Die Soziale Frage des 21. Jahrhunderts

In den Fabrikhallen agieren die Roboter immer häufiger nicht mehr in Käfigen, sondern als blecherner Kollege nebenan im Direktkontakt mit dem „Humankapital“. Programmierte Rücksichtnahme und eine bessere Sensorik machen das möglich. Sie gehen den Menschen zur Hand. Manchmal bestimmen sie auch den Takt. Die Daten landen dabei in einer Datenwolke. Dort findet sich dann das Erfahrungswissen der Ingenieure und Produktionsarbeiter wieder, sogar ihre Stärken und Schwächen sowie die Vorlieben einzelner Kollegen sind dort niedergelegt, was künftiges Handeln berechenbar macht.

Auch außerhalb der Produktion gibt es immer neue Anwendungsfelder für die Rechenknechte vom Vertrieb bis hin zum Kundenservice. Algorithmen bestimmen mehr und mehr die Arbeitswelt – aber auch die Freizeit. Sie regeln die häusliche Heizung, rufen den Arzt an, wenn der Puls unregelmäßig wird. Das Internet der Dinge nimmt Gestalt an. Studien sagen voraus, dass in wenigen Jahrzehnten die Hälfte aller Berufe automatisiert – also: verschwunden – sein wird. Doch sind diesmal nicht mehr nur die einfachen Tätigkeiten betroffen wie zu Zeiten der ersten Automatisierungswelle, sondern Jobs aus der Mitte der Gesellschaft: die der Fach- und Geistesarbeiter.

Ob die Entwicklung zu einer neuen Welle der Massenarbeitslosigkeit führt oder die menschliche Arbeit vielmehr „humaner“ macht, ob die pekuniäre Ungleichheit in der Gesellschaft dadurch weiter befördert oder eher eingeebnet wird oder ob die Sozialsysteme für diesen Wandel gewappnet sind oder der Staat einspringen muss – das ist inzwischen nicht mehr nur eine Debatte in elitären Zirkeln, sondern beschäftigt immer mehr auch die Politik und die Tarifparteien wie am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion der Rhein-Main-Runde im Haus der IG Metall.

Alles, was routiniert-buchhalterisch abläuft, wird verschwinden, prophezeite der Münchner Wissenschaftsphilosoph Klaus Mainzer. Und je mehr Daten produziert würden und je weiter die Programmierer in Neuland vorstießen, desto mehr Ansatzpunkte fänden Algorithmen, um aus der amorphen Datenmasse Datenmuster und Korrelationen herauszufiltern für den Ersatz menschlicher Tätigkeit. Automatisierungsfest, so Frank Rieger vom Chaos Computer Club, dürften allenfalls die Berufe Manager, Programmierer und Konstrukteure sein, also die bestimmenden und kreativen Tätigkeiten. Selbst Erfahrungswissen, das bisher gerade längerfristig Beschäftigte auszeichnet, sei inzwischen digitalisiert und damit mobil geworden. Der menschliche Faktor wird in immer weiteren Teilen austauschbar, was auch die Machtposition der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt verfestigen dürfte.

Digitales Prekariat

Rieger geht davon aus, dass zudem eine Entkoppelung der Produktivitätsentwicklung von der menschlichen Arbeit stattfindet. Ein immer größerer Teil der Wertschöpfung werde vom „Kapital“ erzeugt und damit auch als Ertrag vereinnahmt. Das drücke die Löhne, was die Finanzierung der Sozialsysteme immer schwieriger mache, je größer das „digitale Prekariat“ werde und je weniger vollwertige Arbeitsplätze angeboten würden. Die Jobs würden ferner dem jeweils günstigsten Anbietern rund um den Globus zugeschlagen. Die Billiglohnkonkurrenz tritt damit in eine neue Dimension ein.

Nach Ansicht der Gewerkschaften sollten die Früchte dieser Automatisierung aber nicht allein beim Kapital verbleiben, sondern verteilt werden. Auch die sozialen Sicherungssysteme, verlangte etwa der Vize-Chef der IG Metall Jörg Hofmann, sollten von der Digitalisierungsdividende profitieren. Die Gestaltung der Arbeitswelt sei schließlich eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Stolz berichtete er vom Erfolg der vergangenen Tarifrunde, als die IG Metall den Einstieg in die tarifliche Bildungsteilzeit vereinbaren konnte.

