst vor höheren Belastungen ist überall spürbar. Diese Verunsicherung kann nur aufgebrochen werden, wenn die Bundesregierung durch eine klug eingefädelte Reform- und Steuerpolitik sowie flankierende Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung erkennen lässt, dass sie die Sicherung der ökonomischen Grundlagen nicht ganz aus den Augen verloren hat.

Ein solches Signal ist schon daher überfällig, weil die verbreiteten Prognosen auf eher vergänglichen Grundlagen fußen wie den abgestürzten Ölpreisen. Oder sie wurden durch die EZB-Politik künstlich erzeugt wie der sinkende Euro-Kurs. Ihnen stehen auch große politische und ökonomische Risiken gegenüber. Stichworte sind die Ukraine und die Wahlen in Griechenland mit Implikationen weit in die Eurozone hinein. Das macht es umso wichtiger, die Robustheit der heimischen Wirtschaftsstrukturen zu stärken durch Reformen und Investitionen, was ohne die nötigen Berliner Weichenstellungen nicht passieren wird.

EuGH: Der Blankoscheck

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen Blankoscheck ausgestellt bekommen, künftig die Grenzen der Geldpolitik nach eigenem Gusto festlegen zu dürfen. Auch wenn das Plädoyer des Generalanwalts noch kein Richterspruch ist, kann die Notenbank jetzt hinsichtlich unkonventioneller Maßnahmen bis hin zu Anleihekäufen schalten und walten, wie sie möchte. Denn erfahrungsgemäß weicht das in einigen Monaten zu erwartende Urteil kaum vom Plädoyer ab.
Die wenigen „Bedingungen“ des EuGH sind – vielleicht mit Ausnahme der Forderung nach einem Ausscheiden der EZB aus der Troika – windelweich. Sie kann man als Argumentationskosmetik gerichtet an die Adresse der EZB-Kritiker abtun. Denn die Verpflichtung zu mehr Transparenz und mehr Stringenz in der Begründung unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen ist zügig formuliert. Zumal die Richter sich selbst aus der inhaltlichen Prüfung heraushalten wollen, wie sie selber angekündigt haben. Sie fühlen sich nämlich in geldpolitischen Dingen nicht kundig genug, um die Wirkung von EZB-Maßnahmen abschätzen zu können. Bloß komisch, dass sie sich in anderen Rechtsfragen sehr wohl eine Einschätzung zutrauen, die schon oft zu recht umstrittenen Urteilen geführt hat. Zugleich halten sie sich aber für kompetent genug für die Feststellung, dass das OMT-Programm durchaus geeignet sei, den Krisenstaaten die Wiedererlangung „einer gewissen finanziellen Normalität“ zu ermöglichen. Was stellen sie sich bloß unter „Normalität“ vor? Das Aushebeln von Marktmechanismen?

Jetzt liegt es allein beim Bundesverfassungsgericht, den Kulturwandel der Notenbanker von Währungshütern hin zu Fiskalhütern noch zu bremsen. Doch die Möglichkeiten der Karlsruher sind begrenzt. Sie können allenfalls das Handeln der Bundesbank beeinflussen – und die Bundesregierung zu einer Neuverhandlung der EU-Verträge zwingen. Letzteres würde aber angesichts der aktuellen antieuropäischen Strömungen gleich den Bestand der Eurozone aufs Spiel setzen. Es ist deshalb zweifelhaft, ob das Bundesverfassungsgericht dieses Risiko eingehen würde. Zumal sowohl Vertragsneuverhandlungen als auch die Hinnahme eines unbequemen Urteils wohl aufs Gleiche hinauslaufen: seine Entmachtung. Entweder den deutschen Richtern wird die Oberhoheit der Luxemburger Kollegen vertraglich aufgezwungen, oder sie erkennen sie faktisch an. Die Bundesbank als Institution hat diesen Erkenntnisprozess schon hinter sich.

Zerstörerische Ratschläge

Die Zudringlichkeit, mit der angelsächsisch geprägte Ökonomen in letzter Zeit die deutsche Politik unter Druck setzen, damit sie zur Konjunkturrettung in Europa die Staatsausgaben drastisch erhöhe, und wie sie die Europäer insgesamt dazu drängen, die Konsolidierung zu stoppen, weil diese Politik eine neuerliche Rezession erst regelrecht heraufbeschwöre, ist schon auffällig. Internationale Institutionen wie zuletzt die Organisation zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), oder (seit langem) der Internationale Währungsfonds sowie diverse Starökonomen wie Paul Krugman und Joseph E. Stiglitz werden nicht müde, die Regierungen im Währungsraum zu kreditfinanzierten deutlichen Mehrausgaben zu treiben und die Europäische Zentralbank aufzufordern, die Schleusen für Quantitative Easing (QE) doch noch weiter zu öffnen.

