Das letzte Wort hat Karlsruhe

Mit großer Spannung warten nicht nur die Prozessbeteiligten auf die Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag, 14. Oktober, über die Rechtmäßigkeit der OMT-Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn es geht dabei um viel mehr als die Frage nach der Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit einzelner Ankäufe kurzlaufender Staatsanleihen von Krisenländern, sondern insgesamt um die Freiheitsgrade der EZB, um eine Klärung des Verhältnisses zwischen Unionsrecht und nationalem Recht und letztlich um das Maß an Souveränität, das im Währungsverbund vergemeinschaftet werden darf. Und davon hängt auch ab, wie die Märkte den später zu erwartenden Urteilsspruch aufnehmen. Schlimmstenfalls könnte Karlsruhe brüskiert werden, was einen Aufschrei in Deutschland auslösen und den eurokritischen Kräften noch mehr Zulauf bescheren würde, oder die EZB wird gezügelt, was ein Wiederaufleben der Euro-Krise nach sich ziehen könnte.

Das Problem für Karlsruhe: Die Richter gehen davon aus, dass die Frankfurter Euro-Banker ihr Mandat mit den angekündigten selektiven Staatsanleihekäufen überstrapaziert haben, da die EZB aber dem Europarecht untersteht, können sie die Notenbank nicht bremsen. Allenfalls die Bundesbank müsste sich einem negativen Richterspruch beugen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann opponiert aber ohnehin schon länger gegen diese EZB-Politik – meist erfolglos, weil eine Mehrheit seiner Kollegen Staatsanleihekäufen positiv gegenübersteht.

Entscheidend ist deshalb, ob sich die Karlsruher Richter einem möglicherweise ebenfalls nachsichtigen Richterspruch ihrer Europakollegen entgegenstellen und einen offenen Konflikt riskieren wollen. Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio hielt in einem Vortrag in der School of Finance in Frankfurt zwar nicht hinterm Berg mit seiner kritischen Haltung zum EZB-Gebaren, rechnet aber seinerseits mit einem gewissen Entgegenkommen. Das Bundesverfassungsgericht werde „wohl seinerseits jede Andeutung einer Beschränkung der EZB seitens des EuGH wohlwollend aufnehmen“, meint er.

Aber auch die EZB muss vorsichtig agieren, würde sie einen großen Verfassungskonflikt doch nicht unbeschadet überstehen. Schließlich würde ihr das Vertrauen des größten und wichtigsten Mitgliedslands entzogen, die öffentliche Debatte würde ihr zusetzen und die Märkte würden negativ reagieren. „Im Endeffekt“, so di Fabio, „müsste Deutschland wohl aus dem Euro austreten.“

Der wohl unlösbare Konflikt besteht allein deshalb, weil die Politik und die sie tragende Bevölkerung nicht willens oder imstande sind, die EU in einen Bundesstaat zu überführen mit klarer Verantwortung und Machtverteilung. So bleibt das Gebilde „ambivalent“, wie di Fabio sagt. Solange das der Fall sei, werde es immer wieder zu Klagen kommen. Auch die jüngsten EZB-Beschlüsse zum Ankauf von Kreditverbriefungen und Pfandbriefen dürften Verfassungsbeschwerden nach sich ziehen, weil die Notenbank nach Ansicht ihrer Kritiker zu hohe Risiken in die Bilanz nimmt, erwartet di Fabio. Denn es komme zu einem Haftungsautomatismus. Die Bankenunion sei ein weiteres Klagefeld.

Entsprechend groß ist deshalb der Druck auf die Politik, nicht nur die institutionellen Fragen der Euro-Rettung zu klären, sondern eine größere Debatte über die Finalität Europas einzuleiten. Die könnte in eine Grundgesetzänderung münden, was der europäischen Integration mehr Freiräume zugestehen würde. Solange dies aber nicht geschehen sei, dürfe in einem souveränen Staat das Grundrecht auf Demokratie „nicht entleert werden“. Die Gewählten „müssten schon noch etwas zu entscheiden haben“. Und bis dahin, so di Fabio, „darf auch der EuGH nicht da letzte Wort haben, sondern das Bundesverfassungsgericht“.