Vorteil Demografie?

Womöglich aber ist Deutschland in den nächsten Jahren sogar froh, wenn die Digitalisierung große Fortschritte macht. Grund dafür ist die demografische Entwicklung, die einen immer größeren Facharbeitermangel hervorruft. „Kollege Roboter“ oder „Kollege Computer“ könnten einspringen und zugleich die Produktivität des menschlichen Mitarbeiters drastisch in die Höhe schrauben. Insofern könnte Deutschland im Hinblick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt sogar seine Standortattraktivität steigern – ohne dass der Staat mit den sozialpolitischen Kosten (mehr Arbeitslosigkeit) konfrontiert würde.

Findet sich indes keine Lösung bei der Verteilung der digitalen Dividende, nimmt die Gefahr gesellschaftlicher Unruhen zu. Denn politischen Umwälzungen gingen in der Vergangenheit stets technische Revolutionen voraus, weil sie in Teilen der Bevölkerung Massenarmut und Arbeitslosigkeit mit sich brachten: Die Manufakturen waren die Vorläufer der Französischen Revolution, und die Industrialisierung brachte die sozialistischen Bewegungen hervor. An einer für alle Schichten als einigermaßen „gerecht“ empfundenen Lösung dürften daher auch alle politischen und wirtschaftlichen Akteure durchaus ein Interesse haben.

Der Robin-Hood-Nimbus von Tsipras ist verblasst

Es geht um die Deutungshoheit, wenn es zum Äußersten, dem Grexit, kommt, Athen also pleitegeht und die Eurozone verlassen muss. Und deshalb steht in großen Teilen der Diskussionsforen in den sozialen Netzwerken längst fest, wer schuldig am griechischen Debakel ist: die von Berlin aus diktierte europäische „Rettungspolitik“. Sie habe das Land „auf dem Gewissen“, sei für die Verarmung der unteren Schichten verantwortlich. Da ist vom „Zerfall des deutschen Europas“ die Rede, Griechenland, das „niederkonkurriert“ worden sei und „kleingehalten“ werde. Die „sogenannte Rettungspolitik“ wird vom früheren deutschen Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck als „Anmaßung“ und „kalte Machtausübung“ bezeichnet.
Auch die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz sticheln immer wieder und fordern Brüssel auf, den Athener Wünschen doch nachzugeben, sich endlich auf einen Schuldenschnitt einzulassen. Und für die linke Aktivistin Naomi Klein ist es sogar ein „Kampf für die Demokratie“, den Athen derzeit heroisch durchzieht.
Es geht tatsächlich um mehr als „nur“ um Griechenland. Können die Menschen überzeugt werden, dass eine „kapitalistische Rettungspolitik“ das Land auf dem Gewissen hat, ändern sich auch für den dahinterstehenden wiederaufflackernden ideologischen Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus die Kräfteverhältnisse. Entsprechend werden Tsipras‘ Bannerträger in den sozialen Netzwerken nicht müde, ihre Sicht der Dinge zum dominanten Erklärungsmuster zu machen.

Vertrauen verspielt

Wie verzweifelt die europäischen Institutionen und Staatenvertreter über die Schuldzuschreibungen sind, zeigt auch, dass die üblicherweise eher zurückhaltende Europäische Zentralbank (EZB) Anfang April mit einer „Opinion“ in die Öffentlichkeit gegangen ist. Darin hat sie das griechische Zwangsräumungsgesetz offensiv kritisiert, weil Athen damit nicht wie zunächst bekundet vor allem Arme vor einer Zwangsräumung schützen will. Vielmehr werden nun auch Wohlhabende mit einem Vermögen von bis zu 500000 Euro einbezogen. Die meisten Immobilienbesitzer können nun gefahrlos die Bedienung ihrer Kredite stoppen, was die Sicherheiten der Banken entwertet. Also vergeben diese lieber gar keine Kredite mehr, was die Erholung der griechischen Bauindustrie verhindert.
Normalerweise überlässt die EZB eine solche Demarche der EU oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die mit ihr in der Troika (jetzt: „Institutionen“) zusammensitzen. Aber wie der Zulauf zu extremen Parteien in den Krisenstaaten zeigt, besteht durchaus die Gefahr, dass sich ein falsches Realitätsbild festsetzt, das die Notenbank zum Sündenbock macht. Also geht die EZB selber in die Offensive. Und inzwischen verlieren auch die anderen Europartner Griechenlands die Geduld mit der Athener Regierung, wie sich jetzt auf dem Finanzministertreffen der Eurogruppe in Riga gezeigt hat.
Dabei zeigt die neue Linksregierung in Athen unter Alexis Tsipras bereits seit einiger Zeit, dass sie keinesfalls jener integre, vom alten Politklüngel unabhängige Personenkreis ist, für den sie sich gern ausgibt. Die politischen Entscheidungen erschöpften sich bislang nur in höheren Sozialausgaben, in einem Privatisierungsstopp und in strikter Reformverweigerung. Die wenigen höhere Einnahmen versprechenden Vorschläge sind nur Hoffnungswerte auf künftiges Wachstum. Das aber wird sich nicht einstellen, weil die Athener Politik ihre Glaubwürdigkeit verloren und die bisherigen Reformerfolge verspielt hat. Investoren machen einen großen Bogen um Griechenland – und die eigenen Bürger schaffen ihr Geld ins Ausland.