Die „alten“ Wahrheiten, wonach solide Staatsfinanzen die Grundlage für Wirtschaftswachstum darstellen, weil nur so das Vertrauen von Konsumenten und Investoren gewonnen wird, gelten in ihrem Verständnis nicht mehr. Sparen ist sekundär, weil Geld ja einfach so geschaffen werden kann – von den Notenbanken. Sie werden in diesem ökonomischen Universum zum fiskalischen Außenposten der Regierungen und fluten die Märkte mit immer mehr Geld nach dem Motto: viel hilft viel. Die Fed, die Bank of England und auch die Europäische Zentralbank (EZB) sollen sich zu Maschinenräumen der Volkswirtschaften wandeln, die eine Feinsteuerung der Prozesse möglich macht. Der Schritt zur geldpolitischen Planwirtschaft ist dann nicht mehr weit.

Die EZB ist bereits auf diesen Kurs eingeschwenkt und bereitet die Öffentlichkeit darauf vor, dass künftig nicht nur Asset-Backed Securities (ABS) und Unternehmensanleihen, sondern bald auch Staatsanleihen erworben werden, um ihre Bilanzsumme in die Höhe zu treiben. Null- und Negativzinsen reichen nicht mehr – jetzt geht es mit der Brechstange weiter. Inwieweit dieser Kurs die damit eigentlich umworbenen kreditgebenden Banken, Unternehmen und Privathaushalte womöglich eher abschreckt, weil die Verunsicherung ob derlei geldpolitischen Aktionismus eher noch zunimmt, wird nicht einmal diskutiert. Von den langfristigen Folgen für das Vertrauen in die Notenbanken, welches die Grundlage für eine stabile Währung darstellt, ganz zu schweigen.

Schon die Negativzinsen und die immense Liquiditätszufuhr zerstören das Grundvertrauen der Bürger in das Bankenwesen, warnte jetzt die Chefvolkswirtin der Helaba Gertrud R. Traud bei der Vorstellung des Kapitalmarktausblicks für 2015. Auch die Tatsache, dass die geldpolitische Liquidität der jüngsten Zeit eher in die Finanzmärkte abgeflossen und die Börsenkurse getrieben hat, dürfte viele Bürger verärgern. Denn davon profitieren in Deutschland bevorzugt die vermögenden Schichten, während in der Realwirtschaft und bei Otto Normalverbraucher wenig ankommt. Die Ungleichheit im Land wird also eher noch vergrößert. Auch die ständigen Vorhaltungen, dass sich Deutschland und Europa „zu Tode“ spare, stehe der gewünschten Aufbruchsstimmung entgegen, moniert Traud.

Dabei sitzt die Fiskalpolitik in Europa längst nicht mehr im Bremserhäuschen und zügelt die Konjunktur. Das geschieht derzeit eher in den USA, wie Traud nachweist. Und warum kommen die vielen besserwisserischen Ratschläge aus den angelsächsisch beeinflussten ökonomischen Kreisen dann trotzdem noch? Weil die Amerikaner eben „hemdsärmeliger“ sind, erklärt sich das Traud. Amerikaner wollten nicht abwarten und wirken lassen, sondern handeln. Vielleicht aber auch, orakelt die Chefvolkswirtin, „geben uns die Amerikaner nur doofe Ratschläge, damit Europa auch weiterhin schlechter dasteht als sie selbst“.

Die Amerikanisierung der Eurozone

Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz
Soll die Eurozone insgesamt wieder auf die Beine kommen, muss sich der Währungsraum nach Meinung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz von althergebrachten ökonomischen Vorstellungen verabschieden und – so möchte man hinzufügen – amerikanischer werden: Weg mit der Austerität, solange das Bankensystem nicht stabil genug ist und zu wenig Kredite vergibt; weg mit der Fixierung auf Schuldenstands- und Defizitquoten, weil deren Missachtung ja gerade nicht zur Euro-Krise geführt hat, wie etwa die niedrigen Vorkrisenquoten in Irland, Spanien und Portugal zeigen. Stattdessen muss das Preisstabilitätsmandat der Europäischen Zentralbank (EZB) um ein Arbeitslosen- und Finanzstabilitätsziel ergänzt werden, braucht es eine echte Bankenunion im Euroraum, eine europäische Arbeitslosenversicherung und – natürlich – Euroland-Bonds. Erst diese Eingriffe würden die Eurozone nachhaltig stabilisieren und das Wachstum wieder auf Normalmaß heraufschleusen, versichert Stiglitz bei einer Veranstaltung von Shearman & Sterling in Frankfurt.