Die Fernwirkung der AfD

So langsam wird es ungemütlich für die Unionsparteien. Scheinbar unaufhaltsam gewinnt die Alternative für Deutschland (AfD) an Zuspruch in der deutschen Bevölkerung. Um den eurokritischen Kern herum sammelt die Partei dabei gerade viele Konservative ein, die sich von der Sozialdemokratisierung der CDU überrollt fühlen, wie Wählerwanderungsanalysen zeigen. Zusammen mit den Unzufriedenen aus anderen Parteien, gespeist aus den sich auflösenden Gruppierungen FDP und Piraten und ergänzt aus dem extremen rechten Rand der Gesellschaft hat sich die AfD inzwischen auf einen zweistelligen Umfragewert herangerobbt. Wie die Wahlforscher von Forsa jüngst mitteilten, liegt die Partei nun bei einem bundesweiten Zustimmungswert von 10%. Vor gut zwei Wochen ist die AfD in die Landtage von Brandenburg und Thüringen eingezogen und hatte zuvor auch in Sachsen und bei der Europawahl gepunktet.

Offenbar hat die Unzufriedenheit gegenüber den etablierten Parteien inzwischen ein Ausmaß erreicht, das deren Vertreter immer noch nicht recht wahrhaben wollen. Möchte nun die CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel zumindest einen Teil der AfD-Wähler wieder für sich gewinnen, muss sie sich dem Kern der teilweise durchaus berechtigten AfD-Kritik stellen.

So moniert die AfD die zu hohe Belastung Deutschlands durch die Euro-Rettung, schwadroniert über die desaströsen Folgen der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und geißelt deren Mandatsüberschreitung durch ihre Kaufprogramme. Gar zu viele Bedenken wurden in dieser Hinsicht von den Parteioberen fast aller etablierten Fraktionen abgebügelt und die Menschen lediglich mit Floskeln abgespeist. Die inhaltsleeren Slogans bei der letzten Europawahl sind ein Zeugnis hierfür.

Eine ernsthafte Debatte über die Euro-Rettung, über die Belastung des deutschen Steuerzahlers dabei, über die nötigen Zugeständnisse Deutschlands (wie anderer Länder) in einem geeinten Europa und über die Finalität der Gemeinschaft gibt es aber bis heute nicht. Das übernahm vielfach das Bundesverfassungsgericht, indem es die Politiker an die demokratischen Gepflogenheiten erinnerte, die Frage aufwarf, wie weit und unter welchen Bedingungen Deutschland Teile seiner Souveränität abgeben darf und wie weit die EZB bei der Vergemeinschaftung von Risiken eigentlich gehen darf.

Wie groß der Anteil Deutschlands an der Euro-Rettung war, ganz entgegen dem Eindruck in vielen Krisenländern, wo Berlin eher als Totengräber des Währungsraums gilt, und wie wichtig es ist, dass die Bundesregierung ihrer bisherigen konstruktiven Politik treu bleibt, zeigt eine Studie der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P). Der Chefanalyst für Europa, Moritz Kraemer, warnt hierin vor einem durch das Aufkommen der AfD erzwungenen nationaleren Kurs Deutschlands. Bislang sei Bundeskanzlerin Angela Merkel im eigenen Land auf keinen größeren Widerstand gegen ihre Europolitik gestoßen, schreibt er. Dies habe ihr in Brüssel mehr Spielraum für Kompromisse ermöglicht. Sollte Merkel ihre Gangart unter dem Eindruck des AfD-Aufstiegs indes verschärfen, würden die Krisenstaaten dies durch höhere Zinsen am Kapitalmarkt unmittelbar zu spüren bekommen, was die Krise neu anfachen könnte.

