Risse im Fundament

Das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist im vergangenen Jahr mit einem Plus von 0,4 % eher „mäßig“ ausgefallen. Ökonomen zeigen sich aber vorbehaltlos zuversichtlich, dass es im laufenden Jahr wieder besser wird. Einige Wachstumsprognosen reichen sogar bis über die Zwei-Prozent-Marke hinaus. Schließlich wird sich die konjunkturelle Lage in der Eurozone von Monat zu Monat aufhellen, kommen die Krisenländer langsam wieder in Tritt und hat sich die Weltwirtschaft ebenfalls gefangen. Letzteres unterstreicht die neue Prognose der Weltbank, die nach einem globalen Wachstum von 2,4 % im vergangenen Jahr jetzt ein Plus von immerhin 3,2 % erwartet – mit sogar noch zusätzlichem Rückenwind für 2015. Auch die fallenden Arbeitslosenzahlen, die weiter zunehmende Erwerbstätigkeit, stark steigende Löhne und – nicht zu vergessen – die Zuwanderung dürften das deutsche Wachstum fördern. Obendrein wird der staatliche Konsolidierungsdruck nachlassen, weil zum einen die neue Koalition grundsätzlich mehr Ausgabenakzente setzt als die alte und zum anderen die Schuldenbremse angesichts der bisher erreichten Erfolge nicht mehr so stark zupackt.

Die Aneinanderreihung von positiven Einflussfaktoren auf die deutsche Konjunktur ist also durchaus beeindruckend und lässt nur einen Schluss zu: 2014 wird konjunkturell ein super Wachstumsjahr, es wird weiter aufwärtsgehen, viel stärker als im Jahr davor. Und, wenn das so anhält, steht auch für 2015 eine goldgeränderte volkswirtschaftliche Bilanz ins Haus.

Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass das Fundament der deutschen Wachstumserfolge Risse hat. Grund dafür sind die über Jahrzehnte unterlassenen Investitionen von Staat und Privatwirtschaft. Um 0,8 % sind die Bruttoanlageninvestitionen 2013 geschrumpft. 2012 waren es sogar 2,1 %. Eine gewaltige Investitionslücke tut sich auf, die das Wachstumspotenzial empfindlich einschränkt. Inzwischen schlägt die Investitionszurückhaltung schon auf die Produktivitätsentwicklung durch, wie die jüngsten Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigen. Viele Unternehmen haben im Ausland Produktionen hochgezogen und sich zu wenig um die Modernisierung am Heimatstandort gekümmert. Und der Staat lässt die Infrastruktur verkommen. Längst überfällig ist deshalb eine neue Standortpolitik sowie eine gezieltere Investitionsförderung. Sonst muss an dieser Stelle schon bald wieder das traurige Lied über Deutschland als dem „kranken Mann“ Europas angestimmt werden.

(Börsen-Zeitung, 16.1.2014)