Konjunkturelles Siechtum voraus?

Die konjunkturelle Erholung verläuft nur schleppend, weil die Notenbanken eine echte Reinigungskrise verhindern. Die Menschen müssen sich um die Zukunft sorgen.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

So richtig schlau werden Konjunkturbeobachter nicht, wenn sie derzeit auf die globalen Stimmungsindikatoren blicken: Optimistische Umfrageergebnisse wechseln sich in Europa, den USA und den Emerging Markets mit enttäuschenden ab. Auch die harten statistischen Daten sind ohne klare Richtung. Deutschland sticht aus diesem Feld überaus positiv heraus. Das zeigt mit Blick nach hinten der in einigen Regionen inzwischen leergefegte Arbeitsmarkt. Und die jüngsten Befragungen von Unternehmern und Einkaufsmanagern lassen mit Blick nach vorn auf die nächsten sechs Monate sogar eine regelrechte Euphorie durchschimmern. Deutschlands Wirtschaft, so resümierte das Markit-Institut, das die Einkaufsmanagerbefragungen durchführt, kehre „wieder auf die Überholspur zurück“.

Aber kann man diesen Einschätzungen tatsächlich glauben vor dem Hintergrund des blutleeren globalen Wachstums und der schwachen Dynamik des Welthandels? Und der politischen Risiken, die sich allerorten zusammenballen – in den USA und vor allem in Europa, wo es um nicht weniger als die Zukunft der Gemeinschaft geht. Wie sollte sich die Exportnation Deutschland hier abkoppeln können? Angesichts der Tatsache, dass die Notenbanken weltweit die Zinsen in bisher nicht gekanntem Ausmaß nach unten geschleust haben und den Staaten die Anleihen förmlich aus der Hand reißen, geht es historisch betrachtet sogar auch in Deutschland erstaunlich zäh voran. Als läge ein beklemmender Albdruck auf der Konjunktur.

Ein Blick auf die Teuerung zeigt das ganze Ausmaß dieser verfahrenen Situation: Nur weil der Basiseffekt der Energiepreise etwas nachlässt, reckt die Inflation wieder ihr Haupt. Die unterliegende Entwicklung bleibt indes gedämpft. Selbst das lange Ende der Renditekurve robbt an die Nulllinie heran. Das ist nicht allein auf die lockere Geldpolitik zurückzuführen. Vielmehr rechnen Beobachter auch in der langen Perspektive inzwischen nur noch mit einem eher gedämpftem Wachstum. Das widerspricht den positiven Bekundungen bei Unternehmensbefragungen.

Manche Ökonomen vermuten hinter dieser verworrenen Lage das Phänomen der „säkularen Stagnation“. Durch die technologische und demografische Entwicklung, die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft und infolgedessen der Kapitalballung bei vermögenden, saturierten Haushalten fehle es eben an der nötigen Wachstumsdynamik. Die Verunsicherung durch politische Krisen in Nahost, die Sorge vor einem neuen kalten Krieg mit Russland sowie die – nicht zuletzt durch den Brexit – fragile Lage der EU kommen hier noch erschwerend hinzu. Das lässt Investoren und Konsumenten zweifeln und abwarten. Der vielerorts um sich greifende Protektionismus und Nationalismus macht es dem Wachstum in Zukunft sogar noch schwerer. Schließlich benötigen die Marktwirtschaften der Industrieländer und der Emerging Markets offene Märkte, klare Regeln und stabile Verhältnisse.

Alle diese Widerstände könnten aufgebrochen werden, wenn die Politik schnell handeln und mit konzertierten Reformen den Menschen wieder Zukunftshoffnung einimpfen würde. Stattdessen scheinen die Regierungen aber – vor allem in Europa – in einem Nash-Equilibrium festzustecken. Dieser Begriff aus der Spieltheorie beschreibt die Situation, in der niemand einen Anreiz hat, von seiner Strategie des Abwartens abzuweichen. In der aktuellen Situation sind es die Notenbanken, die den politischen Stillstand zementieren. Unter anderen Umständen würde die derzeit schleppende Konjunktur politische Reformen geradezu erzwingen. Wachstumsbremsen würden beseitigt. In unserer Wirklichkeit werden die Staaten von den Notenbanken aber quasi durchfinanziert und ihre Schuldenlast wird abgemildert. Der Veränderungsdruck ist also gering. Ein schwaches Wachstum reicht schon aus, die Wählerklientel bei Laune zu halten.

Der frühere Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn spricht von einem „sich selbst produzierenden Siechtum“, weil die Notenbanken eine Reinigungskrise verhindert haben und aus falsch verstandener Verantwortung die Entgiftung weiter blockieren. Das gilt für Europa genauso wie für die USA und Japan. Die nächste Krise wird die Volkswirtschaften dann aber mit umso größerer Wucht treffen. Denn die Nebenwirkungen der ultralockeren und unkonventionellen Geldpolitik fressen sich bereits in alle Verästelungen der Volkswirtschaften hinein, manipulieren den Preismechanismus, destabilisieren die Finanzsysteme und verwässern das Grundvertrauen in die Geldordnung. Die Sorgen vor einer neuen Krise steigen – und lasten dann noch mehr auf der Konjunktur. Das lässt die Geldpolitik ins Leere laufen, was deren Akteure aber zu noch unkonventionellerem Handeln anspornt.

