Die kalten Krieger und die Ukraine

Die Sympathie mit den Revolutionären in der Ukraine ist groß. Immerhin haben sie es geschafft, ein kleptokratisches Unrechtsregime zu stürzen. Sie sind nun dabei, demokratische Strukturen im Land einzuziehen und der weit verbreiteten Korruption den Kampf anzusagen. Dass sie hierbei von der westlichen Welt unterstützt werden, ist eigentlich selbstverständlich.

Doch wie bei jeder Revolution liegen auch hier Licht und Schatten eng beeinander: So demokratisch, wie es hierzulande gerne dargestellt wird, geht es nämlich auch unter den Revolutionären nicht zu – geschweige denn, dass sie alle gleichsam die Etablierung einer Demokratie nach westlichem Vorbild im Land anstreben. Viele der Revolutionäre haben lediglich wirtschaftliche Interessen und erhoffen sich mit dem Regimewechsel persönliche Vorteile. Andere wieder vertreten eine bestimmte Volksgruppe und wollen an der neuen Machtposition andere Volksgruppen unterdrücken. Von einer nationalen Einheit ist die Ukraine ohnehin weit entfernt. Und schließlich gehören zu den Revolutionären auch Rechtsextreme, Faschisten und Terroristen – eine Kategorie, in welche die Moskauer Staatsführung und das russische Staatsfernsehen gern alle ukrainische Revolutionäre stecken möchte. Die Faschisten stellen den Korrespondentenberichten zufolge allerdings nur eine Minderheit dar. Gleichwohl muss der im Westen vermittelte positive Eindruck über die Widerständler auf dem Majdan ein Stück weit zurechtgerückt werden. Bestenfalls ist in der Ukraine eine demokratische Firniss sichtbar.

Obendrein stellt sich die Frage, mit welchem moralischen Recht der Westen – vor allem die USA und Großbritannien – jetzt das Vorgehen der russischen Staatsführung verurteilen, nachdem sie sich selbst – ähnlich wie Russland – mit Lug und Trug die Rechtfertigung für den Einmarsch in den Irak geholt hatten oder einem Hilfeersuchen des afghanischen Staatschefs gefolgt waren. Worin unterscheidet sich ihr Verhalten jetzt vom dem Moskaus, das vorgibt auf ein Hilfeersuchen des gestürzten bzw. abgewählten ukrainischen Staatschefs zu reagieren und die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine – aber vor allem auf der Krim – vor Übergriffen schützen zu wollen?

Gewiss, Russland verhält sich völkerrechtswidrig, bricht Verträge und verdient dafür die Verachtung aller Staaten – besonders jener, die sich bisher rechtschaffen verhalten haben. Aber eines ist klar: eine einfache Lösung wird es in diesem Konflikt nicht geben. Die Ukraine ist – nicht zuletzt durch Umsiedlungen in der Zaren- und Sowjetzeit – ein Vielvölkerstaat geworden; die Krim wurde innerhalb des Sowjetreiches sogar erst in den 50er Jahren der ukrainischen Verwaltungseinheit zugeschlagen. Und das Land selbst erhielt erst Anfang der 90er Jahre seine Unabhängigkeit – inklusive der Krim mit deren Sonderstatus. Dass hier Grenzen, gefühlte Zugehörigkeiten und Verwaltungshandeln oftmals nicht zusammenpassen, versteht sich von selbst. Nur ein „runder Tisch“ aller Gruppierungen in der Ukraine kann das Land noch vor der Spaltung bewahren und einen Bürgerkrieg vermeiden. Dabei ist der gegenseitige Respekt und der Aufbau von Vertrauen der Ukrainer untereinander die entscheidende Voraussetzung – woran es derzeit aber zu mangeln scheint, weil auch die Führer der jeweiligen Gruppierungen unterschiedliche Interessen haben und irgendwie nach einer „hidden agenda“ vorgehen.

Das scheinen sich die „alten“ Großmächte Russland und die USA in den vergangenen Monaten zunutze gemacht zu haben. Die eine – Russland – versucht ihre Grenzen zu erweitern und sie gleichzeitig zu arrondieren, indem sie an den bisherigen Außengrenzen die russisch stämmige Bevölkerung „heim ins Reich“ holt. Die andere – die USA (mit Großbritannien) – sieht die Möglichkeit, „den Westen“ weiter „nach Osten“ zu verschieben (wenn nicht das Territorium der ganzen Ukraine, dann zumindest auf einem Teil von ihr). Die EU musste in den Verhandlungen lediglich als Steigbügelhalter herhalten, eine Rolle, welche die amerikanische Botschafterin in der Ukraine ja deutlich mit „Fuck the EU“ beschrieben hatte.

Der „kalte Krieg der Systeme“ scheint damit wieder zurück zu kehren. Es ist deshalb an der Zeit, dass sich eine Staatenkoalition ehrlicher Makler zusammenfindet, um die Scharfmacher auf beiden Seiten zu stoppen und einen politischen Kompromiss auszuarbeiten, der die Demokratie stärkt, das Miteinander der Völkerschaften in der Ukraine befördert und den Militärstrategen auf beiden Seiten Grenzen aufzeigt. Die Drohung der USA mit einem Rauswurf Russlands aus der Ländergruppe der G8 und einer Aufkündigung des Gipfels in Sotschi Anfang Juni ist daher gerade der falsche Weg – liegt aber womöglich im Kalkül der Scharfmacher in Washington begründet. Denn wo gäbe es einen besseren Ort, um mit Moskau Tacheles zu reden, als in Sotschi, also auf russischem Territorium, wo Putin als Gastgeber etwas zurückhaltender reagieren müsste und in der Defensive stünde? Eher sollte man also darauf drängen, den Gipfel noch um einige Monate vorzuziehen.