Wenn Deutschland immer wieder Austerität predige, die Einhaltung von Fiskalversprechen einfordere, sich aber einem Finanzausgleich im Währungsraum verweigere, sich nicht der Konsequenzen eines einheitlichen Währungsraums stelle, würden die Deutschen in nicht allzu ferner Zukunft einen wohl noch höheren Preis zahlen müssen, prophezeit Stiglitz. „Ich möchte mir gar nicht ausmalen, welche politischen Folgen es hat, wenn die Arbeitslosenraten in der Eurozone noch längere Zeit so hoch sind wie jetzt.“

In deutschen Ohren klingt derlei Politikschelte in der Tat schmerzhaft, weil Stiglitz‘ Argumentation Vorstellungen von Ordnungspolitik und der Begrenzung staatlicher und zentralbanklicher Macht mit einem Wisch fortfegt. Mehr Industriepolitik, fordert er etwa. Davon gebe es in Europa zu wenig. Die USA seien da viel weiter. Es werde nur nicht „Industriepolitik“ genannt, sondern verstecke sich hinter den „Ausgaben des Defence Department“.

Stiglitz redet zudem einer ökonomischen Feinsteuerung durch die Notenbank das Wort, die hierzulande verpönt ist. Auch das Bankensystem soll nach seinem Dafürhalten nicht rigoros von der Staatssphäre abgekoppelt werden, wie in Europa angestrebt wird, weil das Finanzsystem nur durch einen „Blankoscheck“ der jeweiligen Regierung Krisen überstehen könne. Und auch die Staatsverschuldung sei im Grunde genommen kein Problem, solange die Notenbank einfach Geld drucken könne. Das funktioniere im Euroraum nur deshalb nicht so gut wie in den USA, weil die Staaten keinen Zugriff auf diese Finanzierungsmethode hätten. Stiglitz: „Die USA werden nie eine Schuldenkrise haben, weil es das eigene Geld ist, in dem sie sich verschulden. Und das kann man schnell nachdrucken.“

Ein möglicher Vertrauensverlust in die Währung schert ihn ebenso wenig wie das Ausnutzen von derlei „Versicherung“ durch das Bankwesen. „Marktwirtschaft“ unterscheidet sich vor diesem Hintergrund gar nicht mehr so sehr von anderen Wirtschaftskonzepten wie Planification – eine Art Notenbank-Sozialismus eben.

Was der US-Topökonom richtig beschreibt, sind die Probleme, die sich Europa durch die aus ökonomischer Sicht überhastet eingeführte Währungsunion eingehandelt hat. Das Gebiet stellt in keinster Weise einen optimalen Währungsraum dar. Zu groß die kulturellen, ökonomischen und politischen Unterschiede, zu wenige gemeinsame Institutionen und nicht einmal ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft, wenn es etwa darum geht, die einmal eingegangenen Versprechen auch zu halten und die nötigen Reformen durchzuführen. Stattdessen ist Flickschusterei angesagt, wie die Einrichtung eines Eurorettungsfonds und einer bei der EZB angeflanschten Bankenaufsicht für die größten Institute.

Was Stiglitz aber außer Acht lässt, ist, dass es ja gerade jene bislang ausgebliebenen Reformen sind, die Länder wie etwa aktuell Frankreich dazu befähigen sollen, eine stabile Binnennachfrage zu etablieren und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu steigern. Es ist diese Unfähigkeit der politischen Eliten in diesen (und anderen) Ländern, welche die Eurozone immer wieder neuen Belastungsproben aussetzt und den Groll in der Bevölkerung gegenüber dem Verhalten anderer Länder steigert.

Umgekehrt hat ja auch der von Stiglitz empfohlene ökonomische Umbau seine Schattenseiten, die der Ökonom fairerweise nicht vorenthält: Niedrigzinsen bzw. Minuszinsen sowie die Ankaufprogramme der Notenbanken können in eine Blasenwirtschaft münden, was die nächste Krise vorherbestimmt. Stiglitz‘ ökonomische Rezeptur bevorteilt zudem Vermögende und hohe Einkommen, was die soziale Ungleichheit immens vergrößert und selber wiederum für politischen Zündstoff sorgt. Hinzu kommt, dass das auf diese Weise initialisierte Wachstum weniger neue Arbeitsplätze schafft als in früheren Aufschwungphasen. Niedrigste Zinsen verführen nämlich zu kapitalintensiven Investitionen, die nur wenige neue Jobs hervorbringen – und noch existente Arbeitsplätze zudem gefährden. Das bringt den Nobelpreisträger wieder auf den Gedanken, dass der Staat hier mit eigenen Investitionen in die Infrastruktur vorpreschen muss, um diese Probleme zu lindern. Ein Eingriff folgt auf den nächsten. Am Schluss dürften von freien Märkten nur noch ein paar Nischen übrigbleiben.

Und was heißt das für die Zukunft der Währungsunion? Stiglitz: „Eine Auflösung wäre keine gute Lösung. Aber es gibt immer auch ein Leben nach der Scheidung.“