Seine Bedenken: Die CDU könnte versuchen, durch eine härtere Regierungslinie Wähler zurückzugewinnen, durch eine geringere Flexibilität bei den Fiskalzielen, durch ihren Widerstand gegen Wachstumsprogramme, durch kritischere Äußerungen gegenüber der EZB und durch die Verweigerung eigener höherer Staatsausgaben. Deutschlands konstruktive Haltung bei der Unterstützung der in Not geratenen Länder habe eine positive Wirkung auf deren Bonität gehabt. Staaten wie Spanien und Italien konnten sich zuletzt wieder zu historisch niedrigen Zinssätzen frisches Geld besorgen. Sollten die Investoren nun „auch nur Anzeichen für eine Verschärfung“ des deutschen Kurses wahrnehmen, warnt S&P, werde das Vertrauen in die Krisenländer wieder bröckeln.

Gedruckte finanzielle Freiheit

Rund 8 Cent kostet ein Euroschein im Schnitt in der Herstellung. Über den Ladentisch geht er dann aber als 5-, 10-, 20- oder gar als 500-Euro-Note, weil es die Notenbank ist, die buntes Papier bedrucken lässt und nicht irgendwer. Eine verführerische Wertsteigerung, die schon manchen rechtschaffenen Menschen zum Geldfälscher hat werden lassen.

Ab dem 23. September gibt es nun nach der 5-Euro-Note eine Neuauflage der 10-Euro-Note zu bewundern. Sie fällt nach Angaben von Bundesbankvorstand Carl-Ludwig Thiele zwar etwas teurer aus als ihre Vorgänger, weil neue Sicherheitsmerkmale integriert sind, dafür hält sie aber etwas länger, bevor sie aus dem Verkehr gezogen werden muss. Der Mehrpreis rechnet sich also.

Liest man die aktuellen Meldungen aus dem Digitaluniversum, scheinen die Tage des Bargelds indes gezählt zu sein, weil die Rechnung an der Supermarktkasse, am Kiosk oder in der S-Bahn künftig verstärkt mit elektronischen Zahlungsmitteln beglichen werden soll. Und die jüngste Novität von Apple, das Bezahlsystem Apple Pay in seinem neuen iPhone, lässt viele Beobachter glauben, dass der Markt schon reif ist für eine tektonische Veränderung. Schon heute werden bei immer kleineren Beträgen EC- und Kreditkarte gezückt. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Bezahlhandy.

Die Daten der Bundesbank zeigen allerdings, dass sich das „analoge“ Bargeld erstaunlich lange hält: Nach wie vor werden in Deutschland wertmäßig mehr als die Hälfte aller Rechnungen an den Kassen mit Geldscheinen und Münzen beglichen. Und der Wert der Bargeldbestände im Umlauf hat in jüngster Zeit eher noch zugenommen. Das liegt aber weniger an den Bezahlvorgängen selber, sondern an der Funktion des Euroscheins als Wertaufbewahrungsmittel. Angesichts der niedrigen Zinsen und der vernachlässigbaren Geldentwertung in der Eurozone werden offenbar immer mehr Euro physisch gehalten. Und auch im angrenzenden Nicht-Euro-Ausland setzen die Menschen auf den Euro als Reservewährung, um auch im Krisenfall zahlungsfähig zu bleiben. „Das Bargeld ist weiter unschlagbar“, sagt Thiele vor diesem Hintergrund.

Womöglich kommt aber in jüngster Zeit ein weiterer Aspekt hinzu, der die Attraktivität des Bargelds eher wieder steigen lässt: die Angst vor Bespitzelung. Jeder elektronische Zahlvorgang ob mit dem iPhone, dem Androiden oder der EC-Karte lässt sich zurückverfolgen, analysieren, bewerten und mit anderen Versatzstücken aus Big Data kombinieren. Und schlagen die Algorithmen Alarm, wird womöglich der Bezahlvorgang gestoppt, so die Angst. Außerdem verlangen die Systemdienstleister auch ihren Obolus. Das dürfte beim iPhone auch nicht anders sein. Kosten, die natürlich auf die Kunden abgewälzt werden.

Demgegenüber stellt das Bargeld „geprägte Freiheit“ dar, wie es der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing einmal ausgedrückt hat. Big Brother ist hier machtlos. Es sei denn, nach dem Bezahlvorgang zückt man die Kundenkarte, um sich Bonuspunkte gutschreiben zu lassen.