Linke Klientelpolitik

Mehr und mehr wird klar, dass Tsipras auch nicht der „Robin Hood“ ist, den er für seine Claqueure darstellt, sondern eher den „Sheriff von Nottingham“ mimt. Denn wie seine Vorgänger im Amt macht er Klientelpolitik und lässt die Reichen weiter gewähren. Es fängt schon damit an, dass der von ihm eingesetzte Untersuchungsausschuss zur Entwicklung der Krise nur die Zeit ab 2009 untersuchen soll statt die Umtriebe der Oligarchen oder den Nepotismus davor. Dabei war das Land schon vor 2009 heruntergewirtschaftet. Die Intention ist also klar: die Verantwortlichen werden im Ausland gesucht – bei den Gläubigern.
Auch die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Präsidenten der griechischen Statistikbehörde Elstat, Andreas Georgiou, zielen in diese Richtung. Ihm wird vorgeworfen, für 2009 ein zu hohes Haushaltsdefizit errechnet und damit Griechenlands Kreditgebern erst die Rechtfertigung für die unpopulären Sparmaßnahmen geliefert zu haben. Nicht belangt werden sollen indes die Verantwortlichen, welche das Defizit einst in betrügerischer Absicht zu niedrig angesetzt und sich damit die Euro-Mitgliedschaft erschlichen haben. Dass die Korruptionsbekämpfungseinheit nun in das Finanzministerium eingegliedert worden ist und damit ihre Unabhängigkeit verliert, passt ebenfalls ins Bild. Politische Umstände könnten es ja notwendig machen, die Beamten zu bremsen.
Wenig übrig von Tsipras‘ Nimbus als eines Kämpfers für die Armen bleibt beim Blick auf die Steuerpolitik. Freiberufler sind weitgehend steuerbefreit und dürfen ihre Einnahmen selbst schätzen. Der Finanzminister hat schlicht „vergessen“ das neue Steuergesetz umzusetzen. Und auch beim Steuerstundungsgesetz hat Tsipras nun die Schwelle wieder abgeschafft, wonach nur Steuerschuldner unter 1 Mill. Euro davon profitieren dürfen. Das freut die Wohlhabenden.
Ähnlich die Entwicklung bei der Immobiliensteuer: Die Regierung Samaras hatte sie auf Drängen der Troika einst eingeführt, um reiche Griechen an der Finanzierung des Staatshaushalts stärker zu beteiligen. Im Wahlkampf versprach Tsipras dann eine Lockerung, was das Steueraufkommen schon vorab einbrechen ließ. Dem Vernehmen nach soll sie jetzt in eine Reichensteuer aufgehen. Konkrete Entscheidungen stehen aber noch aus. Auch die Streichung der Steuerermäßigung für die wohlhabenden griechischen Touristeninseln wird nun doch nicht exekutiert. Dabei sollten die Mehreinnahmen den Arbeitslosen zugutekommen. – Und schließlich die soziale Schieflage beim Gesetz gegen Zwangsversteigerungen, wogegen sich aktuell die EZB gewendet hat.