Um eine große Krise zu verhindern und zugleich den Teufelskreis konjunkturellen Siechtums zu durchbrechen, müssten die Notenbanken sich daher offen zu den Grenzen ihrer Macht bekennen, den Schleier der geldpolitischen Illusion zerreißen und eine Kehrtwende einleiten. Das würde die Politik zum Handeln zwingen – und den Menschen vor Augen führen, dass das System der Marktwirtschaft doch zur Selbstkorrektur in der Lage ist. Schon weil es dann wieder eine Perspektive gibt, das Umfeld berechenbar erscheint und der Preis seine Funktion erfüllen kann, könnte dieser Hoffnungsfunke einen neuen Wachstumszyklus auslösen.

Deutsche Doppelmoral?

Die deutsche Öffentlichkeit orakelt bereits über einen staatlichen „Rettungsplan“ für die Deutsche Bank, obwohl eigentlich die Bail-in-Regelung gilt.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte sich immer gewahr sein, dass drei Finger seiner Hand auf ihn selbst weisen. Im Falle der Bail-in-Problematik ist das von besonderer Bedeutung, weil die deutsche Politik und Öffentlichkeit mit Blick auf die Bankenschieflagen in Italien immer darauf gedrungen hat, sich strikt an die vereinbarten Regeln zu halten. Diese sehen zunächst ein Bail-in von Aktionären, Gläubigern und Sparern vor; sie müssen also zunächst Verluste hinnehmen, bevor die Institute mit Staatshilfen gerettet und gegebenenfalls abgewickelt werden dürfen.

Italiens Staatschef Matteo Renzi hat sich immer gegen diese Vorgehensweise gewehrt und die Haltung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dahingehend aufs Schärfste kritisiert. Die Bail-in-Regeln seien, so kann man seine Argumente zusammenfassen, realitätsfern und würden die Lage der Banken eher noch verschlimmern, zudem die Finanzstabilität gefährden und die Volkswirtschaft insgesamt schädigen. Schützenhilfe bekam Renzi zuletzt von einigen anderen Staatschefs und von Ökonomen wie dem deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger.

Nun, da auf einmal die Deutsche Bank im Feuer steht, in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt ist, einige Beobachter sie sogar schon in einer existenzbedrohenden Schieflage verorten, kamen jedoch auch hierzulande verdächtig schnell Rufe nach Staatshilfe auf. Natürlich nicht in Form konkreter Forderungen, sondern in Meldungen verkleidet, Bundesregierung und Deutsche Bank würden an einem „Rettungsplan“ arbeiten.

Die Deutsche Bank steht enorm unter Druck, nachdem bekannt geworden war, dass in den USA eine Strafzahlung von mehr als 14 Mrd. Dollar (12,5 Mrd. Euro) drohen könnte. Ihr Aktienkurs sackte dramatisch ab. Sowohl die Bundesregierung als auch die Bank dementierten sogleich, dass es dahingehende Gespräche gegeben habe. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte, dass die Bank das wohl allein schaffen werde. Eine solche Formulierung lässt indes Interpretationsspielraum offen.

Ganz abgesehen davon, dass von einer existenzbedrohenden Krise der Deutschen Bank bisher wohl noch nicht die Rede sein kann. Der Finanzkonzern erfüllt offenbar alle regulatorisch nötigen Sicherheitsmargen und ist auch aus den diversen Stresstests einigermaßen stabil hervorgekommen. In höchstem Maße irritierend, wenn nicht sogar demaskierend, ist aber, dass gerade in Deutschland im Falle einer sich womöglich anbahnenden neuen Bankenkrise der Reflex der öffentlichen Meinung sogleich in Richtung Staatshilfen oder Verstaatlichung geht. Von einer zunächst vorgeschalteten Bail-in-Kaskade ist gar keine Rede mehr.

Gerade von den Deutschen, die diese Regelung bisher stets verteidigt haben, weil sie verhindert, dass die Banken leichtfertig Hilfen durch die Steuerzahler einpreisen können, und dadurch auch vorsichtiger agieren müssen, hätte man eigentlich eine andere Haltung erwartet. Ist der Bail-in also tatsächlich so „realitätsfern“, wie die Italiener behaupten, weil Politik und Gesellschaften eben anders ticken?

Schnell bei der Hand ist in diesem Zusammenhang auch der Hinweis, dass die USA nach der Finanzkrise einen anderen Weg eingeschlagen haben: Der Staat hat den Banken Staatshilfen aufgezwungen, sie dadurch unmittelbar stabilisiert, was sie offenbar schneller gesunden ließ. Und der Fiskus konnte später obendrein mit Gewinn wieder aussteigen. Ist das tatsächlich ein besseres Konzept als der Bail-in, für den sich Europa entschieden hat und der auf so viele Widerstände stößt?