Der Staat als Beute

Dass Athen bislang nicht auf Angebote aus der Schweiz und aus Deutschland reagiert hat, sich um die griechischen Steuerflüchtlinge zu kümmern, sofern man nur ein entsprechendes Amtshilfeersuchen stellt, passt da ins Bild. Es hat den Anschein, dass sich die neue Regierung wie ihre Vorgängerregierungen nun ebenfalls den Staat zur Beute machen will, dabei auf die alten Netzwerke zurückgreift und deren Repräsentanten dafür schont. Damit dieses System erhalten bleibt, muss der Bürgerzorn umgelenkt werden – auf Brüssel, Berlin und die EZB.

Ökonomische Irrfahrten

Austerität! schallt es in diesen Tagen vielstimmig daher, wenn es um die Sparauflagen für Griechenland geht. Zahlreiche meinungsstarke und oftmals tonangebende Ökonomen verunglimpfen die geforderte Haushaltskonsolidierung als „Spardiktat“. Sie richte „unfassbaren Schaden“ an, heißt es. Deutschland, so der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, habe in der Europolitik versagt. Und sein Nobelkollege Paul Krugman rät zu „intelligenteren Alternativen als Sparen“, meint damit aber schlicht mehr Staatsausgaben. Athen dürfte sich im Widerstand gegen Brüssel und Berlin bestätigt fühlen.

Was aber treibt prominente Ökonomen zu derlei Parteinahme? Gewiss hat das Leiden der griechischen Bevölkerung inzwischen ein Maß erreicht, das eine selbstkritische Überprüfung der bisherigen Politik nötig macht. Aber die von Athen verlangte Konsolidierung ist keinesfalls so einzigartig radikal wie behauptet. Andere Länder hatten ähnliches durchstehen müssen und haben gleichwohl zum Wachstum zurückgefunden. Es ist ja nicht so, dass eine ganze Gesellschaft in die Knechtschaft getrieben, eine Volkswirtschaft kaputtgespart wird. Vielmehr lag und liegt es an Athen selber, die Konsolidierungslasten zu verteilen. Und dabei fällt auf, dass erst jetzt damit begonnen wird, Superreiche und Steuerflüchtlinge zur Finanzierung heranzuziehen. Naivität? Oder Absicht?

In der Austeritätsdebatte wird zudem schnell vergessen, dass Griechenland sich Ende 2009 in einer Lage befand, in der die Konsolidierung unausweichlich war angesichts eines Budgetdefizits von 15 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Selbst wenn man die Zinsaufwendungen von damals herausrechnet, waren es noch 10 %. Das fehlende Geld musste ja von irgendwoher kommen. Internationale Kapitalanleger verweigerten sich. Mit den Rettungsprogrammen konnten die erforderlichen Anpassungen zumindest hinausgezögert werden, um sie sozial verträglicher zu gestalten. Zudem wird verkannt, dass von „Austerität“ schlicht keine Rede sein kann: Erst 2014 wurde unter Herausrechnung des Schuldendienstes ein winziger Primärüberschuss erzielt. Ist es schon Austerität, wenn ein Land das Defizit nur verringert?

Griechenland könnte ja den argentinischen Weg gehen, die Pleite erklären und den Schuldendienst einstellen, wie von Ökonomen gefordert. Vom Kapitalmarkt wäre es dann aber auf lange Sicht abgeschnitten. Und auf ausländische Hilfe könnte es nicht mehr hoffen. „Austerität“ wäre dann auf einen Schlag nötig – es sei denn, die nötigen Ausgaben würden von den Steuerzahlern anderer Länder finanziert. Schon die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte einst festgestellt: „Das Dumme am Sozialismus ist, dass einem immer das Geld der anderen ausgeht!“

Was treibt ökonomische Meinungsmacher dann dazu, eine notwendige Korrektur der griechischen Haushaltspolitik zu torpedieren? Wohl allein die Hoffnung, dass der Multiplikator der Staatsausgaben größer als „1“ ist und die Mehrausgaben sich damit über höhere Investitionen und mehr Konsum – also stärkeres Wachstum – mehr als bezahlt machen. Die Vergangenheit aber hat gezeigt, dass das nur unter besonderen Umständen möglich ist. Es gilt nicht für ein Land, das einfach über seine Verhältnisse gelebt hat. Was macht manche Ökonomen ferner so sicher, dass sich Wachstum bereits einstellt, ohne die Wirtschaft zunächst auf mehr Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen? Und woher nehmen sie ihren Glauben, dass das Land die höhere Schuldenlast in besseren Zeiten tatsächlich zurückzahlen wird? Griechenland hat zuletzt 1972 echte schwarze Zahlen geschrieben. Wie kann das Kalkül also aufgehen? Ohne äußeren Druck von Seiten der Anleger und staatlichen Geldgebern ist da nichts zu machen. Also bringen die Ökonomen nun die Geldpolitik in Stellung. Die Europäische Zentralbank wird als Staatsfinancier missbraucht. Das sei „moderne Geldpolitik“, heißt es. Neue gewaltige Risiken tun sich damit aber auf.

Manchen tonangebenden Ökonomen scheint eine gewisse Hybris zu eigen. Dabei haben sie schon bei der Finanzkrise versagt, als sie ihre Vorzeichen nicht sahen. Warum sollten sie jetzt besser liegen, da sie der Politik nun artig das argumentative Rüstzeug für mehr Staatsausgaben liefern? Und wo endet diese Entwicklung, wenn man einer solchen Schuldenökonomie frönt? Das Grundvertrauen in die Währung geht verloren, was eine neue Krise hervorrufen wird. Auch das dürfte die ökonomischen Meinungsmacher dann erneut kalt erwischen. Sie werden sich aber sofort wieder anbieten mit ihrer „Expertise“ beim Aufbau einer neuen Geldordnung.

Der geschenkte Boom

Eine Erfolgsmeldung vom Arbeitsmarkt jagt derzeit die nächste: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt unter die Schwelle von drei Millionen Personen. Seit 24 Jahren war sie im März nicht mehr so niedrig. Das dürfte das Wirtschaftswachstum weiter befeuern. Zumal die deutsche Konjunkturlokomotive nicht mehr allein vor sich hin dampft. Inzwischen stehen nämlich auch viele andere Volkswirtschaften in der Eurozone unter Dampf, was sich dort ebenfalls auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt: Die Arbeitslosenquote im Währungsraum ist auf das Niveau vom Mai 2012 gesunken. Noch eine Erfolgsmeldung, also.

Die Entwicklung macht Hoffnung, dass sich der Aufschwung im Währungsraum verfestigt, sich wieder Zukunftshoffnungen breitmachen und die lähmenden Abstiegsängste vertreiben. Denn die höhere Beschäftigung entlastet den Staat und die Sozialversicherungen, was die Konsolidierung erleichtert und Spielraum für Wachstumsinitiativen gibt. Von den heilsamen Wirkungen einer größeren Binnennachfrage durch mehr Beschäftigung und der eines besseren Investitionsklimas durch optimistischer gestimmte Marktakteure ganz zu schweigen.

Also alles eitel Sonnenschein? Mitnichten. Zum großen Teil fußen die heute gefeierten Erfolge in Deutschland und in der Eurozone nämlich auf Sonderentwicklungen, die keine Folge aktiven Handelns europäischer Regierungspolitik sind, sondern eher einem Glücksfall gleichen. Da sind die gesunkenen Benzinpreise, die wie ein fremdfinanziertes Konjunkturprogramm wirken. Diese Entwicklung ist rein geopolitischer Natur. Der Impuls lässt inzwischen auch nach. Und der durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank künstlich geschwächte Euro, der den Export beflügelt, ruft allenfalls einen Strohfeuereffekt hervor. Dieser hält nur so lange an, wie sich die anderen Währungsräume die Geldpolitik der EZB gefallen lassen und nicht selber nachziehen.

Zudem sollte zu denken geben, dass Deutschland trotz dieser günstigen Bedingungen offenbar nicht mehr als 2% Wachstum an den Tag legen kann, wie Ökonomen erwarten. Rechnet man die Sondereffekte dann heraus, wird schnell klar, dass es hierzulande schlicht an den nötigen Reformimpulsen fehlt, um die aktuelle Dynamik aufrechterhalten zu können. Anders sieht es da etwa in Spanien und Portugal aus. Sie haben die besten Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wachstum, weil sie auch von den Reformen zehren, die sie seit 2011 umsetzen. Berlin sollte sich in seiner Reformpolitik an ihnen ein Beispiel nehmen.